Moskau. Die USA und Russland haben 26 Gefangene ausgetauscht – darunter US-Journalist Evan Gershkovich. Putin presst auch den „Tiergartenmörder“ frei.

Nun ist es offiziell: Beim größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Krieges haben am Donnerstag nach türkischen und russischen Angaben 26 Inhaftierte aus sieben Staaten die Seiten gewechselt. Bei dem in Ankara vollzogenen Austausch kam auch der in Belarus zum Tode verurteilte und nun von Präsident Alexander Lukaschenko begnadigte Deutsche Rico Krieger frei, wie das türkische Präsidialamt mitteilte. Der amerikanische Reporter Evan Gershkovich, der in Russland einsaß, ist ebenfalls wieder in Freiheit.

US journalist Evan Gershkovich soll schon das Gefängnis verlassen haben.
US journalist Evan Gershkovich soll schon das Gefängnis verlassen haben. © AFP | ALEXANDER NEMENOV

Russland ließ auch russische Regimekritiker frei, konnte seinerseits aber die Überstellung des sogenannten „Tiergartenmörders“ Wadim Krassikow erreichen, der in Deutschland inhaftiert war. 2021 hatte ihn das Berliner Kammergericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Krassikow 2019 im Berliner Tiergarten im Auftrag staatlicher Moskauer Stellen aus Rache einen georgischen Staatsbürger erschossen hatte.

Gefangenenaustausch: Biden äußert sich, Scholz soll Rückkehrer persönlich treffen

Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit teilte am späten Nachmittag in einer schriftlichen Erklärung mit: „Die Bundesregierung hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht.“ Hebestreit ergänzte: „Dem staatlichen Interesse an einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe eines verurteilten Verbrechers standen die Freiheit, das körperliche Wohlergehen und – in einigen Fällen – letztlich auch das Leben unschuldig in Russland inhaftierter Personen und zu Unrecht politisch Inhaftierten gegenüber.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die Rückkehrer am späten Abend am Flughafen Köln-Bonn in Empfang nehmen. In einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden habe dieser ihm gesagt, dass er „sehr dankbar ist für die Kooperation unserer beiden Länder in dieser wichtigen Angelegenheit“ sei, so Scholz. Zur Freilassung des „Tiergartenmörders“ sagte Scholz: „Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht.“

Die USA erreichten neben der Freilassung des „Wall-Street-Journal“-Korrespondenten Gershkovich auch die des früheren Marinesoldaten Paul Whelan. Neben Gefangenen aus Russland und den USA waren nach türkischen Angaben Inhaftierte aus Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen und Belarus beteiligt. Insgesamt 13 Personen würden nach Deutschland gebracht und drei in die USA. Im Gegenzug gelangten zehn Personen nach Russland, darunter verurteilte Spione.

Die Freilassung der beiden US-Amerikaner aus Russland sei Teil eines größeren Gefangenenaustausches, teilte US-Präsident Joe Biden in einer schriftlichen Stellungnahme mit. „Wir haben die Freilassung von 16 Personen aus Russland ausgehandelt, darunter fünf Deutsche und sieben russische Staatsbürger, die in ihrem eigenen Land politische Gefangene waren.“

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Russland und der Westen mit Deal: Welche Gefangenen ausgetauscht wurden

Den ganzen Donnerstag über hatten sich die Spekulationen über den Austausch verdichtet. Zuerst berichteten US-Medien, Gershkovich und Whelan würden an die USA übergeben und zu Zielen außerhalb Russlands geschickt. Dann gab es Informationen, der Austausch werde in der türkischen Hauptstadt Ankara stattfinden, das Flugzeug sei laut dem Portal „Flightradar“ mit 30 Minuten Verspätung gelandet. Und schließlich gab es im türkischen TV erste Bilder. „Im Fernsehen ist zu sehen, wie Austauschteilnehmer in Begleitung von Menschen in Zivil aus Jets aussteigen. Die Austauschteilnehmer tragen keine Handschellen“, berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax.

Evan Gershkovich war im Juli wegen Spionage zu 16 Jahren Straflager verurteilt worden. Der Journalist, seine Zeitung und auch die US-Regierung hatten die Vorwürfe als haltlos zurückgewiesen. Paul Whelan war gleichfalls Spionage verurteilt worden. Auch er bestreitet den Vorwurf. Die USA wiederum lieferten unter anderen Wladislaw Klijushin aus, einen russischen Geschäftsmann, der im September 2023 wegen Wertpapierbetrugs zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden war.

Aber auch russische Oppositionspolitiker sind unter den Ausgetauschten. Darunter ist Wladimir Kara-Mursa, der zu 25 Jahren verurteilt war. Und Ilja Jaschin, der im Dezember 2022 wegen angeblicher Verbreitung falscher Informationen über die russische Armee zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Neben einigen anderen wurde auch die Künstlerin Alexandra Skotschilenko freigelassen. Sie hatte gegen den Krieg in der Ukraine protestiert.

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Auch türkischer Geheimdienst war wohl beteiligt

Doch wie kam der Austausch zustande? Die Endphase hatte wohl der er türkische Geheimdienst MIT organisiert. Er teilte mit, dass insgesamt sieben Flugzeuge beteiligt gewesen seien. Es sei ein historischer Gefangenenaustausch gewesen. Im Hintergrund allerdings liefen schon länger zwischen Russland und den USA Verhandlungen über einen möglichen Austausch des Journalisten Gershkovich.

Russlands Präsident Wladimir Putin selbst hatte im Februar einen möglichen Austausch ins Spiel gebracht. In einem Interview mit dem rechten US-Moderator Tucker Carlson sagte er: „Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten.“ Der russische Außenminister Sergej Lawrow bestätigte später, dass es grundsätzlich Kontakte zwischen den Geheimdiensten Russlands und der USA gebe. „Die Geheimdienste beider Länder stehen im Einvernehmen mit den Präsidenten Wladimir Putin und Joe Biden seit Juni 2021 in Kontakt, um zu prüfen, ob jemand gegen einen anderen ausgetauscht werden kann.“

In Russland wurde wohl hin und her diskutiert, das berichtet das Online-Medium „Verstka“ unter Berufung auf Gesprächspartner aus Geheimdienstkreisen. Hemmschuh sei der Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny gewesen, dessen Tod „den Fortschritt der Verhandlungen negativ beeinflusst und sie verlangsamt“ habe, zitiert Verstka seine Gesprächspartner. Ursprünglich sei wohl auch Nawalny Teil des Austausch-Plans gewesen. Ende Juni bis Anfang Juli dieses Jahres seien dann Vereinbarungen getroffen worden. Veränderungen in der Führung des Inlandsgeheimdienstes FSB hätten das Ganze beschleunigt. Alles sei dann „viel schneller“ verlaufen.

Öffentlich wurden die Spekulationen in den vergangenen Tagen, als insgesamt acht prominente russische Oppositionelle aus Straflagern und Gefängnissen an unbekannte Aufenthaltsorte verlegt wurden. Alle waren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. „Anscheinend stehen wir vor einem groß angelegten Gefangenenaustausch“, sagte damals die russische Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja, die im Exil lebt, auf ihrem Telegram-Kanal. Wie sich nun herausstellte, hatte sie recht.

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