Berlin. Ohne die 63.000 ausländischen Ärzte geht in Deutschland nichts. Doch oft hapert es mit der Sprache – eine große Gefahr für Patienten.
Ein Internist, der „Bauchschmerz“ statt „Brustschmerz“ versteht und deswegen den Herzinfarkt übersieht. Eine Neurologin, die Demenzpatienten behandelt und die Fragen der Angehörigen nur mit holprigen Phrasen beantworten kann. Ein Orthopäde, der erst falsch übersetzt und dann falsch behandelt: Jeder kennt mittlerweile Fälle von Ärztinnen und Ärzten, die schlecht Deutsch sprechen. Experten warnen vor „lebensgefährlichen Missverständnissen“ und einer weiteren Verschärfung der Lage. Was ist da los – und lässt sich das nicht ändern?
Wer verstehen will, warum das Problem längst chronisch ist, muss mit Jürgen Hoffart reden. Der Mediziner macht Fachsprachenprüfungen für ausländische Ärzte, die in Deutschland arbeiten wollen. In Rheinland-Pfalz, wo Hoffart Hauptgeschäftsführer der Landesärztekammer ist, gibt es diese Prüfungen schon seit mehr als zehn Jahren. In anderen Bundesländern haben sie erst vor kurzem damit begonnen.
Die Zahl der ausländischen Ärztinnen und Ärzte hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten versechsfacht: Gab es 1993 rund 10.000 ausländische Mediziner in Deutschland, waren es 2013 schon rund 30.000.
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Zehn Jahre später hat sich die Zahl erneut verdoppelt: Die bislang unveröffentlichten Daten der Ärztestatistik für 2023 liegen dieser Redaktion vor. Sie zeigen, dass mittlerweile mehr als 63.000 ausländische Mediziner hierzulande praktizieren.
Die meisten kommen aus EU-Ländern oder anderen europäischen Staaten sowie aus Ländern im Nahen Osten. Wichtige Herkunftsländer sind Syrien (6120), Rumänien (4668), Österreich (2993), Griechenland (2943), Russland (2941) und die Türkei (2628). Viele der ausländischen Mediziner sprechen hervorragend Deutsch. Aber zu viele tun das eben auch nicht.
Arzt aus dem Ausland: Anzahl stieg 2023 auf Rekordniveau
Bei Hoffart in Mainz rufen jetzt immer öfter Patienten an, die Angst davor haben, dass ihr Arzt sie nicht versteht: „Können Sie mir mal sagen, wo es eine Klinik gibt, wo noch deutsche Ärzte sind?“ So geht das dann. Hoffart wundert es nicht: „Wir haben in Rheinland-Pfalz Krankenhäuser, da ist nur noch der Chef Deutscher, alle anderen Ärzte kommen aus dem Ausland. Wenn die Kollegen dann sogar bei der Visite untereinander zum Beispiel nur Arabisch sprechen, ist das ein Riesenproblem für die Patienten, aber auch für die Sprachentwicklung der Kollegen.“
Patientenschützer, Ärzteverbände – sie alle beobachten die Entwicklung mit Sorge. „Es kommt immer wieder zu lebensgefährlichen Missverständnissen“, sagt Hoffart. Mangelhafte Sprachkenntnisse seien heute schon ein massives Problem. „Es wird sich aber in den kommenden Jahren noch verschärfen, weil wir immer mehr ausländische Ärzte haben werden.“ In der Medizin gebe zwar jedes Jahr rund 11.000 Studienabgänger in Deutschland – ein beachtlicher Teil davon geht aber nicht in den Beruf. „Wir können den Bedarf mit eigenen Studierenden derzeit leider einfach nicht decken.“
Die Forderung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, 5000 neue Medizinstudienplätze zu schaffen, sei deswegen gut, falle aber in die Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. Und es dauert zwölf Jahre – sechs Jahre Studium plus sechs Jahre Facharztweiterbildung – bis das zu wirken beginnt.
Kleine Kliniken auf dem Land haben jetzt schon Probleme, überhaupt noch Bewerber mit Studium in Deutschland zu bekommen. Sie sind froh, wenn sie junge Mediziner aus Ägypten, der Slowakei oder Aserbaidschan einstellen können. Ohne sie könnten viele Kliniken gleich dicht machen. Doch warum klappt es oft so schlecht mit der Sprache?
