Berlin. Die EU-Vizepräsidentin über den Stand der Gleichstellung, Kamala Harris und ein Erlebnis im Parlament, das sie nicht mehr vergisst.
Starke Frauen = gute Politik? Die Rechnung geht nicht automatisch auf. Alice Weidel, Marine Le Pen und Giorgia Meloni, die Frontfrauen der rechtsextremen Bewegung in Europa, hält Katarina Barley (SPD) auch deshalb für gefährlich, weil sie ihre Erbarmungslosigkeit „mit einem Lächeln versehen und ihr so die Härte nehmen“. Ein Gespräch mit der Vizepräsidentin des Europaparlaments über die Grausamkeit rechter Frauen, den Stand der Gleichstellung – und Barleys Großvater.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie weit sind wir in puncto Feminismus heute?
Katarina Barley: Wenn wir bedenken, wo wir hinwollen, sind wir bei einer 6 bis 7. Es geht mir nicht nur um das objektiv Erreichte, sondern es geht mir auch um die Mentalität, die dahinter liegt. Ein Beispiel: Wir Frauen schaffen es inzwischen in Vorstandsetagen. Aber es ist nicht selbstverständlich, und wir werden dort immer noch anders als Männer und viel kritischer beäugt. Das gehört für mich mit dazu.
Könnte Kamala Harris aus der 6 bis 7 eine 8 machen?
Sie könnte. Spannend ist, ob ihr jetzt das gleiche passiert wie Hillary Clinton. Da haben viele gesagt, irgendwas an ihr gefällt mir nicht. Das ist das, was vielen Frauen passiert. Man hat die Qualifikation, man hat die Umgangsformen, man hat die Sprachkenntnisse, man hat alles. Aber irgendwas stimmt angeblich nicht. Da ist man doch zu dies, zu das oder zu wenig dies und zu wenig das. Ich hoffe, Kamala Harris kommt da souverän durch. Ich finde es beeindruckend, wie sie es angeht und auch Frauenthemen in den Vordergrund stellt. Das kann gegen einen Mann wie Donald Trump helfen.
Als Frauenministerin haben Sie schon Diskussionen über Lohnunterschiede geführt, den Gender Pay Gap gibt es 2024 immer noch. Woran hakt es?
Daran, dass die Berufe, die typischerweise oder überwiegend von Frauen ausgeübt werden, anders gewertet werden als die von Männern. Das ist der wichtigste Punkt. Jobs in der Dienstleistungsbranche oder in der Pflege beispielsweise. Manche dieser Berufe sind früher von Nonnen übernommen worden. Die haben das für Gotteslohn getan. Also unbezahlt. Diese Berufe genießen leider kein großes Ansehen. Ein Riesensprung zugunsten der Frauen fand in Deutschland statt, als der Mindestlohn eingeführt wurde. Warum? Weil diejenigen, die für 5,50 Euro damals in Bäckereien Brötchen verkauft haben, Frauen waren.
Ihre Oma war Lehrerin, ihr Opa konnte ihr damals verbieten zu arbeiten. Welches Gesetz hat die Gleichberechtigung am meisten gefördert?
Mein Großvater konnte es nicht nur, er hat das auch getan. Dabei war er ein lieber, sanfter Mann. Ich habe das nie überein gekriegt. Dahinter stand wohl der Anspruch, seine Familie ernähren zu können. Es ging um das Image nach außen. Einer der wichtigsten juristischen Meilensteine fand im Familienrecht statt. Früher wurde, wer aus der Ehe ausbrach, „schuldig geschieden“ und blieb ohne Ansprüche, bezüglich der Kinder oder finanziell. Die Abschaffung dieses Schuldprinzips hat Frauen befreit. Weil sie nicht mehr in unglücklichen Beziehungen gefangen waren.
Sie hatten ab dann die Chance, zu gehen, wenn sie unglücklich waren und etwas anderes anfangen wollten mit ihrem Leben. Und stolz bin ich auf die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses. Das klingt nach einem Detail, aber die Quintessenz ist, dass Alleinerziehende, wo der andere Elternteil – in der Regel der Vater – nicht zahlte, den Vorschuss vom Jugendamt bekommt. Damit haben Alleinerziehende wieder Luft zum Atmen.
