Berlin. Beim Thema Migration und Asyl ist in Deutschland Druck auf dem Kessel. Wo es vorangeht und wo die Ampel-Politik scheitert – ein Überblick.
Beim Thema Migration und Asyl ist in Deutschland weiterhin Druck auf dem Kessel. Viele Kommunen tun sich schwer, Flüchtlinge angemessen zu versorgen. Bei der Europawahl spielte die Zuwanderung als Thema eine entscheidende Rolle. Am Donnerstag kommen in Berlin die Regierungschefs der 16 Bundesländer mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) zusammen. Die Union wirft der Regierung vor, in der Migrationspolitik kläglich zu versagen. Wo es vorangeht und wo es hakt – ein Überblick.
Asyl: Wie entwickeln sich die Zahlen?
Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen Menschen, die nach Deutschland kommen und hier Asyl beantragen, und solchen, die vor Russlands Angriffskrieg aus der Ukraine fliehen. Die letztgenannte Gruppe genießt einen besonderen Status, derzeit halten sich hierzulande rund 1,1 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge auf. Die Zahl der Asylbewerber ist rückläufig: Von Januar bis Mai wurden rund 113.000 Asylanträge gestellt, davon rund 103.000 Erstanträge. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht das einem Rückgang von fast einem Fünftel. Die wichtigsten Herkunftsländer sind Syrien, Afghanistan und die Türkei. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) führt den Rückgang unter anderem auf Grenzkontrollen zurück. 2023 gab es rund 352.000 Asylanträge.
Asylantrag abgelehnt: Gibt es mehr Abschiebungen?
Abgelehnte Asylbewerber, die nicht geduldet werden, müssen das Land verlassen – entweder freiwillig oder gegen ihren Willen. In der Praxis stellen sich Abschiebungen ausgesprochen kompliziert dar. Im vergangenen Herbst hatte Kanzler Scholz Abschiebungen „im großen Stil“ in Aussicht gestellt. Unionsgeführte Länder dürften ihm jetzt bei der Ministerpräsidentenkonferenz vorhalten, dass hier immer noch zu wenig geschehe und es an Rücknahmeabkommen mit Herkunftsstaaten fehle. Für den Vollzug der Abschiebungen sind die Länder selbst zuständig, auch hier hakt es oft. Gleichwohl steigt die Zahl der Abschiebungen: Im ersten Quartal 2024 wurden 4791 Männer und Frauen aus Deutschland abgeschoben. Das war etwa ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum. Im Gesamtjahr 2023 gab es 16.430 Abschiebungen.
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Schiebt Deutschland bald auch nach Afghanistan ab?
Diese Diskussion ist etwas anders gelagert, denn hier geht es um die Abschiebung von Straftätern. Aufgekommen ist das Thema durch die Messerattacke eines mutmaßlich radikalen Islamisten afghanischer Herkunft Ende Mai in Mannheim, bei der ein Polizist getötet und mehrere Menschen verletzt worden waren. Scholz kündigte daraufhin an, „Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder“ fortan auch nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Die Union macht bei diesem Thema Druck. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) befürwortete am Mittwoch die Abschiebung von Terroristen und Gefährdern nach Verbüßung ihrer Haftstrafe.
„Wenn alle ausrasten, ist das Wahnsinn“: Aus dem Alltag eines Abschiebepolizisten
Das Problem: Deutschland erkennt das radikalislamische Taliban-Regime in Afghanistan nicht an. In Syrien tobt ein Bürgerkrieg, die Bundesrepublik hat ihre Kontakte zum Assad-Regime auf ein Minimum reduziert. Rücknahmeabkommen würden die Gewaltherrscher aufwerten. Im Falle Afghanistans versucht das Bundesinnenministerium derzeit, Abkommen mit Drittstaaten in der Region zu schließen, von wo aus Abschiebungen vorgenommen werden könnten. Im Gespräch ist Usbekistan. Das Thema spielt auch eine Rolle beim Treffen der Innenminister von Bund und Ländern, das am Mittwoch in Potsdam begann.
