Berlin. In Thüringen ist die AfD besonders radikal, die übrigen Parteien müssen Experimente eingehen. Und eine Sache ist einmalig.
Thüringen ist klein – aber was in diesem Jahr in Thüringen passiert, hat Auswirkungen auf das ganze Land. Nicht zum ersten Mal: Der Freistaat steht seit Langem unter besonderer Beobachtung – weil hier die AfD mit Landeschef Björn Höcke besonders radikal ist und weil die übrigen Parteien in Thüringen früher als anderswo gezwungen waren, Experimente einzugehen. Thüringen ist ein politisches Labor. Fünf Lehren für Deutschland aus den Kommunalwahlen vom Wochenende.
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Erstens: Die AfD ist stark – aber nicht unschlagbar
Seit Sonntag steht fest: Skandale, Spionageaffären, Gerichtsurteile – das alles hält viele Wählerinnen und Wähler nicht davon ab, der AfD ihre Stimmen zu geben. Die Rechtsaußen-Partei hat nach Auszählung der meisten Stimmbezirke knapp neun Prozent mehr erreicht als bei der Kommunalwahl von 2019 – sie marschiert aber nicht ungebremst voran. Während manche Beobachter bereits befürchtet hatten, dass zahlreiche AfD-Kandidaten für Landratsämter und Bürgermeisterposten bereits am Sonntag triumphieren würden, gibt es jetzt in vielen Orten Stichwahlen gegen CDU-Kandidaten.
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In zwei Wochen, parallel zur Europawahl, stehen die Duelle an. Gut möglich, dass sich hier dann die CDU-Kandidaten durchsetzen – vor allem dann, wenn SPD, Grüne und Linke ihre Anhänger zu einer Allianz gegen die AfD aufrufen. Konkurrenten für Europa, Verbündete vor Ort – kein leichter Spagat, aber in den Augen vieler vermutlich das kleinere Übel. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund rief die Thüringer am Montag auf, sich an den Stichwahlen zu beteiligen und damit die Demokratie zu stärken. Es sei daher „erschreckend“, dass es vereinzelt Extremisten gelungen sei, in Stichwahlen einzuziehen, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger dieser Redaktion.
Zweitens: Ein Fall für den Verfassungsschutz? Das schreckt viele nicht ab
Die Thüringer AfD wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft – das Gleiche gilt auch für ihre Jugendorganisation, die Junge Alternative (JA). Landeschef Björn Höcke darf sogar nach einem Gerichtsurteil öffentlich als Faschist bezeichnet werden. Seit Kurzem steht zudem fest, dass der Verfassungsschutz die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachten darf. Das alles jedoch scheint viele Anhänger kalt zu lassen.
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In der Folge bedeutet das: Niemand sollte sich Illusionen darüber machen, wie fest die Anhängerschaft der AfD inzwischen hinter der Partei steht. Mehr noch: Der Wahlsonntag in Thüringen zeigt, dass sogar rechtsradikale Kandidaten jenseits der AfD Erfolg haben: Der einschlägig bekannte Neonazi Tommy Frenck schaffte es bei der Landratswahl im Kreis Hildburghausen in die Stichwahl. Er bekam immerhin jede vierte Stimme.
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Drittens: Regieren ohne die AfD? Das wird nicht leicht
Thüringen ist das Land der politischen Experimente. Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung von Bodo Ramelow (Linke) ist auf das Wohlwollen der CDU angewiesen. Die CDU ihrerseits bringt schon mal Gesetze mithilfe von AfD-Stimmen ins Ziel. So etwas gibt es bislang in keinem anderen Bundesland. Sicher: Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU schließt Koalitionen und Absprachen mit der AfD aus. Doch es gibt eine politische Grauzone – gerade auf kommunaler Ebene, gerade dann, wenn es um scheinbar banale Vorhaben wie den Kita-Ausbau oder mehr Geld für die Feuerwehr geht.
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„Es wird noch schwerer, sie auszugrenzen, in manchen Fällen wird es gar nicht mehr funktionieren können“, sagt der Bochumer Politikwissenschaftler Oliver Lembke. „Das ist ja auch nicht so sehr überraschend bei einer Partei, die in den Umfragen immer wieder auf 30 Prozent kommt.“ Die AfD werde mehr „Erpressungsmacht“ erhalten bei ihrem Versuch, „mitmachen zu dürfen“. Seine Prognose: Die AfD werde immer erfolgreicher darin, dass ihre Vorschläge berücksichtigt werden, „dass man mit ihnen spricht und sich mit ihnen abstimmt“.
Viertens: Kann die CDU die AfD besiegen?
Bei der Landtagswahl im September hofft die CDU trotz Rückstands in den Umfragen, die AfD zumindest einholen, wenn nicht überholen zu können. Die Kommunalwahlen liefern dafür eine erste Grundlage – nach Auszählung der meisten Stimmen sah es nach einem knappen Vorsprung für die CDU aus. Dennoch ist Weg auf Landesebene noch weit: Die AfD lag in den Umfragen zuletzt noch zehn Prozentpunkte vor der CDU.
Fünftens: Die Wagenknecht-Partei ist keine Luftnummer
In den bundesweiten Umfragen liegt die Partei von Sahra Wagenknecht (BSW) aktuell bei sieben Prozent. Der Stimmzuwachs des populistischen Bündnisses geht einher mit einem Stimmenverlust bei der AfD, die inzwischen wieder deutlich unter 20 Prozent liegt. Ob das BSW am Ende bei den Landtagswahlen und im kommenden Jahr sogar bei der Bundestagswahl der AfD Stimmen abjagen wird, ist offen.
Am Sonntag trat das Bündnis nach seiner Gründung im Januar zum ersten Mal bei einer der Kommunalwahl an – und konnte einen kleinen Sieg einfahren: Im Landkreis Nordhausen bekam der BSW-Kandidat Robert Henning 56,6 Prozent der Stimmen beim ersten Wahlgang um das Amt des Ortschaftsbürgermeisters in Bleicherode. Die CDU-Kandidatin erreichte nur 43,4 Prozent. Insgesamt war das Bündnis in vier Landkreisen angetreten – und erreichte aus dem Stand heraus zum Teil zweistellige Ergebnisse. Heißt: Das BSW ist keine Luftnummer – bei Umfragen zur Landtagswahl in Thüringen lag die Partei zuletzt sogar bei 16 Prozent.