Berlin. Arbeitslose Geflüchtete zurück in die Ukraine? Die meisten sind Frauen mit Kindern. Gerade die finden schwer einen Job. Woran das liegt.
Wenn man mit Viktoriia Harmash sprechen möchte, dann geht das immer nur nachmittags. Denn vormittags ist die 37-Jährige im Sprachkurs. Ihr Ziel: Sprachniveau B2. Im September stehen die Abschlussprüfungen dafür an. Seit etwas mehr als zwei Jahren ist die Ukrainerin mittlerweile in Deutschland. Ihre Heimatstadt Kupjansk liegt nur wenige Kilometer von der Front entfernt. Vor dem Krieg lebten in dem Ort in der Region Charkiw knapp 30.000 Menschen. Mittlerweile sind viele geflohen – genau wie Harmash und ihr 15 Jahre alter Sohn Yuriy.
Bereits kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine beschloss Harmash, gemeinsam mit ihrem Sohn nach Deutschland zu gehen. Zunächst kamen sie bei Verwandten in der Nähe von Kiel unter, später bei einer deutschen Familie. Mittlerweile haben die beiden eine eigene kleine Wohnung gefunden, in Norderstedt, nicht weit von Hamburg. Seit etwas mehr als einem Jahr lebt die kleine Familie nun dort, Yuriy geht zur Schule, Harmash in den Sprachkurs. „Am Anfang war es sehr schwer, aber mittlerweile sind wir hier angekommen“, erzählt die 37-Jährige. Was ihr bisher jedoch fehlt? Ein Job.
27 Prozent der ukrainischen Staatsangehörigen in Deutschland haben einen Job
Genau wie Harmash haben viele Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland bisher noch keine Arbeit gefunden. Nach aktuellen Zahlen der Agentur für Arbeit arbeiteten im April dieses Jahres etwa 27 Prozent der ukrainischen Staatsbürgerinnen und -bürger in Deutschland. Diese Zahlen beinhalten auch alle diejenigen, die bereits vor 2022 in Deutschland gelebt haben – diese Gruppe macht allerdings nur einen sehr kleinen Prozentsatz aus.
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Die Bundesregierung ist nach eigenen Worten „zuversichtlich, dass mehr aus der Ukraine geflüchtete Menschen eine Arbeit aufnehmen werden“. Einigen Politikern geht das allerdings nicht schnell genug. Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, forderte vergangenen Monat etwa, nicht arbeitende Geflüchtete in die Ukraine zurückzuschicken. Doch bei einem Großteil der Geflüchteten handelt es sich um Frauen – viele von ihnen mit Kindern. Laut Bundesagentur für Arbeit sind zwei Drittel der rund 743.000 aus der Ukraine nach Deutschland geflüchteten Menschen im erwerbsfähigen Alter weiblich. Und gerade die haben oft Probleme, einen Job zu finden.
Größtes Problem für ukrainische Frauen ist die fehlende Kinderbetreuung
„Geflüchtete Frauen haben es grundsätzlich schwerer, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagt Yulia Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs Migration und Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das zeige sich auch in den Beschäftigungsquoten. Ukrainerinnen würden insgesamt seltener arbeiten als Ukrainer. „Wenn man dann noch den Kinderstatus dazurechnet, sinkt die Zahl noch einmal“, erklärt Kosyakova.
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Eines der größten Probleme sei die fehlende Kinderbetreuung, sagt die Wissenschaftlerin. Und zwar nicht nur bei Kindern, die noch nicht in die Schule gehen würden, sondern auch bei älteren Kindern. „Wenn man da keinen Hortplatz hat, ist selbst eine Tätigkeit in Teilzeit schwierig“, führt die Expertin aus. Dazu komme, dass gerade Geflüchtete mit Kindern seltener oder erst später Sprachkurse besuchen würden – und entsprechend erst später in den Arbeitsmarkt eintreten könnten.
„Ich will gerne arbeiten, aber es dauert einfach alles sehr lange“
So ging es auch Liliia P. Die 35-Jährige aus Kiew lebt gemeinsam mit ihrer neun Jahre alten Tochter in der Nähe von München. Im April 2022 floh sie nach Deutschland, ihr Mann blieb in der Ukraine. „Ich musste sehr lange warten, bis ich für meine Tochter einen Platz bei der Mittagsbetreuung bekommen habe“, erzählt sie. Deswegen habe sie am Anfang auch keinen Sprachkurs besuchen können. Zu Beginn habe sie deswegen nur zu Hause Deutsch gelernt. Mittlerweile habe sie das Sprachniveau B2, erst vor wenigen Tagen habe sie die Nachricht bekommen, dass sie bestanden hat, erzählt sie. Doch um in ihrem Beruf zu arbeiten, reicht das noch nicht. P. ist Zahnärztin, hatte acht Jahre Berufserfahrung in der Ukraine.
