Berlin. Ukraine-Krieg, Selenskyjs Friedensplan, Krieg in Nahost. Militärexperte Masala ordnet die großen Krisenherde ein und blickt in die USA.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dürfe von seinem Besuch in Berlin nichts erwarten, sagt Carlo Masala. Der Militärexperte erklärt, dass der Druck auf Selenskyj wachse, weil in den westlichen Demokratien Wahlen anstehen.
US-Präsident Joe Biden kommt nicht nach Deutschland. Der Ukraine-Gipfel in Ramstein wurde abgesagt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reist dafür jetzt am Freitag nach Berlin und spricht mit Kanzler Olaf Scholz. Was kann Selenskyj von ihm erwarten?
Carlo Masala: Nichts. Was Selenskyj mit seinem Friedensplan will, ist Bewegung bei der Nato-Mitgliedschaft, weiter reichende Waffen und die Erlaubnis, diese Waffensysteme gegen Ziele weit in Russland einzusetzen. Der Bundeskanzler hat sich festgelegt, dass er sie nicht liefern wird. Auch mit Blick auf die Nato-Mitgliedschaft ist Deutschland eher zurückhaltend. Selenskyj wird von dem, was er gerne hätte, nichts erwarten können.
Was kann Selenskyj von seinen westlichen Verbündeten denn überhaupt noch erwarten?
Klassische Waffenlieferungen: Munition, Artilleriesysteme, gepanzerte Fahrzeuge.
Der Druck vonseiten der Verbündeten auf Selenskyj ist zudem gewachsen.
Ja, das ist so. Insbesondere aus Deutschland und den USA war aus innenpolitischen Konstellationen heraus der Druck relativ groß, einen Friedensplan zu entwickeln. Dem ist Selenskyj auch nachgekommen. Joe Biden will seine Amtszeit nicht mit einem laufenden Krieg beenden, für den es keinen Lösungsansatz gibt. Ihm ist es wichtig, auch mit Blick auf seine potenzielle Nachfolgerin Kamala Harris, dass da jetzt Bewegung reinkommt. In Deutschland muss man sehen, dass sich auch die SPD schon im Wahlkampf befindet. Sie möchte nicht nur als Partei, die einen Krieg unterstützt, wahrgenommen werden. Die Spannungen innerhalb der SPD steigen wieder rund um die Frage, wie man mit dem Ukraine-Krieg umgeht. Dazu kommt: Nach fast drei Jahren Krieg dreht sich die Stimmung – auch in Deutschland.
Gibt es noch einen westlichen Verbündeten, der bereit wäre, weiter reichende Waffen zu liefern?
Es gibt nicht viele Staaten, die diese Waffen besitzen. Die Franzosen und Briten, die darüber verfügen, würden schon liefern. Sie sind aber zurückhaltend, weil die USA kein grünes Licht geben.
Carlo Masala
Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.
Passiert vor den US-Wahlen überhaupt noch was?
Ich glaube, was die Ukraine betrifft, passiert nichts Substanzielles mehr. Biden hat jetzt noch mal ein großes Waffenpaket geschnürt, das wäre in Ramstein vorgestellt worden. Das wird es aus meiner Sicht bis zu den Wahlen gewesen sein.
Selenskyj spricht immer wieder davon, dass die Lage auf dem Schlachtfeld die Gelegenheit böte, den Krieg bis spätestens 2025 zu einem Ende zu bringen. Was meint er damit?
Er meint – und ich gebe es weiter, ohne es zu bewerten: Wenn nicht genügend Waffen geliefert werden, wird die Ukraine irgendwann aufgeben müssen, weil ihr das Material fehlt. Wenn die Ukraine aber ausreichend Waffen bekommt – und das ist Selenskyjs Kalkül –, dann wird die Erschöpfung auf der russischen Seite eintreten. Russland verliert extrem viel Material und kann gar nicht so viel produzieren, um zügig nachzuliefern. Deshalb hofft Selenskyj, dass die Russen im nächsten Jahr irgendwann erschöpft sein werden und sich dann ein Fenster der Gelegenheit für Verhandlungen öffnet.
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In der Ukraine sollen auch Soldaten aus Nordkorea kämpfen. Was bedeutet das?
Es gibt keine hundertprozentigen Beweise dafür, dass Nordkoreaner in der Ukraine für Russland kämpfen. Es würde einen aber auch nicht wundern. Die Russen ziehen Soldaten von überall her – auch aus Afrika kommen sie. Es wäre also keine große Überraschung. Es wäre vielmehr ein Indiz dafür, dass die Mobilisierung in Russland gewisse Grenzen hat. Putin scheut davor zurück, eine offizielle zweite Mobilisierungswelle einzuleiten, die möglicherweise dann auch ethnische Russen betrifft. Wenn Soldaten aus dem Ausland sterben, interessiert das in Russland nicht.
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Noch ein Blick auf den anderen Krisenherd. Biden hat nach langer Zeit wieder mit dem israelischen Regierungschef Netanjahu telefoniert. Wie uneinig sind sie?
Es gibt keine Uneinigkeit in der Frage, ob Israel das Recht hat, gegen den Iran zurückzuschlagen. Und Israel weiß selbst genau, dass es extrem kompliziert ist, die Nuklearanlagen anzugreifen. Sie sind sehr tief unter der Erde und extrem gut gehärtet. Sie bräuchten dafür sehr viel bunkerbrechende Bomben, die die Israelis aber nicht haben, die müssten die USA zur Verfügung stellen. Dazu kommt: Wenn so ein Angriff schiefgehen würde, dann beschleunigt das den Weg des Iran zur Nuklearwaffe.
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Wären die iranischen Ölanlagen ein Ziel?
Ich glaube das nicht. Es gibt keine Garantie dafür, dass sich Israel an den amerikanischen Wünschen orientiert, aber die USA haben überhaupt kein Interesse daran, dass iranische Ölanlagen angegriffen werden. Nichts könnte für Biden und Harris vor der Wahl schlimmer sein als steigende Öl- und Benzinpreise. Ich glaube, die USA empfehlen den Israelis, nur militärische Anlagen zu attackieren. Die Frage ist, ob sich die Israelis daran halten. Sicher ist nur, dass ein Gegenschlag kommt.