Die Zahl antisemitischer Vorfälle in NRW ist insgesamt sprunghaft gestiegen. Jetzt gibt es Vorwürfe gegen die Hochschulleitungen.

Die nordrhein-westfälischen Hochschulen dulden offenbar antisemitische Ausfälle bei pro-palästinensischen Protestcamps. „Ich würde mir, um ehrlich zu sein, eine andere Gangart wünschen“, sagte Nicole Pastuhoff, Präsidentin des Jüdischen Studierendenverbandes NRW, am Dienstag bei der Vorstellung des Jahresberichts der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in Düsseldorf.

Es würden von den Hochschulen „unzumutbare Plakatierungen und Aussagen stehengelassen“, so Pastuhoff. Die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit sei zwar gerade an Hochschulen ein hohes Gut. Sie empfinde es jedoch „als hochproblematisch, dass es externe Gruppen sind, die sich an Hochschulen den Raum nehmen und dort nicht nur ihre Hassparolen skandieren und ihre terror-verherrlichenden Aussagen, sondern dass sie dort auch Studierende quasi suchen, um sie zu sich in ihre Gruppen reinzuschleusen“.

Anstieg der antisemitischen Vorfälle in NRW um 152 Prozent

Der neue RIAS-Bericht markiert Bildungseinrichtungen in NRW als einen der „Hotspots“ des erstarkten Antisemitismus. Mit der Eskalation des Nahostkonflikts scheint es vielerorts salonfähig geworden, Judenfeindlichkeit in Kritik am Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen zu kleiden.

„Antisemitismus ist in Deutschland und NRW ein sehr ernstes Problem“, bilanzierte die zuständige NRW-Ministerin Josefin Paul (Grüne). Der Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 erweise sich als „Zäsur“ für die Stimmungslage auch hierzulande.

Die Meldestelle registrierte im vergangenen Jahr NRW-weit 664 antisemitische Vorfälle, was im Vorjahresvergleich eine Steigerung um 152 Prozent bedeutete. Dabei handelte es sich nicht zwingend um Vorkommnisse, die auch zur Anzeige gebracht wurden. Häufig trauten sich Opfer nicht, Anzeige zu erstatten oder würden von der Polizei nicht ernst genommen. Die Meldestelle versteht sich als niedrigschwelliges Portal, das ein Dunkelfeld aus antisemitischen Beleidigungen und Übergriffen aufhellen soll.

Antisemitismus: Zuwachs in NRW deutlich stärker als in anderen Bundesländern

In NRW fällt der Zuwachs deutlich stärker aus als in anderen Bundesländern, in denen vergleichbare Portale aufgebaut wurden. „Diese Entwicklung ist in höchstem Maße verstörend“, sagte Ministerin Paul. Auch RIAS-Leiter Jörg Rensmann sprach von einem „Alarmsignal“. Der sogenannte „israelkritische Antisemitismus“ sei die mit Abstand häufigste Erscheinungsform. Juden würden für das Handeln der israelischen Regierung verantwortlich gemacht. Zudem finde eine Relativierung des Holocaust inzwischen milieuübergreifend statt.

„Wir bräuchten sehr gezielte Bildungsangebote zur Prävention“, forderte Rensmann. Er warnte davor, Antisemitismus auf Zuwanderer aus dem arabischen Raum zu reduzieren, die häufig mit israelfeindlichen Narrativen aufwachsen. Es dürfe nicht der falsche Eindruck entstehen, als seien sie „die ausschließlichen Träger des Antisemitismus“, so Rensmann.