Düsseldorf. Wie NRW-Innenminister Reul Treffen mit einem mutmaßlichen Schleuserbanden-Chef und dessen gestückelte Parteispenden rechtfertigt.

Nach gut 85 Minuten Kreuzverhör bricht es am Dienstagmorgen aus Herbert Reul heraus. Der NRW-Innenminister, obwohl bald 72 Jahre alt und der erfahrenste Parlamentsroutinier in Düsseldorf, kann nicht mehr an sich halten. „Können wir mit dem ‚Ein- und Ausgehen‘ endlich aufhören?“, ruft er aufgebracht während der Sondersitzung des Landtagsinnenausschusses in den Saal, obwohl ihm gar nicht das Wort erteilt wurde. „Das ist wirklich nicht fair!“, schnaubt Reul.

Es sind bewegte Tage für den mit Abstand bekanntesten und beliebtesten Minister der schwarz-grünen Landesregierung. Die bundesweiten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen einen millionenschweren „Luxus-Schleuserring“, der reichen Chinesen Aufenthaltstitel in NRW gegen hohe Provisionen ergaunert haben soll, haben ausgerechnet „Mister Null Toleranz“ ins Zwielicht gezerrt.

Schleuser-Spende an Reul wurde gestückelt

Der mutmaßliche Kopf einer Bande mit mittlerweile mehr als 50 Beschuldigten, ein Rechtsanwalt aus Frechen, hat Reul zwischen Februar 2022 und Frühjahr 2023 mindestens achtmal getroffen. Dreimal im Ministerium, fünfmal auf Einladung oder durch dessen Anbahnung bei Veranstaltungen, möglicherweise noch häufiger bei anderen Gelegenheiten etwa im Kölner Karneval. Kurz vor der Landtagswahl im Mai 2022 gingen dann beim CDU-Kreisverband Rhein-Berg drei zweckgebundene Spenden für Reuls Wahlkampf in Höhe von knapp 30.000 Euro ein.

Für SPD-Innenexpertin Christina Kampmann entsteht so der Eindruck, ein mutmaßlicher Schleuser habe im Innenministerium „ein- und ausgehen“ können und Gespräche seien dort käuflich gewesen. „Ich würde jetzt mal die These aufstellen“, ätzt Kampmann, „ein Polizeiobermeister, der Sie um einen Termin bittet, der bekommt nicht acht Termine exklusiv und in so kurzer Zeit.“

Reul empfindet das alles als ehrabschneidende Verkürzung der Tatsachen. „Die Spenden haben natürlich keinen Einfluss gehabt auf mein Verhalten - null“, versichert er. „Politischen Gegenwert hat dieser Mensch von mir nie verlangt.“ Er habe mit dem Anwalt nicht über „die Situation, Chinesen hier einzuschleusen“ geredet. Es sei in den Gesprächen auch nie um Geld gegangen.

Chef der Schleuserbande soll „guten Leumund“ gehabt haben

Vor einem ersten Treffen am 18. Februar 2022 sei er lediglich gefragt worden: „Der möchte gerne Ihre Arbeit unterstützen, können wir da mal einen Termin machen?“, so Reul. Wer den Kontakt hergestellt hat, bleibt unklar. Ebenso, worin die Unterstützung genau bestanden haben soll, wenn nicht in Parteispenden. Welches Interesse der Anwalt gehabt haben könnte, liegt indes nahe: Nach dem Kennenlernen vermittelt er immer wieder Treffen mit Firmenvertretern, die sich wie Sportwetten- und Sicherheitsbranche im weitesten Sinne in Reuls Ressortbereich tummeln. Das nennt man Lobbyismus. „Nachher war er im Grunde derjenige, der die Tür aufgemacht hat“, bekennt Reul.

Der Minister betont, dass er sich vorab vom „guten Leumund“ des 42-jährigen Frecheners überzeugt habe. Er habe eine „SMS bekommen mit so Auflistungen“. Vater von drei Kindern, katholisch, Mitglied in der CDU und vor allem nebenberuflich Geschäftsführer der Berliner Lobbyagentur „Republic Affairs“. Die gut vernetzte Beratungsfirma, in der sich zahlreiche Ex-Politiker tummeln, kannte Reul. „Ich war damals total arglos und hatte überhaupt keinen Anlass, an der Seriosität dieses Mannes zu zweifeln. Da kam nicht her wie ein Ganove – ernsthaft nicht.“

Stückelung von Parteispende laut Innenminister Reul „astrein“

Der Minister muss am Dienstag einräumen, dass die knapp 30.000 Euro als gestückelte Spenden wohl in Verschleierungsabsicht an seinen CDU-Kreisverband geflossen sind. Dreimal 9990 Euro - und damit knapp unter der Veröffentlichungsgrenze von 10.000 Euro. „Die drei Spenden sind alle, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, am gleichen Tag oder um den gleichen Tag herum eingegangen“, berichtet Reul. Einmal mit dem Anwalt selbst als Absender, zweimal mit nachgelagerten Firmen als Spendernamen.

Den Minister machte das offenbar nicht misstrauisch: „Es gibt Menschen, die wollen nicht im Bundesanzeiger stehen als Spender für die CDU.“ Die Opposition staunt. „Ja, ist sauber, ist astrein, ist erlaubt“, betont Reul. „Das kann man moralisch, politisch bewerten, aber juristisch ist das total in Ordnung, wenn die so spenden.“

Mit der bundesweiten Razzia gegen den zweifelhaften Bekannten und seine Bande war der Minister nach eigener Aussage nicht befasst. Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Staatsanwaltschaft Düsseldorf hätten lediglich kurz vor dem Zugriff bei der NRW-Polizei sechs Hundeführer mit ihren speziell für das Aufspüren von Banknoten ausgebildeten Tieren angefordert.

Die politische Dimension des Ermittlungsverfahrens ist immer größer geworden. Die Vermittlung einer Aufenthaltserlaubnis an Chinesen soll bis zu 360.000 Euro gekostet haben. Mit dem Geld hat das Netzwerk wohl auch ordentlich die politische Landschaft gewässert. Wurden so Verwaltungstüren geöffnet, damit man dort über Ungereimtheiten in gefälschten Dokumenten hinwegsieht?

Nicht nur CDU-Gliederungen wurden mit mindestens 53.000 Euro an Spenden bedacht, auch ein SPD-Unterbezirk erhielt Geld. Zu den Beschuldigten gehören inzwischen sogar der Dürener Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU), dessen Fußballverein von den Schleusern gesponsert worden sein soll, und ein Kreismitarbeiter mit SPD-Parteibuch, der mit 300.000 Euro geschmiert worden sein soll.

Die Spenden an Reul und dessen Treffen sind hingegen gar nicht Gegenstand der Ermittlungen. Dafür kann sich der Minister freilich nichts kaufen. „Ich habe kein Bewusstsein, dass ich juristisch etwas falsch gemacht habe“, sagt er am Dienstag irgendwann resigniert, „aber politisch, moralisch war es wahrscheinlich unklug.“