Erfurt. In Erfurt hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Bürgerfragen beantwortet. Neben Krieg und Rente spielte ein Thema eine besondere Rolle.
Auf den Beschluss der Mindestlohnkommission im Frühjahr 2025 wird Olaf Scholz (SPD) mit Argusaugen schauen. Die Debatte mit Bürgerinnen und Bürgern ist an diesem Donnerstagabend in Erfurt weit fortgeschritten. Nach 90 Minuten muss Scholz die Frage klären, warum er erst eine Mindestlohnanhebung eingefordert, dann aber gegen einen entsprechenden Antrag der BSW-Gruppe im Bundestag gestimmt hat.
Gestikulierend und engagiert
Das Thema Mindestlohn liegt Scholz. Der wirkt in Erfurt engagiert und einsatzfreudig. Er gestikuliert überraschend häufig, lacht zum Teil verschmitzt. In Thüringen, wo in diesem Jahr noch Landtagswahlen stattfinden und die AfD stärkste Kraft in den Umfragen ist, sammelt der Sozialdemokrat Punkte mit sozialdemokratischen Themen und gibt den Kanzler, der das Land zusammen führen, Gemeinschaft stärken und Gesellschaft entwickeln will.
Dazu gehört eben auch der Mindestlohn, der mit der Anhebung auf 12 Euro schon Wahlkampfhit 2019 war und den Sozialdemokraten die Kanzlerschaft zumindest mit gesichert hat. Jetzt also 15 Euro. Ja oder Nein?
Was passiert, wenn die Kommission keine 15 Euro empfiehlt?
„Ich wünsche mir, dass das als einheitliches, sozialpartnerschaftliches Ergebnis aus der Mindestlohnkomission kommt“, sagt Scholz. Deshalb habe er davon gesprochen, welches Ergebnis aus seiner Sicht die Abstimmung ergeben solle. Was aber, wenn das nicht passiert? Scholz scheint sehr entschlossen, seinen Wahlkampfschlager sodann neu aufzulegen: „Dann“, sagt er, „haben wir ein Thema, das sicherlich bei der Bundestagswahl eine Rolle spielt.“
Der Abend in der Thüringer Landeshauptstadt war initiiert von der „Thüringer Allgemeinen“, die wie dieses Portal zu FUNKE-Mediengruppe gehört. 30 Leserinnen und Leser aus ganz Thüringen und allen Altersklassen waren eingeladen. Die Themen sind genauso vielfältig, manche erwartbar: Rente, Pflege, Bildung, Krieg in der Ukraine. Die Diskussion dauert deutlich länger, weil Scholz alle Fragen unbedingt beantworten will.
Der Friedenskanzler
Als die Kriegsangst der Bevölkerung in den Fokus rückt, wird aus dem engagierten und gestikulierenden Politiker ein nachdenklicher Redner. Scholz soll Position beziehen zu dem, was der französischen Präsident Emanuel Macron zum Einsatz von Soldaten in der Ukraine gesagt hat. „Wir wollen nicht mit unseren Soldaten da rein und das bleibt auch die Haltung, die die deutsche Bundesregierung vertritt“, sagt er.
Da ist er, der Friedenskanzler, den die Sozialdemokraten im Europawahlkampf landauf landab plakatieren. Gleichwohl sei die Politik der deutschen Regierung darauf ausgerichtet, dass ein Angriff Russlands auf Nato-Gebiet verhindert wird. Wie groß die Gefahr ist? Sie sei eine, sagt Scholz, „die wir ernst nehmen“. Und weiter: „Wir machen diese Politik, damit es gar nicht passiert.“
Scholz erinnert an seine Rede von der Zeitenwende, reflektiert auf das Sondervermögen und die Einhaltung des 2-Prozent-Ziels, die gelingen werde. Deutschland, sagt er, sei nach den USA der größte Unterstützer der Ukraine. Dazu passt, dass Scholz Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) an dem Abend, als sich sein Chef in Erfurt Bürgerfragen stellt, ein weiteres Waffenpaket von einer halben Milliarde Euro für die Ukraine angekündigt hat.
Pflegereform noch nicht vom Tisch
Der Ritt durch die Themen kommt auch dort an, wo die Menschen in Deutschland im innersten berührt werden und sich die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhalts stets neu stellt. Kommt die Pflegereform noch in dieser Legislaturperiode oder bleibt es bei dem, was Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuletzt darüber gesagt hat?
Scholz ordnet ein, dass auch sein Gesundheitsminister die Reform nicht per sé in die nächste Legislatur verschoben hat, sondern darauf hinwies, dass es eine komplizierte Debatte geben könnte. Wie aber steht die Chance darauf, dass die in dennächsten anderthalb Jahren erfolgreich beendet wird und will Lauterbach die überhaupt? „Wenn es eine schnelle Lösung gibt, dann wird er der letzte sein, der dieser im Wege steht“, gibt der Kanzler vor.
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Gesetzliches Rentenalter bleibt unter Scholz unangetastet
Für Scholz bleibt es ein Abend der sozialdemokratischen Themen. Inklusive Rente, die es kurz in den Fokus schafft, als ein Bürger von Menschen berichtet, die mit ihrer Rente kaum Leben können und ein anderer die Frage aufwirft, wie mit einem höheren Renteneintrittsalter überhaupt Rente erreichbar sein soll.
Scholz, dessen Kabinett gerade erst das Rentenpaket II beschlossen hat, bekennt sich einmal mehr dazu, dass es keine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben soll und räumt mit der Mär auf, dass jene Bürger, die länger arbeiten wollten, das nicht dürften. „Es gibt überhaupt kein Gesetz, in dem das verboten wird“, sagt er.
Als der, von „TA“-Chefredakteur Jan Hollitzer moderierte, Abend sich dem Ende neigt, kann Scholz eine Frage dann doch sehr kurz beantworten. Wann steht er eigentlich auf? So zwischen sechs und sieben Uhr morgens. Das sei stets unterschiedlich.
Fest steht allerdings: Am Freitag wird der Bundeskanzler in Thüringen aufwachen. Denn während er am Abend noch mit Bürgern im Gespräch ist, soll er am Freitag im Rahmen des Katholikentages, der noch bis Sonntag in Thüringen stattfindet, sprechen. Das Thema: „Gemeinschaft stärken. Gesellschaft gestalten.“ Das Warm-Up dafür hat Olaf Scholz am Vorabend absolviert.