Berlin. Die Ukraine darf erstmals westliche Waffen gegen Ziele in Russland einsetzen. Wie sich der Krieg ändert – und Putins wütende Reaktion.
Die Ukraine führt einen ungleichen Kampf gegen Russland. Sie hat weniger Soldaten, Waffen, Munition. Vor allem ist sie auf fremde Hilfe angewiesen; auf Rüstung, die vielfach nur unter Auflagen geliefert wird. Diese Einschränkungen fallen jetzt, zumindest teilweise:
- Die USA erlauben den Ukrainern, mit ihren Waffen begrenzte militärische Ziele in Russland anzugreifen.
- Andere Staaten schlossen sich an, darunter Deutschland.
- Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, stellte in dieser Woche klar, dass die Ukraine feindliche Flugzeuge auch dann abschießen „dürfe“, wenn sie sich nicht im ukrainischen Luftraum befinden.
- Dänemark liefert F-16-Kampfjets ohne Beschränkung, Frankreich und Großbritannien gaben ebenfalls Restriktionen auf.
Die Kehrtwende – nach langem Zögern – tut den Russen weh. Der untrügliche Hinweis dafür ist, dass Kremlchef Wladimir Putin am Mittwochabend mit einer „asymmetrischen Antwort“ gedroht hat. Falls russisches Staatsgebiet mit aus dem Westen gelieferten Waffen angegriffen werde, denke man darüber nach, ebenfalls Waffen in anderen Regionen zu stationieren – für Angriffe.
Russland: Umdenken nach Angriff auf Charkiw
In der nächsten Woche dockt das russische Atom-U-Boot „Kasan“ in der kubanischen Hauptstadt Havanna an, unweit von der US-Küste. „Ist das eine Reaktion auf die US-Waffenfreigabe an die Ukraine?“, fragt der „Spiegel“.
Der Besuch von vier Schiffen für eine Woche dürfte vor langer Zeit geplant worden sein. Bloß: Er zeigt, was Putin gemeint haben könnte. Ausgerechnet Kuba. Schon einmal stand die Welt – 1962 – am Rande eines Weltkrieges, weil die Russen dort Waffen stationieren wollten und die USA sich unmittelbar bedroht fühlten. Putins Drohung erinnert an jene Tage im Kalten Krieg.
Darüber machen sich die Ukrainer die geringsten Sorgen. Für sie eröffnen sich mit den neuen Freiheiten beim Waffeneinsatz Möglichkeiten. Nun können sie die russische Offensive auf Charkiw besser abwehren; nicht nur mit Drohnen einheimischer Produktion, sondern auch mit modernsten westlichen Waffen. Umgehend haben sie ein S-300-Raketensystem im Raum Belgorod zerstört und die Bilder davon triumphierend ins Netz gestellt.
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Die US-Denkfabrik „Institute for the Study of War“ hält die Informationen und Bilder für echt, wie ein Tweet auf X zeigt. Im Mittelpunkt steht weniger der militärische Verlust – die Russen können das Luftabwehrsystem schnell ersetzen. Es geht vielmehr um eine Botschaft.
Sie lautet: Wir legen jetzt los und für euch gibt es keine Komfortzonen mehr. Der Ukraine-Krieg wird sich dadurch verändern. Ende April, Anfang Mai hatten die Ukrainer Woche für Woche mit ihren Drohnen verfolgt, wie die Russen an der Grenze Soldaten und Waffen zusammenzogen. Es war offensichtlich, dass sie einen Sturm auf Charkiw planten, aber die Ukrainer waren kaum in der Lage, die Offensive im Ansatz zu verhindern. Das russische Hinterland war für den Angreifer wie eine Schutzzone. Von hier konnten sie nahezu unbehelligt die Grenzregion auf ukrainischer Seite unter Beschuss nehmen.
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Die Russen verlieren einen Schutzraum
Dieses Manko führte letztlich zum Umdenken bei US-Präsident Joe Biden. Jetzt, wo die Ukrainer westliche, in erster Linie amerikanische Waffen auch in Russland einsetzen dürfen – zweifelsfrei, wenn von dort Angriffe drohen –, ist bei den Russen nichts mehr sicher: Aufmarschgebiete, Kommando- und Kontrollzentren, Versorgungsdepots, weitere Logistik und Flugabwehr.
Die Ukraine hat denn auch gleich die russische Offensive zum Halten gebracht. Das liegt indes nicht an einer Maßnahme allein. Vielmehr haben die Ukrainer auch Einheiten in die Region verlegt und können offenkundig wieder auf mehr Munition zurückgreifen.
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Kalkulierbares Eskalationsrisiko?
Sie haben den Druck auf Russland erhöht. Ob die Charkiw-Offensive deshalb schon gescheitert ist, steht auf einem anderen Blatt. Zum einen könnten die Russen eine operative Pause eingelegt haben. Zum anderen mehren sich die Hinweise, dass die russische Armee eine weitere Offensive vorhat, diesmal nordwestlich von Charkiw. Es wäre ein großer Erfolg, wenn es gelänge, sie mithilfe der westlichen Waffen abzuwenden.
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Allerdings ist der Einsatz vorläufig auf die Grenzregion nahe Charkiw beschränkt. Außerdem achten die USA auf die Reichweite. Die Genehmigung gilt nicht für alle Waffen, ausdrücklich nicht für Langstreckenraketen. Was nicht ist, kann allerdings noch kommen. Längst hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Debatte über den Einsatz von Bodentruppen losgetreten und wäre zumindest bereit, Militärberater und Ausbilder in die Ukraine zu entsenden. Der Westen geht kalkuliert ein höheres Eskalationsrisiko ein.
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