Berlin. Es gibt Berichte, wonach Russland und Ukraine zaghaft Kontakte knüpfen wollten. Nun schaltet Putin auf stur. Sein Fokus: Rache für Kursk.
Die ukrainische Armee rückt in Kursk vor. Im Westen haben viele Experten ihre Skepsis nicht abgelegt. Sie befürchten, dass die Ukraine sich mit der seit zwei Wochen andauernden Offensive in Russland militärisch überdehnt.
Vor allem könnte sie sich politisch verspekuliert haben. Denn: Kremlchef Wladimir Putin ist nicht zu Verhandlungen bereit, jetzt erst recht nicht. Daran lässt Russlands Außenminister Sergej Lawrow keine Zweifel aufkommen: „Der Präsident hat sehr deutlich gesagt, dass nachdem die Angriffe, genauer gesagt die Invasion im Gebiet Kursk begonnen hat, von Verhandlungen keine Rede sein kann.“
Als die „Washington Post“ am Samstag berichtete, dass die Kriegsgegner Geheimgespräche anvisiert hatten – in Katar, noch im August –, reagierte Moskau mit einem knallharten Dementi: „Niemand hat etwas zunichtegemacht, weil es nichts gab, das man hätte vereiteln können“, behauptete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Wochenende.
Nicht Frieden, sondern Rache
Inzwischen stellt sich das differenzierter dar. Sie hatten wohl Gespräche anvisiert, aber nicht avisiert – nicht angekündigt. Und es sieht so aus, als werde der Plan nicht weiterverfolgt. Kremlberater Juri Uschakow lehnte am Montag im Onlinedienst Telegram Gespräche ab. „Angesichts dieser Eskapade werden wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht reden.“ Die „New York Times“ zitiert einen hochrangigen Beamten aus dem Kreml mit den Worten, Putins Fokus liege jetzt „nicht auf Frieden, sondern auf Rache“.
Die Ukraine wollte bessere Verhandlungsposition
Putin selbst hatte nach der Offensive öffentlich erklärt, der Feind versuche offenbar, seine Verhandlungsposition für die Zukunft zu verbessern. Putin: „Worüber soll man mit ihnen überhaupt reden?“
Erst im Juli hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in der BBC gesagt, er habe einen Plan, um die heiße Phase des Ukraine-Krieges bis Jahresende zu beenden. Er glaube, dass es möglich sei, sich auf eine diplomatische Lösung zu einigen.“ Es gibt in der Ukraine Politiker, die Putin durchweg den Willen zum Frieden absprechen; und welche, die davon ausgehen, dass er nur eine Sprache versteht, die der Stärke.
Wie druckempfindlich ist Putin?
Heute ahnt man, dass zu diesem Zeitpunkt längst die Offensive vorbereitet wurde. Womöglich war das Hauptkalkül, die Ausgangslage für Verhandlungen zu verbessern. Ausdrücklich sollten die Partner Druck ausüben, so Selenskyj damals, „damit Russland sich bereit erklärt, sich hinzusetzen und über das Ende des Krieges nachzudenken.“
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Nach Beginn der Offensive am 6. August schob er viele weitere Begründungen nach: Den Krieg ins Land des Feindes zu verlagern, die Schaffung einer Pufferzone, um sich die Artillerie des Feindes auf Distanz halten und seine Versorgungslinien zu stören. Als die Ukrainer viele Gefangene machte, wurde auch darin eine Chance gesehen, als „Austauschfonds“ (Selenskyj).
Keine Seite hat einen kriegsentscheidenden Vorteil
Inzwischen hat die Ukraine mehr Landgewinne gemacht als die Russen mit der gesamten Awdijiwka-Offensive der letzten Monate. Die Fachleute vom amerikanischen Institute for the Study of War rufen aber in Erinnerung, dass beiden Seiten die Fähigkeit zu einer kriegsentscheidenden Operation fehle. Es sei zu früh, die Kursk-Offensive auf der einen Seite und den russischen Vormarsch in der Ostukraine auf der anderen Seite zu beurteilen.
Besser beurteilen lässt sich, welche Chance politisch vertan wurde. In Katar wollten beide Seiten einen Anfang machen. Das Grundprinzip solche Kontaktanbahnungen ist immer, nicht mit der schwierigsten Frage anzufangen: Sieg oder Niederlage.
Man nimmt sich erst mal leichtere Themen vor, den Schutz von Denkmälern und Kirchen etwa. In Kater wollten die Diplomaten laut „Washington Post“ über die Energie reden, eine Art Stillhalte-Abkommen: Jede Seite sollte sich dazu verpflichten, ihre Angriffe auf die Energieinfrastruktur einzustellen.
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Rückt eine Feuerpause in weite Ferne?
Für die nächsten Schritte wurden schon weitere Themen angedacht: die Nahrungsmittelsicherheit, der Umgang mit Gefangenen, das Schicksal verschleppter Kinder. Danach wäre vielleicht eine Feuerpause in Betracht gekommen. So wäre man im Idealfall einem Ende des Krieges nähergekommen.
Schon einmal hatten beide Seiten miteinander verhandelt, gleich wenige Wochen nach Kriegsbeginn. Die Bemühungen scheiterten unter anderem daran, dass die Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft oder alternativ eine internationale Sicherheitsgarantie pochte. Zuletzt hatte Putin für einen Frieden massive Gebietsabtretungen gefordert.
Selenskyj geht auch politisch ins Risiko
Im Juni hatte Selenskyj zu einem Gipfeltreffen mit 92 Staaten in die Schweiz eingeladen, der zwei Geburtsfehler hatte: Es fehlte mit China eine wichtige Ordnungsmacht und mit Russland das Land, das er zum Frieden bewegen wollte. Viele andere Staaten beteiligten sich zwar, achteten aber auf ihre Neutralität und weigerten sich insbesondere, eine Erklärung zu unterzeichnen, darunter Indien, Indonesien, Saudi-Arabien und Südafrika. Danach sah Selenskyj ein: Beim nächsten Gipfel solle Russland dabei sein.
Als die Ukraine stattdessen die Region Kursk angriff, ließ sich Selenskyj auf ein riskantes Spiel ein, militärisch wie politisch. Es erscheint glaubhaft, dass wichtige westliche Partner von den Plänen für eine Kursk-Offensive nichts wussten. Sie wären womöglich auf Ablehnung gestoßen, auch in den USA. Nach nunmehr zwei Wochen ist klar, dass es nicht ein kurzer Überfall werden sollte und die ukrainische Armee das Gebiet auf unbestimmte Zeit halten will. Bis Putin sich zu Verhandlungen bereit erklärt?
„Eine Frage des Preises für den Sieg“
Kenner des Kremls gehen von einem anderen Szenario aus: „Putin ist bereit, einen noch höheren Preis zu zahlen“, sagte Tatiana Stanovaya vom Carnegie Russia Eurasia Center der „New York Times“. „Für Putin ist das einfach eine Frage des Preises für den Sieg.“
Die Gespräche in Katar – vertan. Kremlberater Juri Uschakow hält es für „völlig unangebracht, in einen Verhandlungsprozess einzutreten“. Der Beginn von Gesprächen hänge „von der Situation im Kampfgebiet ab, auch in der Region Kursk“.
Putin selbst ist auf Friedensmission unterwegs – in Aserbaidschan. Er hat sich als Vermittler im Konflikt mit dem Nachbarland Armenien angeboten. Über die Ukraine hat er in den letzten Tagen kein Wort verloren.
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