Berlin. Unser Trinkwasser ist gleich mehreren Gefahren ausgesetzt. Die Vorsitzende der deutschen Amtsärzte erklärt, was im Notfall passiert.
Kristina Böhm war viele Jahre als Sanitätsoffizierin bei der Bundeswehr, jetzt ist sie Amtsärztin in Potsdam und Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Ein Gespräch über die Sicherheit unseres Wassers – und auf welche Szenarien wir uns einstellen müssen.
- Teil zwei des Interviews lesen Sie hier: Antibiotika im Trinkwasser: „Das Problem wird größer“
Frau Böhm, ist unser Trinkwasser sicher?
Kristina Böhm: Ja. Das Trinkwasser in Deutschland ist sicher. Die Qualität ist unstrittig.
Und die Wasserversorgung? Ist sie auf Dauer krisenfest?
Da sieht die Lage leider anders aus. Über 60 Prozent unseres Trinkwassers kommt aus dem Grundwasser. Alles, was wir der Erde antun, landet auch im Grundwasser. Das führt zu Gefahren.
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Welche Gefahren sehen Sie konkret?
Es gibt ganz verschiedene Risiken: Ein Beispiel sind die Nitrate aus der Landwirtschaft oder die Arzneimittelrückstände aus dem Abwasser. Wir müssen uns aber auch auf andere Szenarien einstellen.
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Was meinen Sie?
Denkbar ist ein Angriff auf das Grundwasser, etwa eine Vergiftung im Bereich eines Trinkwasserschutzgebiets. Genauso denkbar ist ein Angriff, bei dem die Versorgungsleitungen zerstört werden. Sollte auch das Stromnetz ausfallen, kann es passieren, dass die Abwasseraufbereitung zusammenbricht: Wenn die Klärwerke nicht mehr arbeiten können, laufen sie über. Es dauert zwar lange, bis Schadstoffe über den Boden in die Grundwasseradern gelangen, aber es ist ein Risiko. Im Krisenfall kann die Trinkwasserversorgung regional oder sogar deutschlandweit ausfallen.
Was passiert dann?
In Deutschland gibt es rund 5200 Notbrunnen, die im Ernstfall die Versorgung übernehmen sollen. Dazu muss man wissen: Wir verbrauchen im Moment im Durchschnitt jeden Tag 128 Liter pro Kopf. Im Notfall rechnen wir mit deutlich weniger: Das Notbrunnenkonzept ist so ausgelegt, dass jeder 15 Liter zur Verfügung haben soll. Die Notbrunnen liefern aber nicht alle Trinkwasserqualität. Und sie reichen bei Weitem nicht aus, um alle Bürgerinnen und Bürger zu versorgen: Die 5200 Brunnen decken gerade mal 30 Prozent des Notfallbedarfs ab. Es gibt Bundesländer, die sehr gut aufgestellt sind, aber es gibt auch Länder, in denen viele Brunnen überhaupt nicht betriebsfähig sind. Oft ist in der Bevölkerung nicht einmal bekannt, wo die Notbrunnen sind.
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Wir haben also im Ernstfall eine Versorgungslücke von 70 Prozent …
Es ist jetzt ganz wichtig, die Instandhaltung und vor allem den Ausbau der Notbrunnen schnell voranzutreiben. Es darf nicht passieren, dass ausgerechnet bei der Krisenvorsorge gespart wird. Wenn Bund, Länder und Kommunen erst aufwachen, wenn der Ernstfall eingetreten ist, ist es zu spät.
Wasserversorgung: Deutschland braucht mehr Notbrunnen
Wie viele funktionsfähige Notbrunnen braucht Deutschland?
Wir brauchen mindestens 15.000 Brunnen, um im Notfall den Wasserbedarf für die Bevölkerung, für wichtige Betriebe, aber auch für die Feuerwehren zu decken. Ich glaube nicht, dass das bei allen Kommunen schon angekommen ist.
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Um für den Krisenfall bereit zu sein, soll jeder Haushalt einen Flüssigkeitsvorrat anlegen. Was empfehlen Sie konkret?
Man sollte 15 bis 20 Liter in Form von Mineralwasserflaschen lagern. Am besten kühl und dunkel. Wichtig dabei ist, dass man das Wasser regelmäßig verbraucht und den Vorrat wieder neu bestückt. In Kanistern dagegen breiten sich schnell Keime aus.
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