Düsseldorf. „Keine linke Politik mehr“: Der Parteinachwuchs der NRW-Grünen tritt geschlossen aus und rechnet mit schwarz-grüner Koalition ab.

Die schwere Krise der Grünen erreicht auch den mit der CDU regierenden NRW-Landesverband der Öko-Partei. Der Landesvorstand der Grünen Jugend hat am Samstag geschlossen seinen Rückzug angekündigt und will anschließend auch aus der Partei austreten.

Der NRW-Nachwuchs folgt damit dem Beispiel des Bundesvorstands der Grünen Jugend sowie mehreren anderen Landesverbänden. Man werde seine Amtsgeschäfte noch gewissenhaft zu Ende führen und nach der Übergabe an Nachfolger komplett austreten, hieß es in einer Mitteilung.

„Wir wollen nicht länger unseren Kopf hinhalten für eine Politik, die wir falsch finden“, erklärte Vivianne Schwedersky, Landessprecherin der Grünen Jugend NRW. Die Grünen machten keine linke Politik mehr, wie es sie eigentlich bräuchte. Zu oft würden schlechte Kompromisse gemacht, „statt klar für soziale Verbesserungen einzustehen“, so Schwedersky. Für brennende Themen junger Leute wie explodierende Mieten oder marode Schulen werde zu wenig getan.

Schon schwarz-grüne Regierungsbildung in NRW sah Jugend kritisch

Explizit nahm der Parteinachwuchs auch die Arbeit der Mutterpartei in der schwarz-grünen Koalition von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) aufs Korn. „Statt wirklich sozial gerechten Klimaschutz zu machen, wurde Lützerath im Rahmen eines schlechten Deals mit RWE abgebaggert“, kritisierte Schwedersky. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) hatte ein umstrittenes Abkommen mit dem Essener Energiekonzern RWE über den Ausstieg aus der Braunkohle im Rheinischen Revier bis 2030 ausgehandelt.

Statt endlich den massiven Investitionsstau in NRW anzugehen, werde die schädliche Sparpolitik fortgesetzt, so die Nachwuchsgrüne. Vor allem das jüngst beschlossene schwarz-grüne „Sicherheitspaket“ nach dem Terroranschlag von Solingen hat offenbar die Entfremdung zur Mutterpartei noch einmal beschleunigt. „Statt einer menschenwürdigen Asylpolitik erleben wir einen massiven Rechtsruck, den die Grünen mittragen“, so Schwedersky.

Sicherheitspaket nach Solingen hat Entfremdung der Grünen Jugend beschleunigt

Für die NRW-Grünen ist der geschlossene Austritt ein Schlag ins Kontor. Die Grüne Jugend ist seit Jahren Talentpool und inhaltliches Korrektiv der Mutterpartei in Düsseldorf. Schon die Regierungsbildung in NRW wurde vom Nachwuchs im Sommer 2022 ausgesprochen kritisch gesehen. Seither fühlten sich viele Kritiker bestätigt. Die Co-Landessprecherin der Grünen Jugend, Laura Alderath, klagte schon vor einem Jahr: „Die Abschieberhetorik, die aus der CDU und sogar vereinzelt von Grünen zu hören ist, ist erschreckend. Das Recht auf Asyl ist unverhandelbar.“ Jede zweite Schule in NRW sei sanierungsbedürftig, das Gesundheitssystem werde kaputt gespart und auf einen Kita-Platz müsse man oft lange warten. „Es braucht endlich eine Politik, die die sozialen Fragen in den Fokus stellt“, so Alderath damals.

Chefin der Grünen Jugend NRW rechnet im Interview mit der Partei ab

Vivianne Schwedersky (Foto) hat seit einem Jahr die Grüne Jugend NRW (GJ) geleitet zusammen mit Laura Alderath. Nun zeigen sie gemeinsam mit anderen GJ-Landesverbänden und der GJ-Bundesspitze den Grünen die Rote Karte und beginnen ein anderes politisches Projekt.
Vivianne Schwedersky (Foto) hat seit einem Jahr die Grüne Jugend NRW (GJ) geleitet zusammen mit Laura Alderath. Nun zeigen sie gemeinsam mit anderen GJ-Landesverbänden und der GJ-Bundesspitze den Grünen die Rote Karte und beginnen ein anderes politisches Projekt. © Grüne Jugend NRW | Grüne Jugend NRW

Vivianne Schwedersky führt seit etwa einem Jahr zusammen mit Laura Alderath den NRW-Landesverband der Grünen Jugend. Sie war sieben Jahre lang Mitglied der Grünen, und erklärt im Interview, warum sie mit dem gesamten amtierenden Vorstand die Notbremse zieht.

Frau Schwedersky, wann stand für Sie und ihre Vorstandskolleginnen und -kollegen fest, dass Sie die Partei verlassen?

