Berlin. Heftige Gefechte zwischen der Hisbollah-Miliz und Israel. Droht nun ein Flächenbrand mit iranischer und amerikanischer Beteiligung?

Im Nahen Osten hat sich die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes dramatisch erhöht. Die proiranische Hisbollah im Libanon feuert Raketen auf Israel ab, Israel antwortet mit Luftangriffen. Was plant Israels Premier Benjamin Netanjahu, wie positionieren sich die Hisbollah und ihr Verbündeter Iran? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Neue Eskalation im Nahen Osten: Was ist passiert?

Zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon kam es in der Nacht zum Sonntag zu schwerem gegenseitigem Beschuss. Die mit dem Iran verbündete schiitische Miliz feuerte mehr als 100 Raketen auf den Norden Israels ab. Nach israelischen Medienberichten wurden unter anderem Ziele nahe der Küstenstadt Haifa, Israels größter Hafen und Zentrum der Schwerindustrie, getroffen.

Israel griff den Libanon zugleich massiv aus der Luft an und bombardierte mehr als 100 Stellungen der Hisbollah. Die israelische Armee verschärfte die Einschränkungen für Bewohner im Norden des Landes. Krankenhäuser wurden angewiesen, ihre Patienten in Schutzräume zu verlegen.

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Von Madeleine Janssen, Jochen Gaugele und Jörg Quoos

Welche Ziele verfolgt Israels Premier Benjamin Netanjahu?

Nach fast einem Jahr Gaza-Krieg verlagert Israel den Schwerpunkt der Kämpfe: Im Fokus stehen nun die Militärbasen der Hisbollah im Südlibanon. Verteidigungsminister Joav Gallant sprach von einer „neuen Phase des Krieges“. Die Regierung will verhindern, dass die Hisbollah den Norden Israels attackieren kann. Seit dem 8. Oktober, einen Tag nach dem Massaker der Hamas in Israel, greift die Miliz Ziele jenseits der Grenze an. Mehr als 60.000 Menschen mussten evakuiert werden.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat zum Kriegsziel erklärt, dass die Geflüchteten wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Die Forderung ist in der israelischen Bevölkerung populär. Der Premier beharrt darauf, dass sich die Hisbollah hinter den Litani-Fluss zurückzieht, der 30 Kilometer nördlich der israelisch-libanesischen Grenze verläuft. In der UN-Resolution 1701 aus dem Jahr 2006 war dies bereits festgelegt worden.

Hisbollah und Israel überziehen sich mit Angriffen

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    Zur Durchsetzung dieses Ziels erhöht Netanjahu die militärische Gangart gegenüber der Hisbollah – und damit auch das Risiko. Am Freitag hatte Israels Armee einen Angriff auf einen Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut ausgeführt und dabei nach eigenen Angaben 16 Hisbollah-Mitglieder getötet, darunter den ranghohen Militärkommandeur Ibrahim Akil. Am Dienstag und Mittwoch waren außerdem Tausende Pager und Walkie-Talkies in den Taschen und Händen von Mitgliedern der schiitischen Miliz explodiert. Dutzende Menschen starben, etwa 3000 wurden durch die Detonation der Kommunikationsgeräte verletzt.

    In westlichen Sicherheitskreisen wird befürchtet, dass Israel eine Bodenoffensive in den Libanon starten könnte. Die Regierung in Jerusalem betonte allerdings, dass sie kein Interesse an einem großen Krieg mit der Hisbollah habe.

    Was sind die Absichten der Hisbollah?

    Die Hisbollah erkennt das Existenzrecht Israels nicht an. Sie rechtfertigt ihre Angriffe als Unterstützung der Hamas im Gazastreifen. Sie werde die Kämpfe erst einstellen, wenn es zu einem Waffenstillstand zwischen der Hamas und Israel komme, erklärte die Miliz. Vor dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober lieferten sich die Hisbollah und Israel einen niedrigschwelligen Krieg der gegenseitigen Nadelstiche: Beide Seiten hatten ihre Attacken begrenzt.

    Die Hisbollah verfügt über rund 150.000 Raketen, die zum Teil GPS-gesteuert sind. Ausrüstung und Training liefert der Iran. Würde die Miliz Tausende Geschosse zur gleichen Zeit auf Israel abfeuern, wäre das mehrstufige Raketenabwehrsystem Israels möglicherweise überlastet. Die Hisbollah müsste dann jedoch mit einem vernichtenden Gegenschlag rechnen.

    Wie hoch ist die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes?

    Die Sorgen in Washington, Brüssel und Berlin sind groß. Eine umfassende Eskalation droht vor allem, wenn die israelfeindlichen Kräfte in der Region gleichzeitig den jüdischen Staat angreifen würden. Die „Achse des Widerstandes“ rund um den Iran will Israel vernichten und die Amerikaner aus dem Nahen Osten vertreiben. Ihr gehören neben dem schiitischen Mullah-Regime die radikalsunnitische Hamas, die Hisbollah, schiitische Milizen im Irak und in Syrien sowie die schiitischen Huthis im Jemen an.

    Am Sonntagmorgen soll bereits die proiranische Gruppe „Islamischer Widerstand im Irak“ – ein Zusammenschluss schiitischer Milizen – Drohnen auf Israel abgefeuert haben. Käme es zu einer großen kombinierten Attacke auf Israel, das als Atommacht gilt, würden auch die in der Region stationierten amerikanischen Verbände eingreifen.

    Welche Rolle spielt der Iran?

    Der Iran setzt auf die langfristige Zermürbung Israels. Die Führung des Landes, das wegen der internationalen Sanktionen in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, hat jedoch kein Interesse an einem großen Krieg. Das Mullah-Regime will vor allem eines: überleben.

    Der Iran steckt in einer strategischen Falle. Er hat die Hisbollah, den stärksten nicht staatlichen Akteur in der Region, aufgerüstet. Die Miliz soll Israel abschrecken, sensible Ziele wie die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Wenn die Hisbollah die Attacken auf Israel überzieht und einen vernichtenden Gegenschlag kassiert, würde Teheran nicht mehr über den Schutzwall verfügen.

    Dennoch gibt es ein Risiko. Der oberste Führer Ali Chamenei, der im Iran alle wichtigen Entscheidungen trifft, ist 85 Jahre alt und gilt als gesundheitlich angeschlagen. Militante Kräfte unter den Revolutionsgarden könnten versuchen, eine Schwächephase Chameneis auszunutzen und sich mit Militäraktionen gegen Israel zu profilieren.