Düsseldorf. In der Abschiebungsnacht kurz verschwunden, danach unbehelligt und später legal in Deutschland: Die Chronik eines Scheiterns in NRW.

Die gescheiterte Abschiebung des Messer-Attentäters von Solingen ist das Ergebnis einer ganzen Kette von Behördenversäumnissen. Das hat NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) erstmals am Dienstagnachmittag eingeräumt.

So sollte der 26-jährige Syrer am 5. Juni 2023 nachts zum 2.30 Uhr von der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld (ZAB) aus der Landesflüchtlingsunterkunft Paderborn abgeholt werden, um mit einer Linienmaschine um 7.20 Uhr ab Düsseldorf nach Sofia ausgeflogen zu werden. Bulgarien war für das Asylverfahren des Mannes zuständig, weil er dort erstmals in die EU eingereist war.

Der Syrer wurde jedoch ausgerechnet in dieser Nacht nicht angetroffen. Am Vortag war er noch da, sogar am Mittag des Abschiebetags tauchte er auch wieder auf. Die Leitung der Landeseinrichtung meldete das Wiederauftauchen des Abschiebekandidaten jedoch nicht der für die Rücküberstellung nach Bulgarien zuständigen ZAB in Bielefeld. „Es ist ein Versäumnis und wir regeln das jetzt klar“, kündigte Paul an.

Flüchtlingsheim Paderborn sagte Behörde in Bielefeld nichts

Ob der spätere Attentäter gewarnt wurde, konnte das Ministerium nicht sicher sagen. Normalerweise werden auch Rücküberstellungen innerhalb der EU weder dem Betroffenen noch der Einrichtungsleitung mitgeteilt. Die Zentralen Ausländerbehörden sollen jetzt einen direkten Zugriff auf das Anwesenheitsportal der Landeseinrichtungen bekommen, um darüber informiert zu sein, wenn Abschiebekandidaten zum Essen und Schlafen wieder auftauchen.

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Obwohl der nächtliche Zugriff in Paderborn scheiterte, unternahm die ZAB ihrerseits keinen einzigen weiteren Überstellungsversuch nach Bulgarien. Man ging davon aus, dass bis zum 20. August 2023 ohnehin kein Flug organisiert werden könnte. An diesem Tag endete die sechsmonatige Frist, innerhalb derer EU-Staaten untereinander Flüchtlinge zurückführen können. Pikant: Wäre der Solinger Attentäter, der damals noch nicht als Gefährder galt, offiziell als „untergetaucht“ eingestuft worden, hätte sich die Frist auf 18 Monate verlängert.

Nur ein Versuch, den Solinger Attentäter nach Bulgarien auszufliegen

„Die Erkenntnis daraus, dass hier nicht regelhaft sofort nach einer gescheiterten Rücküberstellung eine weitere Flugbuchung vorgenommen worden ist, ist für uns Anlass zu sagen: Das muss regelhaft auch so sein“, kündigte Paul Nachbesserungen an. Sie verwies zugleich darauf, dass das Überstellungssystem innerhalb der EU „dysfunktional“ sei und gerade Rückführungen nach Bulgarien bürokratische Hürden hätten. Sofia akzeptiere nur den Lufttransport über Linienmaschinen, und das auch nur an bestimmten Tagen mit einwöchiger Voranmeldung.

Nach der gescheiterten Überstellung fiel die Zuständigkeit für das Asylverfahren wieder an Deutschland, wo dem Syrer am 13. Dezember 2023 ein vorläufiger Schutzstatus gewährt wurde und ein Heimplatz in Solingen sicher war. Die Behördenversäumnisse haben am Donnerstag ein parlamentarisches Nachspiel in einer Sondersitzung des Innen- und Integrationsausschusses im Landtag.

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