Düsseldorf. NRW hat ein ernstes Spionage-Problem mit China. Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sind alarmiert. Wie können sie sich schützen?
Nach der Festnahme von vier mutmaßlichen chinesischen Spionen, unter ihnen ein Mitarbeiter des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah, ist in NRW eine Diskussion über strengere Schutzmaßnahmen vor Spionage entbrannt.
Chinesische Spionage „bedroht das Fundament unserer Sicherheit“, sagt Innenminister Reul
„Spionage ist nicht nur eine Bedrohung für die nationale Sicherheit, sondern auch ein Angriff auf die Freiheiten und Rechte eines jeden einzelnen. Wir können nicht zulassen, dass ausländische Geheimdienste Einfluss auf die Geschicke in unserem Land nehmen“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) dieser Redaktion. Spione operierten im Geheimen, Informationen seien ihre Währung. Das bedrohe das Fundament unserer Sicherheit, so Reul. Die „Werkzeuge des Verfassungsschutzes“ müssten angesichts der jüngsten Spionagefälle gestärkt werden.
China-Spionage in NRW: Der Landtag prüft weitere Sicherheitsmaßnahmen
„Die Demokratie ist wehrhaft, aber sie muss bei den aktuellen neuen Bedrohungen Wehrhaftigkeit neu lernen und sich an Stellen wehren, an denen man bislang nicht damit gerechnet hat“, sagte Landtagspräsident André Kuper (CDU). „Die Berichte über die Beschäftigung möglicher Spione und Extremisten durch Abgeordnete des Europäischen Parlaments oder Bundestags machen uns Sorgen. Spione und Extremisten gehören nicht in Parlamente“, so Kuper weiter. Auf seine Initiative hatte der Landtag schon im vergangenen Jahr das Abgeordnetengesetz geändert: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten und der Fraktionen müssen der Landtagsverwaltung seitdem ein Führungszeugnis vorlegen. Weitere Maßnahmen befänden sich in der Prüfung, heißt es.
SPD-Innexpertin Kampmann zu Spionage: „ „Naivität wird sich hier bitter rächen“
Christina Kampmann, Innenexpertin der SPD im Landtag, ermahnt Unternehmen in NRW, nicht nur auf lukrative Geschäfte mit China zu blicken, sondern auch auf das Spionagerisiko. „Naivität wird sich hier bitter rächen“, warnte sie.
„Die jüngsten Festnahmen vor dem Hintergrund möglicher Wissenschaftsspionage aus China sind durchaus besorgniserregend. Unserem Kenntnisstand nach sind die Universitäten in NRW jedoch nicht direkt von den aktuellen Vorfällen betroffen“, sagte der Chef der Landesrektorenkonferenz der Universitäten, Prof. Johannes Wessels. Über zusätzliche Maßnahmen werde nachgedacht. „Dass es dennoch keinen einhundertprozentigen Schutz gibt, haben die letzten Tage jedoch noch einmal in Erinnerung gerufen“, so Wessels.
Deutschland und NRW im Visier mehrerer chinesischer Geheimdienste
Laut dem neuen Verfassungsschutzbericht in NRW betreibt China einerseits massiv Wirtschafts-, Wissenschafts- und Militärspionage und versucht andererseits, „Kontakte zu Politikerinnen und Politikern sowie Parteien und parteinahen Organisationen des gesamten politischen Spektrums zu knüpfen“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt in seinem Bericht zu ähnlichen Ergebnissen: „Im politischen Bereich bemüht sich die chinesische Seite, gut vernetzte deutsche (aktive und ehemalige) Angehörige der Politik als Lobbyisten für chinesische Interessen zu gewinnen. Sofern sie die Politik der Volksrepublik kritisieren, werden deutsche Politikerinnen und Politiker aber auch unter Druck gesetzt.“
China-Spionage: Zunehmendes Interesse an Rüstung, KI und Kontakten in die Politik
Im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW für das Jahr 2023 heißt es in Bezug auf chinesische Spionageaktivitäten:
„Im Forschungsbereich ist China vor allem an Schlüsseltechnologien wie beispielsweise Künstlicher Intelligenz (KI) interessiert.
Forschungskooperationen und -stipendien werden insbesondere dann unterstützt, wenn sie explizit den Staatszielen dienen. Gleichzeitig werden sämtliche im In- und Ausland erlangten Forschungsergebnisse auf ihre militärische Nutzbarkeit hin überprüft (Dual-Use).