„Das Problem ist, dass es in medizinischen Berufen viele komplizierte Fachbegriffe gibt“, erzählt sie. Deswegen müsse sie noch einen zusätzlichen Fachsprachkurs absolvieren. Anschließend könnte sie dann eine Berufserlaubnis bekommen, um zumindest als Assistentin zu arbeiten. Das sei jetzt ihr nächster Schritt. Um als Zahnärztin tätig zu sein, müsse sie dann aber noch die Approbation in Deutschland erhalten – wofür eine weitere Prüfung notwendig sei. „Ich will gerne arbeiten, aber es dauert einfach alles sehr lange“, sagt sie. Die Bürokratie in Deutschland sei sehr kompliziert.
Frauen häufig in anderen Berufssegmenten tätig als Männer
Und selbst wenn, könne sie wahrscheinlich erst mal nur in Teilzeit arbeiten. Nachmittags müsse sie sich um ihre Tochter kümmern und sie unterstützen. „Wenn sie älter ist, ist das wahrscheinlich einfacher“, sagt sie. Auf die Frage, ob sie schneller hätte arbeiten können, wenn sie kein Kind gehabt hätte, sagt sie: „Bestimmt. Aber so ist es meine Priorität, dass es meiner Tochter gut geht.“
Frauen hätten auch deswegen mehr Probleme, vorherige Arbeitserfahrung in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren, weil sie in der Regel in anderen Berufssegmenten tätig seien als Männer, erklärt Expertin Kosyakova. Dazu gehörten zum Beispiel Gesundheit und Bildung. „Gerade diese Bereiche sind in Deutschland stark reglementiert, die Anerkennung von Berufserfahrung ist langwierig und es besteht ein hohes Risiko der Nicht-Anerkennung“, so Kosyakova. Zudem sei oft ein höheres Deutsch-Niveau notwendig.
Hinzu komme, dass der psychische Gesundheitszustand von geflüchteten Frauen häufig schlechter sei als der von Männern. Frauen hätten außerdem weniger soziale Kontakte, vor allem solche, die für den Arbeitsmarkt relevant seien. Aus Sicht der Expertin wäre es deswegen wichtig, insbesondere Frauen mit kleinen Kindern frühzeitig in die entsprechenden Systeme zu integrieren. „Dafür braucht es flexiblere Angebote, zum Beispiel beim Spracherwerb“, sagt Kosyakova. „Außerdem braucht es bessere psychologische Betreuung und mehr professionelle Unterstützungsstrukturen.“
„Wünsche ich mir natürlich sehr, dass ich ihn auch in Deutschland weitermachen kann“
Viktoriia Harmash möchte sich von all den Hürden nicht abhalten lassen. „Natürlich will ich wieder arbeiten. Ich möchte gerne nützlich sein und etwas beitragen“, sagt sie. Wenn sie ihren Sprachkurs bestanden hat, möchte sie sich für eine Umschulung bewerben. Denn: Harmash hat in der Ukraine zwar eine Ausbildung als Sanitäterin gemacht, allerdings nicht lange in dem Beruf gearbeitet. Stattdessen war sie in einem Immobilienbüro tätig. In der Ukraine brauchte sie dafür keine zusätzliche Ausbildung, in Deutschland allerdings schon. „Ich liebe meinen Beruf, deswegen wünsche ich mir natürlich sehr, dass ich ihn auch in Deutschland weitermachen kann“, sagt die 37-Jährige. Vor ein paar Monaten sei sie auf einer Jobmesse in der Region gewesen, erzählt sie, und habe sich über ihre Möglichkeiten informiert.
Eine Ausbildung würde allerdings auch bedeuten, dass sie ihren Sohn öfter allein lassen müsste. „Er ist jetzt in der Pubertät und manchmal denke ich, die Pubertät ist das schwierigste Alter“, sagt sie lachend. Aber sie will es trotzdem versuchen, auch wenn es nicht leicht wird. „Ich habe ja auch keine andere Wahl“, stellt sie fest. Dann muss Harmash los, sie habe noch einen Termin, sagt sie. Um ihr Zeugnis ins Deutsche übersetzen zu lassen.
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