Marl. Die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel räumt in Marl Fehler ihrer Partei ein – und teilt gegen die Europäische Union aus.

Zwei Wochen vor der Europawahl und inmitten einer sich seit Monaten zuspitzenden Krise stellte sich die AfD-Bundesspitze um Alice Weidel und Tino Chrupalla am Samstag in Marl bei ihrer zweiten von drei großen Wahlkampf-Veranstaltungen rund 800 AfD-Mitgliedern und Unterstützern.

Die Partei, die hoffnungsvoll ins Wahljahr 2024 gestartet war, erlebt die wohl schwerste Krise seit ihrer Gründung im Jahr 2013. Die Bundesvorsitzende Alice Weidel greift das Thema in Marl auf: „Es war keine gute Woche“, sagt sie. „Wir sind in Turbulenzen geraten. Aber überall da, wo Schatten ist, ist Licht. Wir müssen Lehren ziehen, um uns weiter zu professionalisieren.“

Die Krise der AfD: Partei ist seit Monaten auf der Rutschbahn

Tatsächlich ist es nicht nur eine Woche, die die Partei nach unten reißt. Das von Deportationsfantasien geprägte Geheimtreffen von Potsdam, das Massenproteste gegen rechts auslöste, markierte den Anfang massiver Turbulenzen. Mitte Mai urteilte das Oberverwaltungsgericht in Münster, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD und ihre Jugendorganisation „Junge Alternative“ als Verdachtsfall beobachten darf. Kurz darauf verurteilte das Landgericht Halle den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zu einer Geldstrafe, weil er wissentlich eine SA-Parole verwendet haben soll.

Zuletzt brach die rechtsnationale französische Partei Rassemblement National um Marine Le Pen mit der AfD, die rechtpopulistische Faktion Identität und Demokratie (ID) im EU-Parlament schloss die AfD-Abgeordneten aus. Sie reagierten damit auf verharmlosende Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, zur SS. Der 47-Jährige, der ursprünglich in Marl reden sollte, steht außerdem wegen der Spionageaffäre um einen Mitarbeiter und wegen seiner Nähe zu Russland und China in der Kritik.

EU-Kandidat Hans Neuhoff, AfD-Landeschef Martin Vincentz und die AfD-Spitze Tino Chrupalla und Alice Weidel machten am Samstag Wahlkampf in Marl.
Foto: Andreas Buck / FUNKE Foto Services
EU-Kandidat Hans Neuhoff, AfD-Landeschef Martin Vincentz und die AfD-Spitze Tino Chrupalla und Alice Weidel machten am Samstag Wahlkampf in Marl. Foto: Andreas Buck / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Weidel nennt die EU-Bürokratie und die Kommission „schmieriges Zeug“

Von Innehalten ist allerdings bei Weidel nichts zu bemerken. Ihre ausgeprägte Anti-EU-Haltung zieht sich in Marl durch die ganze Rede der AfD-Chefin: Es müsse die Möglichkeit geben, durch Volksabstimmung aus diesem „Gebilde“ EU austreten zu können. Dort arbeiteten 32.000 Bürokraten, „die nichts anderes zu tun haben, als uns auf die Nerven zu gehen“. Wenn es nach ihr ginge, ruft Weidel, „könnte man die ganze Bagage vor die Tür setzen“. Die EU sei nur „schmieriges Zeug“, die Ukraine gehöre nicht in die Europäische Union, die Nato sei kein Verteidigungsbündnis mehr.

Co-Sprecher Tino Chrupalla spielt anschließend den Ausschluss der AfD aus der europäischen ID-Fraktion der Rechtspopulisten herunter: „Wir werden neue Partner finden“, sagt er. Die AfD fordere „Respekt und Nichteinmischung“ in ihre Angelegenheiten.

„Marl hat heute Gäste, die man nicht so gern an einer Kaffeetafel hat“: Marls Bürgermeister Werner Arndt demonstrierte am Samstag vor dem Eventzentrum gegen die AfD.
„Marl hat heute Gäste, die man nicht so gern an einer Kaffeetafel hat“: Marls Bürgermeister Werner Arndt demonstrierte am Samstag vor dem Eventzentrum gegen die AfD. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Demo gegen die AfD vor der Halle: „Kein Platz für Rassisten und Antieuropäer“

Vor dem Eventzentrum demonstrierten etwa 800 Menschen lautstark gegen die AfD-Veranstaltung. Marls Bürgermeister Werner Arndt (SPD) warb für die Werte des Grundgesetzes. In seiner Stadt und in Deutschland sei „kein Platz für Rassisten, Antidemokraten und Antieuropäer“, sagte er und bedauerte, dass das örtliche „Eventzentrum“ der AfD am Wochenende erneut die Gelegenheit für eine Veranstaltung bot. Marl habe daher „Gäste, die man nicht so gerne an einer Kaffeetafel hat“.

Die Gegendemo stand unter dem Motto „Europa bunt statt braun“ und wurde vom DGB Emscher-Lippe organisiert.

Vor dem Eventzentrum demonstrierten Menschen lautstartk gegen die AfD.
Vor dem Eventzentrum demonstrierten Menschen lautstartk gegen die AfD. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Für die AfD-Chefin ist die Demo vor der Tür nur „Affentheater“

Für Martin Vincentz sind die Demonstranten gegen rechts nur „selbst ernannte Demokraten“. Alice Weidel nennt die Demonstrationen der AfD-Gegner verächtlich „Affentheater“.

Auffällig: NRW-AfD-Chef Vincentz räumt nicht nur Fehler ein, die die Partei zuletzt gemacht habe. Er lobt überschwänglich die Bundessprecher Weidel und Chrupalla. Die Vorsitzenden, die ankündigen, beim AfD-Parteitag in Essen wieder kandidieren zu wollen, herzen ihrerseits den „lieben Martin“. Diese Drei wollen zeigen, dass zwischen sie kein Blatt Papier passe. Björn Höcke, der einen noch radikaleren Teil der AfD repräsentiert, dürfte das interessieren

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