Berlin/Den Haag. Kriminelle agieren immer vernetzter. In Den Haag sitzt eine Agentur, die der Mafia den Kampf ansagt. Dabei: ein Jurist aus Deutschland.

Kriminelle interessieren sich wenig für Grenzen. Organisierte Banden agieren längst international. Kokain verschiffen sie aus südamerikanischen Häfen nach Europa, schmuggeln es von Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg weiter durch die Europäische Union. Und auch innerhalb der EU sind Kartelle gut aufgestellt.

Doch lange dauerte es, bis sich auch die Ermittlungsbehörden besser vernetzten. Polizeien und Staatsanwaltschaften arbeiteten noch national, als Kriminelle längst globale Netzwerke etabliert hatten. Im Zentrum dunkler Machenschaften stehen oft: die Niederlande, gerade aufgrund der großen Häfen. Genau dort, in Den Haag, hat die Europäische Union eine Agentur aufgebaut, die den Kriminellen die Kraft internationaler Strafverfolgung entgegenstellen soll: Eurojust – ein Knotenpunkt für europäische Staatsanwaltschaften.

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    Jedes EU-Land hat Juristinnen und Juristen dorthin entsandt. Die deutsche Delegation leitet der deutsche Jurist Jan MacLean, der lange als Spitzenbeamter im Bundesjustizministerium gearbeitet hat. Im Interview spricht er darüber, was Eurojust im Kampf gegen Kriminelle tun kann – und warum es bei manchen Ermittlungen gegen die Mafia 3000 Ermittler braucht.

    Jan MacLean
    Jan MacLean, der Leiter der deutschen Delegation bei Eurojust in Den Haag. © Eurojust | Eurojust

    Sie arbeiten als Leiter der deutschen Delegation bei der europäischen Strafverfolgungsbehörde Eurojust. Wenige Menschen in Deutschland werden wissen, was Sie dort tun. Helfen Sie uns?

    Jan MacLean: Wir sind eine zentrale Anlaufstelle für die Staatsanwaltschaften und Gerichte in den EU-Mitgliedsstaaten. Ich leite ein Team von sieben Staatsanwältinnen, Staatsanwälten, Richterinnen und Richtern aus Deutschland, wir helfen den deutschen Strafverfolgungsbehörden, wenn sie internationale Ermittlungen führen. Wir ermitteln nicht selbst, das liegt weiter in der Verantwortung der nationalen Behörden. Aber wir sind Vernetzer, Dienstleister und Helfer im Kampf gegen international agierende Kriminelle. Wir bekommen immer wieder Anfragen von Opfern von Straftaten, dass wir in ihrem Fall Ermittlungen aufnehmen sollen. Das können wir nicht tun. Wir sind keine Staatsanwaltschaft, aber ein essenzieller Link zwischen den Behörden in den Mitgliedstaaten, weil ohne unsere Einschaltung die Kooperation nicht oder nicht so erfolgreich wäre.

    Tonnenweise stellen die Sicherheitsbehörden Kokain in europäischen Häfen sicher. Die Mengen sind so groß geworden, dass ein Tonnen-Fund kaum mehr Schlagzeilen macht.
    Tonnenweise stellen die Sicherheitsbehörden Kokain in europäischen Häfen sicher. Die Mengen sind so groß geworden, dass ein Tonnen-Fund kaum mehr Schlagzeilen macht. © dpa | Marcus Brandt

    Können die Staatsanwaltschaften in Essen, Berlin oder Hamburg diese Vernetzung mit Amtshilfe nicht leisten?

    MacLean: Das Justizsystem in der EU mit 27 Mitgliedstaaten, jeder mit seiner eigenen Rechtsordnung, ist komplex – und sehr unterschiedlich. Nur ein Beispiel: In manchen Staaten können sie keine Razzien vor neun Uhr morgens durchführen, in Deutschland schon ab sechs Uhr. Wir sind bei Eurojust Experten, die genau diese europäischen Rechtssysteme kennen, weil wir aus unserem eigenen nationalen System stammen. Wir kennen die Vorschriften, die in Italien oder Kroatien gelten. Wir können Beweise schnell an andere Länder übermitteln, während Rechtshilfeersuchen oft langwierig sind. Unsere Arbeit ändert nicht die Rechtsgrundlagen für internationale Zusammenarbeit, aber wir beschleunigen die Erledigung von Ersuchen und helfen, Probleme zu vermeiden. Die Dienstwege sind kurz, das Vertrauen zwischen den Entsandten der Mitgliedsstaaten ist groß. Das ist unsere Aufgabe, und das können Staatsanwaltschaften in Deutschland im gleichen Umfang nicht leisten.

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      Kriminelle agieren zunehmend über Grenzen hinweg. Kartelle haben globale Lieferketten für Drogen oder Waffen ausgebaut.

      MacLean: Genau auf diesen Trend müssen die Strafverfolgungsbehörden reagieren: Kriminelle organisieren sich in länderübergreifenden Netzwerken. Und so müssen sich auch die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden vernetzen. Unsere Verfahren sind aufwendig, es geht nicht um Kleinkriminelle. Wir helfen bei Ermittlungen, in denen es gegen Mitglieder der Mafia oder großer Organisationen geht.

      Obstkisten stehen in einer Garage, die Ermittler entdeckten. Die Obst-Kisten-Mafia verdient ihr Geld mit dem massenhaften Diebstahl und macht Millionen.
      Obstkisten stehen in einer Garage, die Ermittler entdeckten. Die Obst-Kisten-Mafia verdient ihr Geld mit dem massenhaften Diebstahl und macht Millionen. © Markus Gayk/dpa | Unbekannt

      Was waren Ihre größten Erfolge der jüngsten Zeit?

      MacLean: Im Mai 2023 nahmen Polizisten mehr als 130 Mitglieder der Ndrangheta in Deutschland, Belgien und Italien fest – eine der derzeit wohl mächtigste Mafia-Organisationen. Zehn Staaten waren mit ihren Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden an den Ermittlungen beteiligt, und fast 3000 Beamte. Da ist eine gemeinsame Koordinierung ein zentraler Baustein für den Erfolg. In diesem Sommer wurde eine Bande von Geldautomatensprengern aus den Niederlanden in Deutschland verurteilt. Die Männer hatten mehr als drei Millionen Euro erbeutet und einen Schaden für die Banken von vier Millionen Euro verursacht. Wir helfen aber auch bei Ermittlungen gegen Drogenschmuggler oder – wie jetzt – im Kampf gegen Betrügereien etwa mit gefälschten Lebensmitteln. Auch das ist eine gängige kriminelle Methode von Mafia-Organisationen, die längst die Lebensmittelbranche für ihre Machenschaften entdeckt haben.

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