Dies birgt beispielsweise mit Blick auf deutsch-chinesische Forschungskooperationen die Gefahr eines illegitimen, über das akzeptable Maß hinausgehenden Wissens- und Technologietransfers.“
Zur Durchsetzung der Regierungsziele sowie zum Machterhalt der Staatsführung seien die chinesischen Nachrichtendienste (Ministry of State Security - MSS, das Military Intelligence Directorate - MID als militärischer Nachrichtendienst, der polizeiliche Nachrichtendienst Ministry of Public Security - MPS sowie das International Department of the Central Committee of the Communist Party of China - IDCPC als Nachrichtendienst der KPCh) von essentieller Bedeutung.
Neben den Nachrichtendiensten MSS, MID und MPS sei 2023 verstärkt das „International Department of the Central Committee of the Communist Party of China“ (IDCPC) in Erscheinung getreten. „Es spielt eine wichtige Rolle bei der Beschaffung politischer Informationen und der Erweiterung chinesischer Einflussnahmenetzwerke. Das IDCPC ist dem Zentralkomittee der KPCh untergeordnet. Es hat die Aufgabe, die Positionen der KPCh im Ausland zu vertreten und hierzu weltweit Kontakte zu Politikerinnen und Politikern sowie Parteien und parteinahen Organisationen des gesamten politischen Spektrums zu knüpfen.“ Aktuelle und ehemalige Parlamentarier würden IDCPC nach China eingeladen, um deren China-Bild im Sinne der KPCh zu „korrigieren“ und um Verständnis für „chinesische Werte“ zu werben. Darüber hinaus verstehe sich das IDCPC als politische Forschungseinrichtung, die im Austausch mit akademischen Institutionen im In- und Ausland Studien zur globalen politischen Lage, zu Parteien, sozialistischen Bewegungen und zu wichtigen internationalen Fragen erstelle.“
Die wichtigsten chinesischen Nachrichtendienste
Das MSS (Ziviler In- und Auslandsnachrichtendienst) ist sowohl mit Abwehr- als auch mit offensiven Spionageaktivitäten im Ausland betraut. In Fragen der nationalen Sicherheit nimmt das MSS eine zentrale Rolle unter den chinesischen Diensten ein. Das Ministerium ist für die Bekämpfung von Gefahren für die staatliche Ordnung und Sicherheit zuständig und hierfür auch mit Polizeibefugnissen ausgestattet. In Deutschland bemüht es sich nachhaltig um Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und klärt oppositionelle chinesische Gruppierungen auf.
Das MID (Militärischer In- und Auslandsnachrichtendienst) ist weltweit, auch offensiv, tätig. Es entsendet Militärattachés und unterhält Verbindungen zu ausländischen Streitkräften. Es ist für die Beschaffung von Informationen zuständig, die die äußere Sicherheit der Volksrepublik betreffen. Im Zuge der Militärreform ist das MID verpflichtet worden, sich auf militärisch-strategische Aufklärungsziele zu konzentrieren wie Struktur, Stärke und Ausrüstung fremder Streitkräfte. Spionageziele sind aber auch Politik sowie Wissenschaft und Technik mit militärischem Bezug.
Das NSD (Technischer militärischer Nachrichtendienst) ist der Teilstreitkraft PLA Strategic Support Force (SSF) unterstellt. Es betreibt weltweite Fernmeldeaufklärung und Cyberspionage und ist für Telekommunikationsüberwachung, IT-Sicherheit und Cyberabwehr im Militär zuständig.
Das MPS (Ministerium für öffentliche Sicherheit) ist zuständig für öffentliche Sicherheit und Ordnung und kann auf die Ordnungs- und Kriminalpolizei zurückgreifen. Ferner verfügt das MPS über nachrichtendienstliche Einheiten, die auch verdeckt im Ausland tätig sind und deren Aufgaben sich teilweise mit dem MSS decken. Überdies kontrolliert und zensiert das MPS die Medien und den Internetverkehr.
Das IDCPC (Internationale Abteilung des ZK der KPCh) hat Ministeriumsrang und ist für den Dialog der KPCh mit ausländischen Parteien des gesamten politischen Spektrums zuständig. Darüber hinaus führt es verdeckte politische Einflussoperationen durch und nutzt auch nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung.
Laut Verfassungsschutzbericht NRW hat das IDCPC die Aufgab, die Positionen der KPCh im Ausland zu vertreten und hierzu weltweit Kontakte zu Politikerinnen und Politikern sowie Parteien und parteinahen Organisationen des gesamten politischen Spektrums zu knüpfen. Aktuelle und ehemalige Parlamentarier werden vom IDCPC nach China eingeladen, um deren China-Bild im Sinne der KPCh zu „korrigieren“ und um Verständnis für „chinesische Werte“ zu werben. (Quellen: Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz von 2022 und Verfassungsschutzbericht NRW für 2023)