Lassen sich Asylverfahren in Drittstaaten abwickeln?
Auch bei diesem Thema steht die Ampel unter Druck. Der Bund soll am Donnerstag den Ländern erläutern, ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten künftig auch rechtssicher in Transit- oder Drittstaaten erfolgen kann. In einem Gutachten des Innenministeriums heißt es jetzt, dass eine Drittstaatenlösung „zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen“ sei. Viele Experten hätten bei Anhörungen aber Zweifel geäußert, ob sich dies umsetzen lasse.
Als Vorbild wird von der Union immer wieder das britische Ruanda-Modell genannt: Die konservative Regierung in London will Asylverfahren in das afrikanische Land auslagern und dort auch anerkannte Asylbewerber ansiedeln. In der Praxis scheiterte der Plan bislang kläglich. Viel Beachtung findet zudem das Vorhaben der italienischen Regierung, Asylverfahren in Albanien abzuwickeln. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) bezeichnete die Drittstaatenregelung am Mittwoch als „Schnapsidee“.
Der Deutsche Caritasverband sprach sich vehement dagegen aus, Asylverfahren auszulagern. Der Vorstand für Internationales, Steffen Feldmann, sagte unserer Redaktion: „Weder den Menschen in Deutschland noch den Geflüchteten ist mit einer Auslagerung der Asylverfahren in Drittstaaten geholfen.“ Flucht und Migration legten vielmehr offen, was in Deutschland verbesserungswürdig und seit Langem ungelöst sei. Es gebe Engpässe bei Wohnungen und Kitaplätzen, Bildung und Versorgung. Diese Probleme müssten zum Wohle aller gelöst werden. „Scheinlösungen rund um Asylfragen stärken lediglich menschenfeindliche Ausrichtungen und gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und der EU.“
Was sagt die Opposition zur aktuellen Asylpolitik?
CDU-Chef Friedrich Merz erhob schwere Vorwürfe gegen den Kanzler: Nach der Ministerpräsidentenkonferenz im November habe Scholz mit Blick auf die damaligen Beschlüsse in der Migrationspolitik von einem historischen Moment gesprochen. „Nur ist seit sieben Monaten nichts Historisches passiert“, sagte Merz unserer Redaktion. Scholz habe seine Zusagen und Ankündigungen nicht umgesetzt und stattdessen Bedenken der Koalitionspartner stattgegeben. So sei eine härtere Gangart bei Abschiebungen nicht zu erkennen. Eine schnelle Rückführung abgelehnter Asylbewerber werde von den Grünen ausgebremst.
Die Bilanz für neue Abkommen mit Herkunftsländern sei mehr als dürftig. Die Ankündigung des Kanzlers, straffällige Migranten auch nach Syrien und Afghanistan abzuschieben, müsse erst noch in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. „Die Bürgerinnen und Bürger erwarten jetzt konkrete Ergebnisse statt immer neuer Ankündigungen“, mahnte Merz.
Was ist der Stand der Dinge bei der Bezahlkarte?
Vor wenigen Monaten wurde die Bezahlkarte noch als eine Art Wunderwaffe im Kampf gegen ungeregelte Migration gepriesen. Die Idee: Wenn Asylbewerber von den Behörden eine Guthabenkarte statt Bargeld erhalten, mindert das den Anreiz, überhaupt nach Deutschland zu kommen. Inzwischen hat der Bund die gesetzlichen Voraussetzungen für eine flächendeckende Einführung geschaffen. Zuständig für die Umsetzung sind die Länder.
Bayern und Mecklenburg-Vorpommern rollen eigene Systeme aus, zudem gibt es lokale Modellversuche. Die übrigen 14 Länder haben sich auf gemeinsame Standards geeinigt, die Ausschreibung für einen Dienstleister läuft. Ab Herbst könnte die Karte überall eingeführt werden. Es gibt in den Ländern aber noch Streit über wichtige Fragen – vor allem darüber, wie viel Bargeld Asylbewerber abheben dürfen.