Berlin. In Thüringen blamiert die AfD das Parlament. Die CDU zog vor Gericht, gewann. Herrscht jetzt Ordnung? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Per Gericht hat die CDU in Thüringen die Chaostage im Landtag beendet. Am späten Freitagabend erließ der Verfassungsgerichtshof eine einstweilige Anordnung, an die sich Alterspräsident Jürgen Treutler von der AfD halten muss. 

Treutler hatte bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments in Erfurt eine Debatte über die Änderung der Geschäftsordnung verhindert. Die Wahl eines regulären Parlamentspräsidenten musste ebenso verschoben werden. Es gelang dem Landtag nicht einmal, seine eigene Beschlussfähigkeit festzustellen.

Die AfD wollte diese Eskalation

Es war eine Eskalation mit Ansage. Die Konstituierung des Thüringer Landtags, eigentlich eine Routine-Aufgabe nach einer Landtagswahl, hatte am Donnerstag in die offene Konfrontation im Plenum geführt. Das Ergebnis: eine abgebrochene Sitzung, ein blamiertes Parlament – und eine AfD, der es gelungen ist, den demokratischen Prozess zu untergraben. Wie das geschehen konnte und welche Ideen es gibt, es künftig zu verhindern – ein Überblick.

Was ist in Erfurt vorgefallen?

Es gab etliche Unterbrechungen, Zwischenrufe und verbale Attacken. Die größte Fraktion, die als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD von Landeschef Björn Höcke, auf der einen Seite und die Fraktionen von CDU, BSW, Linken und SPD auf der anderen Seite standen sich unversöhnlich gegenüber. Letztere warfen Alterspräsident Jürgen Treutler von der AfD vor, ihre Rechte zu beschneiden und die Sitzung nicht neutral, sondern parteipolitisch motiviert zu leiten. Treutler ließ nicht einmal Wortmeldungen und Anträge zu. Nach der Sitzung wandte sich die CDU-Fraktion an das Landesverfassungsgericht.

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Was droht in Thüringen und anderen Bundesländern?

In Thüringen nutzte die AfD den Umstand aus, dass der älteste Abgeordnete des Landtags aus ihren Reihen stammt und so als Alterspräsident in der konstituierenden Sitzung fungierte. Als größte Fraktion hat die AfD auch ein Vorschlagsrecht für das Amt des Parlamentspräsidenten. Die anderen Fraktionen müssen die vorgeschlagene Person aber nicht wählen. Mit einer Änderung der Geschäftsordnung sollte erreicht werden, dass auch sie Vorschläge unterbreiten können.

Da die AfD im Thüringer Landtag über mehr als ein Drittel der Stimmen verfügt, wird sie dort künftig wichtige Entscheidungen blockieren können – insbesondere Verfassungsänderungen und die Wahl neuer Verfassungsrichter. Das ist auch in Brandenburg der Fall, wo am vergangenen Sonntag ein neuer Landtag gewählt worden war.

In Sachsen wiederum verfehlte die Rechtsaußen-Partei bei den Wahlen Anfang September die Sperr-Minorität. Aktuellen Umfragen zufolge ist die AfD aber auch in anderen Ost-Ländern weiter auf dem Vormarsch: In Mecklenburg-Vorpommern würde sie derzeit mit 25 Prozent der Stimmen auf Platz eins landen, die SPD von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig käme nur auf Platz drei. In Sachsen-Anhalt wäre für die AfD fast ein Drittel der Stimmen drin.

Was tut der Bundestag?

In Berlin ist man bemüht, schon jetzt Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um wichtige Bundesinstitutionen gegen eine mögliche Einflussnahme der AfD zu schützen. Dabei besonders im Blick: das Bundesverfassungsgericht. Im Sommer einigten sich die Koalitionsfraktionen und die Union auf eine Änderung des Grundgesetzes, die politische Einflussnahme auf das Gericht verhindern soll. Dafür soll die Zahl der Senate auf die jetzigen zwei festgeschrieben werden und die Zahl der Richter auf jeweils acht. Auch die Amtszeit und die Altersgrenze für Richterinnen und Richter soll in die Verfassung aufgenommen werden, und eine Wiederwahl soll ausgeschlossen werden.

Für eine Änderung des Grundgesetzes ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig. Die Abstimmung soll laut Irene Mihalic, Erster Parlamentarischer Geschäftsführerin der Grünen, schon bald erfolgen: „Wir sind sehr froh, dass sich die demokratischen Fraktionen auf Grundgesetzänderungen zum besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts geeinigt haben und diese Initiative in der nächsten Sitzungswoche in den Deutschen Bundestag eingebracht wird“, sagte Mihalic dieser Redaktion.

Ist ein Verbot der AfD sinnvoll?

Die Frage nach einem Verbot der Partei, die schon zu Beginn des Jahres nach dem Potsdamer Geheimtreffen der AfD gestellt wurde, steht auch jetzt wieder im Raum. Georg Maier, Landesvorsitzender der SPD in Thüringen und Noch-Innenminister, sprach sich nach der gescheiterten Landtagssitzung am Donnerstag auf X (früher Twitter) dafür aus: „Die heutigen Ereignisse im Thüringer Landtag haben gezeigt, dass die AfD aggressiv kämpferisch gegen den Parlamentarismus vorgeht“, schrieb er. „Ich denke, dass damit die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren gegeben sind.“

«Erschreckend, ernüchternd und alarmierend»: Ostbeauftragter über AfD-Wahlerfolge

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    Einen Antrag für ein Verbot bereitet Marco Wanderwitz, Bundestagsabgeordneter der CDU und ehemaliger Ostbeauftragter, schon seit längerem vor. Dafür ist er im Bundestag fraktionsübergreifend auf der Suche nach Unterstützung – die Initiative sei „auf der Zielgerade“, sagte er am Freitag der „taz“. Die Hürden für ein Parteiverbotsverfahren in Deutschland sind allerdings hoch. Bei der NPD war ein solches Verfahren in der Vergangenheit zweimal gescheitert.

    Grünen-Politikerin Mihalic mahnt deshalb zu einem umsichtigen Vorgehen: „Ein Parteiverbot in Deutschland ist sehr voraussetzungsvoll und wir dürfen keine Fehler machen, die Feinde der Verfassung durch ein unsauberes Vorgehen auch noch zu stärken“, sagt sie. Alle relevanten Akteure in Bund und Ländern sollten die anstehenden Fragen eingehend miteinander besprechen.

    Gleichzeitig betont Mihalic, dass die AfD eine sehr konkrete Gefahr darstelle: „Wenn die AfD die Möglichkeit bekommt, wird sie wesentliche Bestandteile unseres demokratischen Rechtsstaates zerstören und außerdem Deutschland zu einem Satelliten Putins machen.“ Die Vorgänge in Thüringen hätten den „faschistoiden Charakter“ der Partei erneut gezeigt.

    Eine schnelle Lösung wäre ein Verbot allerdings nicht: Das zweite NPD-Verbotsverfahren begann 2013, erst vier Jahre später gab es eine Entscheidung.