Ärzte brauchen Sprachniveau C1 – Das steckt dahinter
Grundsätzlich gilt im Moment: Ausländer, die in Deutschland als Arzt tätig sein wollen, müssen eine Fachsprachenprüfung bestehen. 2014 haben sich die Länder dabei auf Kenntnisse geeinigt, die am Sprachniveau C1 orientiert sind. C1 – das bedeutet, dass der Sprecher ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch implizite Bedeutungen erfassen kann. Er muss sich spontan und fließend ausdrücken können sowie klar, strukturiert und ausführlich komplexe Sachverhalte beherrschen.
In Rheinland-Pfalz sieht das dann so aus: Die Bewerber müssen unter anderem einen Vokabeltest bestehen, ein simuliertes Patientengespräch und ein Rollenspiel Arzt-spricht-mit-Arzt durchführen. Sie müssen anschließend einen ausführlichen Aufnahmebericht darüber verfassen sowie den Inhalt von zwei Telefonanrufen zusammenfassen. Im Schnitt fällt die Hälfte erstmal durch – und muss wiederholen.
Sprachprüfung für Ärzte: Warum das online leichter ist
Im Einzelfall können die Behörden von der Pflicht zur Sprachprüfung eine Ausnahme machen, etwa bei Muttersprachlern aus Österreich oder der Schweiz. Eine grundsätzliche Ausnahme gibt es im Saarland: Hier wird keine Fachsprachenprüfung verlangt, sondern nur das Zertifikat einer Sprachschule. Ausländische Ärzte, die im Saarland ihre Zulassung bekommen haben, verfügen also nicht über eine bestandene Fachsprachenprüfung. In allen anderen 15 Bundesländern gibt es inzwischen eine standardisierte Fachsprachenprüfung bei den Landesärztekammern.
In Bayern und Rheinland-Pfalz kann man diese Prüfung mittlerweile auch online bei einem privaten Anbieter machen. Die Anforderungen sind aber nicht vergleichbar: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Leute, die bei der Ärztekammer krachend durchgefallen waren, zwei Wochen später beim Online-Anbieter bestanden haben“, sagt Ärztevertreter Hoffart. Ein Beispiel: Wer beim Vokabeltest den Begriff „Schlaganfall“ richtig mit „Apoplex“ übersetzt, das Wort aber falsch schreibt, hat einen Punktabzug. Online hilft ihm dagegen das automatische Rechtschreibprogramm.
Hoffart: „Fachsprachenprüfungen viel zu spät eingeführt“
Ein weiteres Problem ist der politische Druck. „Patientenschutz ist das oberste Ziel, aber in vielen Regionen ist der Ärztemangel so dramatisch, dass auch einmal nahegelegt wird, großzügiger in den Prüfungen zu sein“, sagt Hoffart. „Das wäre dann so, als würde man den Notarztwagen mit einem Augenarzt losschicken.“
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Das alles gilt jedoch nur für neue Kandidaten. Entscheidend ist für den Großteil der ausländischen Ärzte etwas anderes: Viele der Mediziner, die heute in den Kliniken und Praxen arbeiten, sind eingestellt worden, als es noch deutlich niedrigere Sprachstandards gab. „Man könnte diese Ärzte alle noch einmal in die Sprachprüfung schicken“, räumt Hoffart ein, „aber das ist politisch nicht gewollt und durchsetzbar.“ Schließlich würde das neue Lücken reißen, weil viele die Tests wohl nicht bestehen dürften. „Die Ursünde ist, dass die Fachsprachenprüfungen viel zu spät eingeführt worden sind.“ Nötig wäre eine Gesetzesänderung. Aber dazu werde die Politik nie bereit sein, fürchtet er.
Und dann ist da noch ein grundsätzliches Problem, das sich wohl nie ganz lösen lässt: „Wir reden in den Prüfungen natürlich Hochdeutsch“, sagt der Mediziner aus Mainz. „Im Alltag haben Sie es aber mit Patienten zu tun, die vielleicht Mundart sprechen. Wenn ich in die Eifel fahre, habe ich selbst Probleme, die Leute zu verstehen. Da sind Sie mit einer gerade so bestandenen Fachsprachenprüfung völlig hilflos.“