Düsseldorf. Eine Duz-Bekannte des Justizministers sollte OVG-Präsidentin werden. Ein ausgebooteter Bundesrichter nennt jetzt Details zum „Kungel“.

Der monatelange Besetzungsstreit um das Präsidentenamt beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster entwickelt sich immer mehr zum nordrhein-westfälischen Justiz-Krimi. Ein von der schwarz-grünen Landesregierung unter dubiosen Umständen übergangener Bundesrichter hat jetzt in einer weiteren „Eidesstattlichen Versicherung“ seine schweren Vorwürfe hinsichtlich einer rechtswidrigen Vorfestlegung auf eine Duz-Bekanntschaft von Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) konkretisiert.

In dem fünfseitigen Dokument vom 25. September 2024, das unserer Redaktion aus Justizkreisen zugespielt wurde, schildert der Bundesrichter detailliert ein brisantes Treffen bei Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU) am 18. November 2022. Der Regierungskoordinator soll ihn damals zur Rücknahme seiner Bewerbung gedrängt und klargestellt haben, dass die Koalition sich an der vorgeschriebenen „Bestenauslese“ vorbei auf Limbachs Favoritin festgelegt hatte. Und das, obwohl die Frau seit Jahren nicht mehr in der Justiz arbeitet, erst nachträglich ins Bewerbungsverfahren aufgenommen wurde und ihr Interesse an dem Job bei einem privaten Abendessen mit dem Justizminister vorgebracht hatte.

Es soll Wunsch der Grünen gewesen sein, dass eine Frau OVG-Präsidentin wird

Limbach habe ihm bei einem Treffen eine Woche zuvor überraschend zum Gespräch bei Liminski geraten, berichtet der Bundesrichter weiter. Personalvorschläge für Spitzenposten an Obergerichten in NRW müssen eigentlich nach objektiven Kriterien in der Fachabteilung des Justizministeriums erarbeitet und dann vom Justizminister ins Kabinett eingebracht werden. Dort hat dann die Landesregierung das letzte Wort. Da es um das sensible Zusammenspiel von zwei Staatsgewalten geht, will die Verfassung so verhindern, dass sich eine Regierung eine „genehme“ Justiz als Kontrollorgan schafft.

Offenbar sollte Liminski als der mit Abstand wichtigste Mann der Regierung Wüst gegenüber dem aussichtsreichen Bundesrichter bekräftigen, dass diesmal die Würfel noch vor Eingang einer dienstlichen Beurteilung der Limbach-Favoritin längst gefallen waren. „Ich wäre – offen gestanden – im Traum nicht darauf gekommen, die Sache mit dem Chef der Staatskanzlei, den ich zudem nicht persönlich kannte, zu besprechen“, heißt es in der „Eidesstattlichen Versicherung“.

Bei besagtem Gespräch mit dem Staatskanzleichef muss dem Bundesrichter dann sofort reiner Wein eingeschenkt worden sein: „Minister Liminski erläuterte mir, dass auch er sich wünsche, dass ich meine Bewerbung zurücknehme. Nach meinem Eindruck leicht zerknirscht räumte er ein, dass es ein Wunsch der Grünen sei, dass eine Frau OVG-Präsidentin werde. Er ergänzte noch, dass Minister Limbach, der erst vor einigen Jahren von der SPD zu den Grünen gewechselt sei, gegenüber seiner neuen Partei ‚liefern‘ müsse.“

NRW-Staatskanzleichef soll bedauert haben, nichts zur „Kompensation“ anzubieten

Liminski konnte demnach dem Bundesrichter, der wie er ein CDU-Parteibuch hat, leider nichts zur „Kompensation“ anbieten. „Er gehöre aber nicht zu solchen Personen, die das von mir erbetene kooperative Verhalten vergessen würden“, zitiert der Bundesrichter den Staatskanzleichef weiter.

