Berlin. Kann Social Media süchtig machen? Ein US-Mediziner fordert Warnhinweise vor TikTok & Co. Los Angeles greift an Schulen drastisch durch.
Los Angeles will Smartphones in Schulen verbieten. Sie wurden angewiesen, auch Online-Medien zu verbannen. Schulen mit Handy-Verbot hätten „unglaubliche Ergebnisse gemeldet“, sagte Schulrats-Mitglied Nick Melvoin. „Die Kinder sind glücklicher, sie reden miteinander, ihre Noten verbessern sich.“
Viele Menschen sind süchtig nach TikTok, Snapchat oder Instagram. Der übermäßige Konsum von „Social Media“ kann krank machen. Studien zeigten, dass exzessive Handynutzung bei Jugendlichen mit Stress, Depressionen, Angstzuständen, Schlafproblemen, Aggressivität und Suizidgedanken einhergehe. In den USA läuft eine Diskussion über Warnhinweise für Social Media.
Warnung vor Social Media
Genau das fordert Vivek Murthy, Leiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes, zum Schutz von Jugendlichen, wie er einem n einem Essay in der „New York Times“ begründete. Die USA wären mit solchen Warnetiketten ein globaler Trendsetter.
Wer mehr als drei Stunden pro Tag in sozialen Medien verbringt, hat ein höheres Risiko, Angst- und Depressionssymptome zu entwickeln. Bei Jugendlichen betrug die durchschnittliche Nutzung in den USA laut einer Gallup-Umfrage zuletzt 4,8 Stunden.
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In Deutschland sind die Zahlen nicht ganz so dramatisch. Laut einer DAK-Studie waren 10- bis 17-Jährige, die Social Media mindestens einmal pro Woche nutzen, an Schultagen im Schnitt 150 Minuten am Tag online, am Wochenende und in Ferien 224 Minuten. Ende Februar erklärte DAK-Chef Andreas Storm, soziale Medien seien aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Aber auch er mahnte, es brauche mehr Aufklärung über Reiz und Risiken, auch mehr Prävention und Hilfsangebote.
Etiketten wie auf Zigarettenpackungen
Mediziner Murthy hält Warnhinweise für eines der wirksamsten Mittel. Die Hauptadressaten: die Eltern. Zumindest in den USA gibt es beim Rauchen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Warnhinweisen und dem Rückgang des Rauchens. Es muss aber kein kausaler Zusammenhang sein, denn es gibt natürlich viele Faktoren, die vielleicht dazu beigetragen haben.
Diskussionen löste das Buch „The Anxious Generation“ vom Sozialpsychologen Jonathan Haidt aus. Es handelt von drei Megatrends: Smartphones, Social-Media, Selfie-Kultur. Für Haidt ist das iPhone (2007) ein Wendepunkt. Danach gab es einen starken Anstieg von Verzweiflungstaten, bis hin zum Selbstmord. In Deutschland heißt das Buch „Generation Angst“.
Mediziner: Impulskontrolle bei Kindern noch nicht entwickelt
Dass andere Wissenschaftler zu anderen Ergebnissen, Einschätzungen und Empfehlungen kommen, ficht Murthy nicht an. Schon als Medizinstudent habe er gelernt, dass man sich in einem Notfall nicht den Luxus leisten könne, „auf perfekte Informationen zu warten“. Man beurteilt die verfügbaren Fakten, verlässt sich auf sein Urteilsvermögen und handelt. Die psychische Gesundheitskrise unter jungen Menschen ist für ihn genau dies: „ein Notfall“
Murthy kritisierte in einem Interview, die Plattformen seien darauf ausgelegt, die Zeit zu maximieren, die wir auf ihnen verbringen. Es sei eine Sache, dies einem Erwachsenen anzutun; ganz anders sei es bei einem Kind, „dessen Impulskontrolle sich noch entwickelt und dessen Gehirn sich in einer sensiblen Entwicklungsphase befindet.“
Suche nach dem digitalen Sicherheitsgurt
Erst will man nur ein paar Feeds checken – und merkt nicht, wenn am Ende Stunden vergehen. Er habe wiederholt von jungen Leuten gehört, die „nicht von den Plattformen wegkommen“. Der Mediziner würde es freilich nicht mit einem Warnhinweis für Social Media bewenden lassen, sondern macht weitere Vorschläge:
- Ein Mindestalter für den Zugang zu den sozialen Medien.
- Schulen sollten auf Lernen im Klassenzimmer ohne Handy achten.
- Eltern sollten handyfreie Zonen rund um die Schlafenszeit, zu Mahlzeiten und geselligen Zusammenkünfte schaffen.
- Plattformen sollen verpflichtet werden, ihre Daten zu gesundheitlichen Auswirkungen offenzulegen.
Murthy erinnert daran, was sich moderne Gesellschaften alles einfielen ließen, um den Straßenverkehr sicherer zu machen: Fahrradhelme, Airbags, Sicherheitsgurte. Bei den sozialen Medien gebe es „keinen Sicherheitsgurt, den Eltern anklicken können.“ Er fragt, „warum haben wir es versäumt, auf die Schäden zu reagieren, die die sozialen Medien anrichten?“
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