Vivianne Schwedersky: Der Bundesvorstand der Grünen Jugend hatte die Landesverbände am Mittwochabend über diesen Schritt informiert. Daraufhin haben wir uns zwei Tage Zeit genommen, um darüber zu beraten, und heute sind wir als Landesvorstand NRW einstimmig zu der Entscheidung gekommen, aus der grünen Partei auszutreten.

Seit wann gibt es die Entfremdung zwischen der Grünen Jugend und der grünen Landespartei?

Schwedersky: Es gab nicht einen einzigen Auslöser. Wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren festgestellt, dass sich unsere Vorstellungen und die der Grünen in NRW darüber, wie man Politik machen sollte, auseinanderentwickelt haben. Vor allem beim Sondervermögen für die Bundeswehr, beim Kampf um Lützerath, bei der Verschärfung des Asylrechts und bei der Sparpolitik der schwarz-grünen NRW-Landesregierung.

In NRW sehen wir, dass die Grünen eine harte Sparpolitik mittragen. Das spürt die Alleinerziehende, die keine bezahlbare Wohnung findet, der Schüler, der in einem maroden Klassenzimmer sitzt, das merkt die überarbeitete Pflegerin im unterfinanzierten Gesundheitssystem. Diese Menschen brauchen eine andere Politik, und daran arbeiten wir jetzt. Nur so können wir dem Rechtsruck wirklich etwas entgegensetzen.

Was ist das für ein Projekt?

Unter dem Namen „Zeit für was Neues“ sammeln sich jetzt junge Menschen, die die grüne Partei verlassen. Ziel ist es, wieder eine handlungsfähige Linke in Deutschland aufzubauen. Wir glauben, dass es langfristig eine starke linke Partei braucht, die es im Moment noch nicht gibt. Wir wollen eine Jugendorganisation gründen, die sich zum Ziel nimmt, ihren Teil dazu beizutragen. Wir wünschen uns eine Politik, die den Menschen wieder Hoffnung gibt. Die auch jene begeistert, die schon lange das Gefühl haben, dass sie vergessen werden.

Haben Sie vor dem Austritt mit der Landesparteispitze der Grünen gesprochen?

Schwedersky: Wir haben seit vielen Jahren versucht, Einfluss auf die grüne Partei zu nehmen und die Partei nach links zu bewegen. Wir sind in Konflikte gegangen und haben Anträge gestellt, mussten aber leider feststellen, dass wir diese Debatten meist verloren. Daraufhin haben wir versucht, gemeinsam mit Partnern von außen Druck auf die Grünen aufzubauen und sahen uns dabei zunehmend in einer Oppositionsrolle. Wir können nicht Jugendorganisation einer Partei sein und gleichzeitig ihre Daueropposition, daher haben wir uns heute entschieden, dass es Zeit für etwas Neues ist. Die Parteispitze haben wir über unsere Entscheidung informiert.

War es ein Fehler der Grünen in NRW, eine Koalition mit der CDU einzugehen?

Schwedersky: Wir schauen auf die Konsequenzen und kritisieren das Handeln der Landesregierung, zum Beispiel den rigiden Sparkurs und die harte Asylpolitik. Wir möchten nicht mehr länger den Kopf hinhalten für eine Politik, die wir falsch finden.

Geben Sie mit dem Austritt die Grüne Jugend nicht jenen preis, die einfach machen, was die Partei ihnen vorgibt?

Schwedersky: Die Grüne Jugend bleibt der Jugendverband der Grünen. Daran ändert unser Austritt nichts. All jenen, die Teil der Grünen bleiben möchten, wünschen wir Erfolg, und wir werden Anfang November einen geordneten Übergang ermöglichen. 

Grünen-Landesvorsitzende Zeybek bedauert den Austritt der Parteijugend

Schwerer Schlag: Yazgülü Zeybek, Landesvorsitzende der Grünen in NRW, muss den Parteiaustritt des Landesvorstandes der Grünen Jugend verkraften.
Schwerer Schlag: Yazgülü Zeybek, Landesvorsitzende der Grünen in NRW, muss den Parteiaustritt des Landesvorstandes der Grünen Jugend verkraften. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Yazgülü Zeybek, Co-Vorsitzende der Grünen in NRW teilte am Nachmittag in einer Pressemitteilung zum Rücktritt des Landesvorstandes der Grünen Jugend NRW mit:

„Die Entscheidung des Landesvorstandes der Grünen Jugend NRW bedauere ich. Umso zuversichtlicher bin ich, dass gerade in ganz Deutschland und auch in NRW sehr viele Basismitglieder der Grünen Jugend NRW klar machen, dass sie bleiben und den Verband mit optimistischem Blick nach vorne wieder aufbauen wollen. Die Grüne Jugend bleibt unser Jugendverband und ich freue mich über alle engagierten Mitglieder, die sich dort für grüne Politik einsetzen.“