Düsseldorf. Als Reaktion auf den Solingen-Terror will die Ampel die biometrische Gesichtserkennung im Netz erleichtern. In NRW hofft die Polizei.

Das NRW-Innenministerium hat Pläne der Bundesregierung für mehr Behördenbefugnisse bei der Gesichtserkennung begrüßt. Erweiterte rechtliche Kompetenzen könnten sich positiv auf die Arbeit der Polizei auswirken, erklärte ein Sprecher von Innenminister Herbert Reul (CDU) auf Anfrage unserer Redaktion. „Beispielsweise könnte eine Gesichtserkennung im Bereich der Gefahrenabwehr dazu beitragen, im Internet öffentlich verfügbare Informationen für den Aufenthalt von vermissten oder gesuchten Personen zu finden.“

Nach dem Attentat von Solingen hatte die Ampel-Koalition in Berlin ein Sicherheitspaket vorgestellt und dabei auch neue gesetzliche Rahmenbedingungen für die Gesichtserkennung angekündigt. Die Polizei soll die Befugnis zum biometrischen Abgleich von allgemein öffentlich zugänglichen Internetdaten erhalten, um die Identifizierung von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen zu erleichtern. Ein entsprechender Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war unter Datenschützern lange umstritten.

Schon heute nutzt die Polizei zwar öffentlich verfügbare Internet-Quellen. Eine systematische, von Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützte Suche nach biometrischen Merkmalen in Fotos und Videos, die in sozialen Netzwerken gepostet werden, war jedoch bislang nicht erlaubt. In NRW hofft man nach dem islamistischen Anschlag von Solingen, dass der Bund nun umgehend den Weg frei macht für ermittlungsunterstützende Gesichtserkennungstechnologie.

Biometrischer Gesichtsabgleich im Netz bringt der Polizei wertvolle Zeit

„Straftäterinnen und Straftäter können nach der Begehung von Raubüberfällen, Messerangriffen, Betrugsdelikten oder Taschendiebstählen durch den Abgleich von Video- oder Bildmaterial der Tatorte mit Bildquellen im Internet schnell identifiziert werden“, erklärte der Reul-Sprecher. Dies könne langfristig auch eine erhebliche Verbesserung der Sicherheitslage an besonders kriminalitätsbelasteten Orten wie beispielsweise Bahnhöfen oder Innenstadt-Bereichen bringen.

In Solingen war der Messer-Attentäter nach dem Mord an drei Menschen noch etwa 24 Stunden auf freiem Fuß, während die Ermittler mühevoll Beweisvideos auswerteten und Spuren sicherten. Nach einem entsprechenden Aufruf waren rund 100 Videodateien und etwa 250 Bilddateien bei der Polizei eingegangen, die von Experten untersucht wurden. Mit einem KI-gestützten, biometrischen Abgleich lässt sich das gesamte Netz deutlich schneller durchsuchen. Vor allem von den US-Strafverfolgungsbehörden ist bekannt, dass sie mit modernster Gesichtserkennungssoftware in Windeseile gigantische Foto-Datenbanken von Facebook & Co durchleuchten können.

In Deutschland gilt es dagegen schon als Erfolg, dass Polizei und Zoll seit gut 15 Jahren bei ihren Ermittlungen Gesichter mit einer Datei abgleichen dürfen, in der mehrere Millionen Personen aufgeführt sind, die schon mal Gegenstand von Ermittlungen waren oder Asyl beantragt haben. Die Möglichkeit, künftig auch Bildquellen im Internet systematischer zu scannen, gilt deshalb als Quantensprung. Datenschützer warnen dagegen vor einem Dammbruch, weil durch technische Fehler unbescholtene Bürger ins Fadenkreuz von Ermittlungen geraten könnten.

Biometrische Gesichtserkennung: Gefahr für unbescholtene Bürger?

Ein Abgleich in Echtzeit ist nach den Ampel-Plänen ohnehin nicht vorgesehen, obwohl die Strafverfolgungsbehörden in anderen Ländern gerade damit positive Erfahrungen gemacht haben. Unter einer „Live-Gesichtserkennung“ würde man die automatische Zuordnung von Fahndungsfotos zu Aufnahmen aus Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen verstehen. Das EU-Recht lässt dies bislang nur auf richterliche Anordnung in Ausnahmefällen zu.

In Düsseldorf sieht man gleichwohl die Chancen der technischen Revolution: „Die Echtzeiterkennung kann die Sicherheitsbehörden beispielsweise bei Fahndungen nach bekannten Straftäterinnen und Straftätern automatisiert warnen und dadurch Hinweise auf den Aufenthaltsort einer gesuchten Person geben. Insbesondere an Orten mit erhöhten Sicherheitsanforderungen wie Flughäfen, Bahnhöfen oder bei Großveranstaltungen stellt dies ein effektives Mittel zur Verbrechensbekämpfung und -verhütung dar“, so das NRW-Innenministerium.

Grundsätzlich entfalle durch die Nutzung von Gesichtserkennungssoftware die zeitaufwändige, manuelle Durchsicht von Bildmaterial. „So können Ermittlerinnen und Ermittler entlastet werden und bekommen Freiraum für anderweitige kriminaltaktische Maßnahmen.“ Die bislang ungenutzten Möglichkeiten des biometrischen Foto-Abgleichs hatte zu Jahresbeginn die Festnahme der früheren RAF-Terroristin Daniela Klette einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt. Ein Journalist hatte alte Fahndungsfotos der vor 30 Jahren untergetauchten Frau durch KI mit aktuellen Aufnahmen im Netz abgleichen lassen und binnen weniger Stunden deren Aufenthaltsort in Berlin herausgekriegt.