Berlin. Politiker erleben immer wieder bedrohliche Szenen. Wie ihre Personenschützer sich auf den Ernstfall vorbereiten, ist streng geheim.

Als der erste Schuss fällt, geht alles ganz schnell. Sekunden später sinkt der Schütze vor Schmerzen stöhnend zu Boden, zwei Personenschützerinnen haben das Feuer erwidert. Eine von ihnen beugt sich über ihn und legt ihm Handschellen an. Zwei weitere begleiten die Politikerin aus dem Saal hinaus, in dem sie gerade ihre Rede hielt. Der Schütze liegt inzwischen regungslos da. Schaulustige werden von der Personenschützerin in strengem Ton des Raumes verwiesen, widerwillig folgen sie der Anweisung. Die Politikerin und ihre übrigen Bodyguards sind längst wieder in die schwarzen Limousinen – Sicherheitsvariante – gestiegen und haben den Gefahrenbereich verlassen. Dann ist die Übung vorbei.

Was sich nach einer absoluten Ausnahmesituation anhört, ist hier in Brandenburg Alltag. Es muss Alltag sein, damit alle Beteiligten auf den Ernstfall vorbereitet sind. Wenn die Politikerin echt ist und nicht nur spielt. Wenn die Pistolen, die gezogen werden, nicht durch ihre blaue Farbe als Trainingswaffen gekennzeichnet sind, und die Schüsse, die aus ihnen kommen, nicht bloß harmlose Knalleffekte.

Ex-Bodyguard von Angela Merkel: „Personenschutz ist immer ein Kompromiss“

Wer hier trainiert, ist Teil der „letzten Linie der Verteidigung“ oder will es zumindest werden. Es geht um die Sicherungsgruppe E des Bundeskriminalamtes (BKA), die Personenschützer der hochrangigen Politikerinnen und Politiker, die sie hier „Schutzpersonen“ nennen. Um die deutschen Amtsträger im In- und Ausland vor potenziellen Gefahren zu schützen, muss man top ausgebildet sein. Und man muss anonym bleiben. Fotos der Trainierenden gibt es daher nur mit Helm und Sturmhaube.

Thomas B. hingegen darf man fotografieren, seinen Nachnamen will er trotzdem nicht in der Zeitung lesen. Der 44-Jährige leitet die Ausbildung der angehenden Personenschützer, überlegt sich Übungsszenarien und gibt Feedback. Er weiß, wovon er redet, seit 2005 ist er bei der Sicherungsgruppe. Auch der Schutz der damaligen BundeskanzlerinAngela Merkel (CDU) lag schon in seiner Verantwortung. „Personenschutz ist ein Kompromiss“, erklärt er.

„Personenschutz ist ein Kompromiss.“ Ausbildungsleiter Thomas B. schützte schon Angela Merkel.
„Personenschutz ist ein Kompromiss.“ Ausbildungsleiter Thomas B. schützte schon Angela Merkel. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

BKA-Personenschützer für hochrangige Politiker: „Wir sind die letzte Linie der Verteidigung“

Was er damit meint? „Wir sind die letzte Linie der Verteidigung und im Notfall da, gleichzeitig versuchen wir, die Schutzperson als Mensch existieren zu lassen und ihr Raum zum Atmen zu geben.“ Dafür braucht es das nötige Feingefühl. Für Holger V., der schon vor der Jahrtausendwende Politiker schützte und heute Referatsleiter der Sicherungsgruppe ist, gehört deswegen auch Empathie zu den Attributen, die einen guten Bodyguard ausmachen. Zusätzlich sind körperliche Fitness, das Wissen darum, was in der Gesellschaft stattfindet, und eine Leidenschaft für den Beruf notwendig.

Ausbildung zum Bodyguard ist für Körper und Geist anstrengend

Doch die Ausbildung überstehen nicht alle unbeschadet. In einer anderen Situation bringt die Personenschützerin den Angreifer mitten in einer Stuhlreihe zu Boden, da lassen sich unsanfte Kontakte mit dem Mobiliar nur schwer vermeiden. Wenige Minuten später stehen zwar alle wieder, aber man glaubt Ausbildungsleiter B., wenn er berichtet, dass die Zahl der Absolventen eher durch Verletzungen als durch mangelnde Leistung reduziert wird.

Das Training ist auch für den Kopf anstrengend. In den Übungssituationen werden immer wieder die Rollen getauscht, von Bodyguard zu Schutzperson, zu Zuschauer, zu Angreifer. Wenn die Personenschützer zu Beginn der Übung vorfahren, wissen sie nicht, was sich die Ausbildungsleiter dieses Mal ausgedacht haben. Wie im echten Einsatz müssen sie spontan auf das Geschehen reagieren.

Personenschützer sind für rund 750 Menschen verantwortlich

„Im taktischen Training werden die Auszubildenden bewusst an Grenzen herangeführt und zum Teil über die Grenzen hinausbegleitet, um sie auf den schlimmsten erwartbaren Fall vorzubereiten“, erklärt B. Es ist das Finale der 14-wöchigen Ausbildung, alle anderen Aspekte wie Notfallmedizin, Schuss- und Fahrtraining arbeiten hierauf hin.

Verantwortlich ist die Sicherungsgruppe des BKA für die Verfassungsorgane des Bundes, insgesamt laut V. rund 750 Personen. Die werden allerdings nicht alle begleitet, da nicht alle gefährdet sind. Der Referatsleiter vergleicht die Arbeit seiner Leute mit einem Eisberg, von dem nur die Spitze zu sehen ist: „Im Normalfall erkennen Sie einige unserer Personenschützerinnen und Personenschützer am ‚Knopf im Ohr‘. Aber wir haben auch Leute, die nicht zu erkennen sind.“ Wie viele Beamtinnen und Beamte genau bei der Sicherungsgruppe arbeiten, verrät er nicht.

Auch eine ausführliche Vorbereitung gehört zum Job. Die schützt aber nicht nur die Politiker, sondern auch die Personenschützer: „Wir wissen, wo wir hingehen, und wissen meistens, was uns erwartet“, erklärt V. Bei einem Streifenpolizisten, der zu einem Einsatz gerufen wird, sei das oft nicht der Fall.

Holger V. ist Referatsleiter in der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes. Wie viele Beamtinnen und Beamte als Personenschützer arbeiten, verrät er nicht. Nur so viel: „Wir haben auch Leute, die nicht zu erkennen sind.“
Holger V. ist Referatsleiter in der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes. Wie viele Beamtinnen und Beamte als Personenschützer arbeiten, verrät er nicht. Nur so viel: „Wir haben auch Leute, die nicht zu erkennen sind.“ © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Bodyguards für Kanzler und Co.: Übungsgelände lässt zu wünschen übrig

Um verschiedene Szenarien zu simulieren, gibt es auf dem Übungsgelände mehrere Häuser, denen der Zahn der Zeit allerdings deutlich anzusehen ist. Überall schimmelt es, Strom gibt es nicht. Aber ein nachgebautes Klassenzimmer inklusive vollgekritzelter Tafel und Overheadprojektor.

Spätestens nächstes Jahr sollen die Gebäude renoviert und noch mehr Räume nutzbar gemacht werden, berichtet der Ausbildungsleiter. Fahr- und Schusstraining sind auf dem Gebiet aber auch dann nicht möglich. Langfristig wünscht er sich ein nationales Trainingszentrum, in dem alles trainiert werden kann. Genehmigung und passendes Gelände fehlen dafür allerdings noch. Bis das gefunden ist, muss die letzte Linie der Verteidigung pendeln.