Schwer unter Druck: Mittlerweile steht sogar die Frage im Raum, ob NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) in der „Kungel-Affäre“ um das OVG-Präsidentenamt eine eidesstattliche Falschaussage gemacht hat.
Schwer unter Druck: Mittlerweile steht sogar die Frage im Raum, ob NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) in der „Kungel-Affäre“ um das OVG-Präsidentenamt eine eidesstattliche Falschaussage gemacht hat. © dpa | Christoph Reichwein

Die „Eidesstattliche Versicherung“, die der Bundesrichter jetzt beim OVG eingereicht hat, ist gleich in mehrfacher Hinsicht hochbrisant. Nach monatelangem Rechtsstreit hatte bereits das Bundesverfassungsgericht Ende August in einem spektakulären Beschluss Limbachs Auswahlentscheidung aufgehoben und dem ausgebooteten Bundesrichter in wesentlichen Punkten Recht gegeben. Die Sache wurde an das OVG zurückverwiesen. Dort müsse noch einmal intensiver geprüft werden, „ob tatsächlich eine unzulässige Vorfestlegung des Ministers gegeben war“, urteilte Karlsruhe.

Hat der NRW-Justizminister eine eidesstattliche Falschaussage gemacht?

Das OVG hatte sich zum Erstaunen vieler Juristen über zwei vorherige Verwaltungsgerichtsentscheidungen in Düsseldorf und Münster hinweggesetzt, die teilweise eine „manipulative Verfahrensgestaltung“ angeprangert hatten. Eine erste „Eidesstattliche Versicherung“ des Bundesrichters vom 5. Dezember 2023 war vom OVG kaum gewürdigt worden. Darin war geschildert worden, wie der Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsgruppe, Ansgar Heveling, den Bundesrichter Anfang September 2022 – angeblich nach Rücksprache mit Liminski - zum Rückzug gedrängt haben soll.

Möglicherweise muss Karlsruhe im OVG-Streit ein zweites Mal ran

Die neue „Eidesstattliche Versicherung“ des Bundesrichters widerspricht nun ausdrücklich in wesentlichen Punkten einer „Eidesstattlichen Versicherung“, die Limbach selbst am 9. September 2024 beim OVG eingereicht hat. Auch dieses vierseitige Dokument liegt unserer Redaktion vor. Darin bestreitet der Justizminister rundheraus jede Vorfestlegung auf seine Bekannte und will dem Bundesrichter weder gesagt haben, dass diese im Bewerbungsverfahren „einen Vorsprung“ habe noch zum klärenden Gespräch bei Liminski geraten haben. Es geht um viel: Einer der beiden Juristen, Limbach oder der Bundesrichter, muss sich mit einer eidesstattlichen Falschaussage strafbar gemacht haben.

Vor diesem Hintergrund kommt dem Untersuchungsausschuss im Landtag, der an diesem Montag mit den Zeugenvernehmungen startet, eine besondere Bedeutung zu. Zunächst werden der für den Besetzungsvorschlag zuständige Abteilungsleiter und die ihm unterstellte Referatsleiterin aus dem Justizministerium aussagen. Sie werden dazu befragt, ob und wie auf sie politisch eingewirkt wurde. Bis zuletzt wurde um die Aussagegenehmigung gerungen.

Ein Untersuchungsausschuss hat gerichtsähnliche Befugnisse, kann Zeugen unter Wahrheitspflicht vernehmen und Regierungsakten einsehen. Alle Aussageprotokolle sind gerichtsverwertbar, was noch bedeutsam werden könnte. Das OVG selbst hat in der Neuauflage seines Verfahrens nämlich bislang keine öffentliche Verhandlung mit Ladung aller relevanten Zeugen anberaumt, sondern nur einen Erörterungstermin im kleinen Kreis Mitte November. Gut möglich also, dass Karlsruhe in dieser Endlosgeschichte ein zweites Mal ranmuss.