Brauchen wir eine Elternquote in der Bundesregierung?
Ich bin keine Freundin von zu vielen Quoten, weil man die irgendwann alle nicht mehr übereinander bekommt. Aber die grundsätzliche Überlegung ist richtig. Ich sehe das bei Hubertus Heil, der zwei wunderbare Kinder hat, die relativ klein sind. Er bringt seine Perspektive immer wieder in die Diskussion ein. Sehr hilfreich. Es ist gut, heute mehr Männer zu haben, die Verantwortung in der Erziehung übernehmen.
Mehr Männer in der Care Arbeit wären in jedem Fall gut. Wir haben zu wenig Kitaplätze und zu wenig Erzieher. Warum benötigen Veränderungen so viel Zeit?
Es geht um Wertschätzung, die sich gesellschaftlich und finanziell ausdrücken muss. Und leider ist der Lobbydruck ein anderer. Nicht umsonst hieß es kürzlich: Schade, dass Pflegekräfte oder Erzieher*innen keinen Trecker fahren. Was dann auf einmal ganz schnell geht, wenn man richtig Lärm macht und laut ist auf eine Art und Weise, die inhaltlich nicht zwingender ist als die Argumente von anderen Berufsgruppen…
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Wie sähe die weltpolitische Lage bei einer Parität in sämtlichen Entscheidungs- und Führungsebenen der Politik aus – wäre sie anders?
Das ist die große Frage. Nur eine Frau an der Spitze zu haben, löst das Problem nicht. Auch Frauen sind sehr unterschiedlich. In Europa stehen an der Spitze der rechtsextremen Bewegung zum Teil Frauen – und die sind mit die gefährlichsten, weil sie die inhaltliche Grausamkeit und Erbarmungslosigkeit mit einem Lächeln versehen und ihr so die Härte nehmen. Das geschieht sehr bewusst, dass die Brutalität mit einem weichen, manchmal mütterlichen, freundlichen Gesicht daherkommt. Ein großes Problem.
In der Entwicklungszusammenarbeit sieht man aber die Tendenz: Geht das Geld an Projekte, bei denen Frauen die Verantwortung tragen, dann kommt viel mehr raus für die Gesellschaft. Ist statistisch erwiesen. Weil Frauen damit Projekte für die Gemeinschaft fördern und solche, die allen helfen, sich weiterzuentwickeln. Während Männer häufig punktuell etwas machen – und sehr auf sich selbst fokussiert. Insofern täte es der Gesellschaft gut, wenn mehr Frauen an Bord wären.
Sie haben die rechten Frauen erwähnt. Im neugewählten Europaparlament konnte die AfD die Zahl ihrer Mandate steigern. Erleben Sie schon eine Veränderung der Stimmung?
Oh ja, das war schon in der ersten Debatte spürbar. Wir hatten vorher zwei rechtsextreme Fraktionen, jetzt haben wir drei. Und die Dritte, da haben sich die zusammengetan, mit denen sonst wirklich überhaupt niemand mehr etwas zu tun haben wollte. Das sind die Extremsten der Extremen, die Rechtsausleger der Rechtsausleger – und von denen hat eine Abgeordnete Ursula von der Leyen auf eine Art und Weise persönlich attackiert: Puh, da ist mir das Blut in den Adern gefroren. Auf solche Dinge müssen wir uns jetzt vermehrt einstellen.
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Wie reagieren Sie bei persönlichen Attacken?
Viktor Orban hat mich mal neben Adolf Hitler in der Budapester Metro groß plakatieren lassen an den Haltestellen. Das war nicht schön, aber ich werde mich nicht einschüchtern lassen.
Katarina Barley (SPD), Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, diskutiert beim FEMALE FUTURE FORCE DAY am 12. Oktober 2024 im bcc Berlin über Ungleichheit in Deutschland und Europa. Der FFF Day ist eine Veranstaltung der FUNKE MEDIENGRUPPE, zu der auch diese Redaktion gehört. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet ein vielfältiges Programm auf mehreren Bühnen sowie ausreichend Gelegenheit zum Netzwerken. Mehr Informationen unter www.fffday.com