Mexiko-Stadt. Erstmals steht eine Frau an der Spitze Mexikos: Claudia Sheinbaum muss die Kartelle bändigen und die Wirtschaft auf Kurs halten.
Claudia Sheinbaum hätte sich ruhigere Zeiten gewünscht, um ihr historisches Amt anzutreten. Die künftige Präsidentin Mexikos, die erste in der Geschichte des Landes, bekommt es gleich mit einem Übermaß an dringlichen Aufgaben zu tun, wenn sie am Dienstag den Volkstribun Andrés Manuel López Obrador ablöst. Er hinterlässt ihr nach sechs Jahren im Amt ein sozial gerechteres Land, aber auch viele Baustellen. Dazu gehören der bedenkliche Abbau der Demokratie, die Schwächung der Institutionen und der Gewaltenteilung sowie ein Haushaltsdefizit von sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die größten Kopfschmerzen dürften der 62-Jährigen aber die entgrenzte Gewalt der Drogenkartelle, der schwächelnde internationale Handel, fallende Investitionen sowie die drohende Präsidentschaft von Donald Trump bereiten. Die Wissenschaftlerin und Klimaexpertin wird zu Beginn ihres Mandats daher kaum Zeit haben, sich dem Thema Umwelt und Energiemix zu widmen. Dabei sind das eigentlich ihre Kernthemen. Und Mexiko hat hier in den vergangenen sechs Jahren unter dem Linksnationalisten und Freund der fossilen Brennstoffe López Obrador viel Zeit verloren.
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Sheinbaum beginnt ihre Amtszeit mit einem Affront
Sheinbaum steht schon vor dem Amtsantritt unter Druck. Zum einen fordern die erneuten dramatischen Überschwemmungen in der Urlaubsmetropole Acapulco nach einem Hurrikan sofortiges Handeln. Zudem beginnt sie ihr Amt mit einem diplomatischen Eklat. Spaniens König Felipe VI. wurde nicht zur Amtsübergabe eingeladen, was ein Affront ist. Begründung: Der Monarch habe nicht auf die Forderung reagiert, für die Kolonialisierung Mexikos und die blutigen Folgen vor mehr als 500 Jahren um Verzeihung zu bitten.
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Unter seiner Regentschaft durchlief Mexiko einen Wandel, der durch eine neue und stärkere Rolle des Staates in der Wirtschaft, die Umsetzung ehrgeiziger Sozialprogramme und eine auf Autarkie ausgerichtete Energiepolitik gekennzeichnet ist. Strukturelle Probleme der Wirtschaft bestehen jedoch fort, wie etwa die Inflation (knapp unter fünf Prozent).
Unter Sheinbaum sind keine großen Veränderungen zu erwarten
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas wird also mindestens bis 2030 weiter links regiert werden. Das ist auch und gerade in der Region eine Nachricht, wo derzeit Demokratieverächter und Diktatoren Konjunktur haben. Man schaue nur zu Javier Milei nach Argentinien oder zu Nicolás Maduro in Venezuela. Generell wird man in Mexiko unter Sheinbaum kaum große Veränderungen in den Leitlinien erwarten dürfen.
Inhaltlich und in den Versprechen passte im Wahlkampf kaum ein Blatt zwischen sie und den Staatschef. Die Politikerin der Regierungspartei Morena ist ein politisches Ziehkind des Linksnationalisten und folgte ihm erst auf dem wichtigen Posten des Hauptstadt-Gouverneurs und jetzt im Präsidentenamt nach. Sheinbaum teilt seine Auffassungen zu fast allen Themen und wird bestenfalls bei Genderpolitik und Frauenförderung sowie gegebenenfalls der Umweltpolitik mittelfristig eigene Akzente setzen. „Kontinuität mit eigener Handschrift“ hat sie kürzlich ihre kommende Amtsführung beschrieben.
Mexiko: Kartelle bekriegen sich wie eh und je – Dutzende Menschen sterben
Außer sich hinter dem breiten Rücken ihres baldigen Vorgängers zu verstecken und ein paar blumigen und interpretierbaren Formulierungen ist seit ihrer Wahl im Juni nicht viel Inhaltliches gekommen. Sheinbaum schweigt sich weitgehend aus, deckt aber die sehr umstrittene Machtausweitung des Militärs in zivile Bereiche sowie die kritisierte Justizreform, die künftig eine Volkswahl aller Bundesrichter vorsieht.
Was Sheinbaum beim Thema Gewaltprävention erwartet, kann man derzeit im Bundesstaat Sinaloa im Nordwesten Mexikos betrachten. Der Geburtsstaat des gleichnamigen Kartells versinkt in einem Nachfolgekrieg zwischen den „Chapitos“, den Söhnen des legendären Führers Joaquín „El Chapo“ Guzmán, und der Fraktion des anderen historischen Gründers, Ismael „El Mayo“ Zambada. Dieser war Ende Juli in den USA festgenommen worden und wurde wohl von den Chapitos an die US-Behörden verraten.
Seither ist Culiacán, die Hauptstadt Sinaloas, der neue Hotspot des Drogenkriegs. Schwer bewaffnete Gangs patrouillieren, Scharmützel drohen bei Tageslicht überall, Dutzende Menschen sterben. Schule fällt aus, Geschäfte sind geschlossen, die Stadt versinkt in Angststarre. Und der Staat duckt sich weg. Oder stellt sich auf die Seite einer der Fraktionen. Analysten betonen immer wieder: in keinem anderen Land der Region ist der Staat so eng mit der Organisierten Kriminalität verwoben wie in Mexiko, nicht mal in Kolumbien. Dieses historische Erbe wird Sheinbaum aufarbeiten müssen. Pläne dazu hat sie bisher nicht vorgestellt.
Sheinbaum will den „Krieg gegen die Kartelle“ nicht wieder aufnehmen
Immerhin lehnt sie es ab, den 2006 von dem damaligen Präsidenten Felipe Calderón begonnenen „Krieg gegen die Kartelle“ wieder aufzunehmen. „Das ist schon einmal passiert und hat zu nichts geführt“, unterstreicht sie, ohne aber zu erklären, ob und was sie gegebenenfalls anders machen würde.
Beim Thema Energiewende sind die Herausforderungen kaum geringer: Mexiko ist derzeit stark von fossilen Brennstoffen abhängig, und die Unterstützung für die staatlichen Öl- und Stromkonzerne Pemex und CFE hat die Entwicklung erneuerbarer Energien verzögert. 2023 betrug die installierte Kapazität erneuerbarer Energien nur 28 Prozent der Gesamtkapazität, deutlich weniger als in Ländern wie Chile und Brasilien, die bereits über 40 Prozent erreichen.
Auch der Kampf gegen Ungleichheit und Armut muss weitergeführt werden. Trotz Fortschritten bei den Sozialprogrammen lebten nach Angaben des staatlichen Sozialforschungsinstituts Coneval 2022 immer noch 42 Prozent der mexikanischen Bevölkerung in Armut. Die Ungleichheit zeigt sich vor allem beim Zugang zu Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit, was die Chancen von Millionen Menschen Mexikanern auf eine vollständige Einbindung in die Wirtschaft einschränkt. Die Herausforderung wird darin bestehen, die Sozialausgaben zu erhöhen, ohne die fiskalische Stabilität des Landes weiter zu gefährden.