Jerusalem. Nach dem tödlichen Angriff auf Helfer in Gaza wird gerätselt: War es wirklich ein Unfall? Die NGO Anera äußert einen anderen Verdacht.
Ein völlig ausgebrannter Wagen, daneben ein , in dessen Dach ein riesiges Loch klafft. Sieben humanitäre Helfer saßen in diesen Fahrzeugen, die am Montag bei einem Luftangriff der israelischen Armee getroffen wurden. Alle sieben starben. Von einem bloßen Versehen kann man kaum sprechen.
Die Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK) hatte sich an alle Regeln gehalten: Sie hatte ihre Standortdaten an die Armee übermittelt, die Route des Hilfskonvois abgesprochen, damit sie als beschussfreie Zone markiert wird. Um jedes Missverständnis auszuschließen, waren die Fahrzeuge auch auf dem Dach deutlich mit dem Logo der Hilfsorganisation versehen.
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Trotzdem feuerte die Armee über eine Drohne drei Raketen auf die Fahrzeuge ab, wie aus einem „Haaretz“-Bericht hervorgeht. Der Angriff hat international Schlagzeilen gemacht und für große Empörung gesorgt, Israel übernahm die Verantwortung dafür. „Das hätte nicht geschehen dürfen“, sagte Generalstabschef Herzi Halevi am Dienstag.
Israel: Immer mehr NGOs ziehen sich aus Gaza zurück
Laut der Hilfsorganisation Anera ist es aber kein bedauerlicher Einzelfall, sondern „Teil eines Musters“. Die US-amerikanische NGO wirft Israel „gezielte Angriffe auf humanitäre Helfer“ vor. Bei einem solchen Angriff sei vor einem Monat auch einer ihrer Mitarbeiter ums Leben gekommen. Anera liefert laut eigenen Angaben pro Tag rund 50.000 Mahlzeiten aus, WCK versorgt täglich rund 300.000 Menschen. Nun ziehen sich beide NGOs vorübergehend aus Gaza zurück. Es sei schlicht zu gefährlich, dort weiter tätig zu sein.
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Es sind nicht nur kleine und mittelgroße NGOs, die ihre Arbeit einstellen, sondern auch große Förderer humanitärer Hilfe wie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Sie gaben am Dienstag bekannt, dass sie sich aus ihrer Beteiligung am maritimen Hilfskorridor nach Gaza zurückziehen, solange Israel die Sicherheit humanitärer Hilfe nicht garantiert. Die ohnehin brüchige Hilfsmittelversorgung in Gaza verliert somit immer mehr Stützen.
Die Armee erklärt, der Beschuss sei das Resultat einer „fehlerhaften Identifikation, in der Nacht, im Krieg, unter sehr komplexen Bedingungen“. Dem steht entgegen, dass die Helfer sich zuvor mit der Armee abgestimmt hatten. Die Koordinaten des Konvois waren den Truppen bekannt, seine Route galt als Nichtangriffszone. Dunkelheit ist für die israelische Armee in der Regel kein Hinderungsgrund für Schusspräzision. Dazu kommt, dass in diesem Fall offenbar nicht nur einmal geschossen wurde.
Raketen trafen den Konvoi in einigen zeitlichen Abstand
Laut einem „Haaretz“-Bericht wurden in einigem zeitlichen Abstand zueinander drei Raketen auf die Fahrzeuge abgefeuert, weil die Truppen einen Hamas-Kämpfer in einem der Autos vermuteten. Wie die Kommandokette in diesem Fall verlief und ob die Regeln eingehalten wurden, werden weitere Untersuchungen klären müssen.
Grundsätzlich müssen beim Beschuss sensibler Ziele – und ein solches war der Konvoi – besondere Vorkehrungen getroffen werden, höhere Kommandoebenen müssen in die Entscheidung einbezogen werden. Israelische Menschenrechtsorganisationen wie Breaking the Silence haben seit Beginn des aktuellen Gazakriegs mehrmals kritisiert, dass die Armee einige dieser Sicherungen gelockert hat.
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