Essen. Kritiker des Bürgergelds kochen das Thema gezielt hoch. Doch nur auf die (relativ wenigen) Ausnutzer des Sozialsystems zu zeigen, reicht nicht.
Steter Tropfen höhlt den Stein: Über Monate hatten Vertreter von Union und FDP im Einklang mit Boulevard-Medien von Menschen berichtet, die das Bürgergeld angeblich ausnutzen. Ihre Kampagne zeigt längst Wirkung: Die Ampel hat das Bürgergeld verschärft; unter anderem müssen Arbeitsfähige bis zu drei Stunden Fahrtwege in Kauf nehmen.
Doch das reicht den Kritikern des Bürgergelds nicht. Sie wollen das neue Hartz IV der „Ampel“ komplett abschaffen. Und dann?
Allein dem Arbeitnehmerflügel der Union wird bei dem Gezeter mulmig. CDU-Sozialpolitiker wie Karl-Josef Laumann warnen vor dem Vorführen von Menschen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind: etwa Kranke, Alleinerziehende, Menschen mit kleiner Rente. Seinem Partei-General Carsten Linnemann scheint das aber egal. Anti-Bürgergeld-Stimmung soll sich schließlich im Ost-Wahlkampf auszahlen.
Abstauber des Steuersystems dürfen nicht ungeschoren bleiben
Keine Frage: Wer arbeiten kann, aber nicht will, dem muss die Agentur für Arbeit auf die Füße treten. Schon jetzt gibt es gute Instrumente dafür, doch davon redet kaum jemand. Das Thema Bürgergeld wurde so lange derart hochgekocht und in Misskredit gebracht, dass deren Befürworter kaum noch Gehör finden. Laut einer jüngsten Umfrage sind viele Menschen beim Bürgergeld skeptisch. Hatte jemand was anderes erwartet bei einer bestellten Umfrage?
Es ist schäbig, wenn man nur die (relativ wenigen) Ausnutzer des Sozialsystems vorführt und die zahllosen Abstauber des Steuersystems ungeschoren lässt. Kluge Politik muss hier die Balance schaffen: Fordern und fördern bei den Menschen im niedrigen Lebensstandard, zugleich aber auch finanzielle Solidarität einfordern bei denen, die mehr als genug auf dem Konto haben. Sozialdemokratisch nannte man das früher einmal. Oder christlich.