Berlin. Klimaforscher melden zwölf Monate über der 1,5-Grad-Grenze. Was das für die Pariser Ziele bedeutet und welche Gründe es dafür gibt.
In Libyen war es ein Sturmtief, das tödliche Fluten brachte, in Acapulco ein Wirbelsturm, der mit bisher ungekannter Kraft auf Land traf und die Stadt verwüstete. In den USA, in China und in Südeuropa waren es gesundheitsgefährdende Hitzewellen. 2023 war geprägt von Temperaturrekorden und katastrophalen Extremwetterereignissen. Und auch das neue Jahr hat weltweit viel zu warm begonnen.
Jetzt bestätigte der EU-Klimadatendienst Copernicus offiziell eine Entwicklung, die sich schon gegen Ende des vergangenen Jahres abzeichnete: Zwischen Februar 2023 und Januar 2024 lag die Erdoberflächentemperatur zum ersten Mal in zwölf aufeinanderfolgenden Monaten dauerhaft 1,5 Grad über dem Schnitt des vorindustriellen Zeitalters.
Der Januar selbst war 1,66 Grad zu warm, verglichen mit den Jahren zwischen 1850 und 1900. 2023 als Kalenderjahr war laut den Copernicus-Daten 1,48 Grad wärmer als im weltweiten vorindustriellen Mittel und damit das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen 1850. 2024 könnte nach Ansicht der Expertinnen und Experten diesen Rekord noch einmal einstellen. Offiziell überschritten ist die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens damit zwar noch nicht. Trotzdem zeigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angesichts der Entwicklung sehr besorgt.
Lesen Sie auch: Extremjahr 2023: „Das Klimasystem fliegt uns um die Ohren“
In den Zahlen zeigt sich der menschengemachte Klimawandel. Die Meldung des Copernicus-Dienstes sei „die konsequente Fortsetzung der Messungen, die wir in den letzten zwölf Monaten gesehen haben“, sagt Johanna Baehr, Leiterin der Abteilung für Klimamodellierung an der Universität Hamburg. Und die Daten lägen innerhalb dessen, was die Klimamodelle anzeigen. Neben dem langfristigen Erwärmungstrend durch Treibhausgasemissionen spiele bei den Extremtemperaturen des Jahres 2023 auch das Wetterphänomen El Niño eine Rolle. Das heizt alle paar Jahre den Pazifik auf und kann die globalen Temperaturen zusätzlich in die Höhe treiben. Im Prinzip sei die Entwicklung deshalb erwartbar gewesen, sagt Baehr. „Aber erwartbar heißt nicht harmlos.“
„Ein klares Alarmzeichen“ – und mehrere mögliche Faktoren
Andreas Fink, Klimaforscher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), sieht in den Daten der vergangenen zwölf Monate „ein klares Alarmzeichen“. Mit einer so deutlichen Erwärmung, sagt er, habe Anfang 2023 kaum jemand gerechnet – trotz El Niño.
Für die Temperaturen des vergangenen Jahres gäbe es mehrere Erklärungsansätze, sagt er. Eine Rolle spielen könnte nach Ansicht mancher Wissenschaftler etwa der Ausbruch des Unterwasservulkans Hunga Tonga-Hunga Haʻapai im Pazifik. Bei einem Ausbruch 2022 hatte der Vulkan eine große Menge Wasserdampf in die Stratosphäre injiziert, das dort als Treibhausgas wirkt.
Auch interessant: Enttäuschung Klimakonferenz? Was das Ergebnis bedeutet
„Eine andere mögliche Erklärung ist, dass Schiffsdiesel jetzt weniger Schwefel enthält“, sagt Fink. Schwefel-Aerosole würden stark Sonnenlicht zurückstreuen, und trügen auch zur Wolkenbildung bei. „Ohne sie gibt es weniger Wolken, die ihrerseits zur Kühlung beitragen. Insbesondere der Nordatlantik hat im letzten Jahr eine Temperaturkurve gezeigt, die jenseits des bisher Beobachteten lag“, erklärt Fink.
Noch ist die Schwelle nicht überschritten, doch der Zeitpunkt rückt näher
Klar ist: Unabhängig von möglichen Sondereffekten im vergangenen Jahr zeigt die globale Temperaturkurve seit Langem nach oben. Noch ist die 1,5-Grad-Schwelle nicht überschritten – dafür müsste die Erwärmung längerfristig auf diesem Niveau liegen. Aktuell liegt dieser Wert bei 1,25 Grad, verglichen mit dem vorindustriellen Mittel. Doch die Marke von 1,5 Grad, die einmal ein Stoppschild sein sollte, rückt näher.
Die Weltgemeinschaft hatte sich 2015 bei der Klimakonferenz in Paris darauf geeinigt, die Erderhitzung in jedem Fall auf „deutlich unter 2 Grad“, möglichst aber auf 1,5 Grad zu begrenzen. Der Unterschied zwischen 1,5 Grad und 2 Grad bedeutet dabei laut einem Sonderbericht des Weltklimarats von 2018 erhebliche Veränderungen für die Wahrscheinlichkeit von Klimawandelfolgen: mehr extreme Hitze, mehr extreme Niederschläge, mehr Dürren. „Wir haben im vergangenen Jahr untersucht, wie sich 1,5 Grad und 2 Grad Erwärmung auf extreme Hitzejahre auswirken“, sagt KIT-Experte Fink. „Einen Sommer wie 2018, der sehr heiß war, hätten wir bei 1,5 Grad Ende des Jahrhunderts in zwei von drei Jahren. Bei 2 Grad hätten wir ihn jedes Jahr.“
Auch interessant:Klimawandel: So hart treffen Hitze und Dürre Mitteleuropa
Die Vereinbarung auf 1,5 Grad als Grenze sei eine politische, sagt die Hamburger Forscherin Baehr, sie sei nicht abgeleitet aus einer inhärenten, naturwissenschaftlich definierten Schwelle im Klimasystem. „Das System ändert sich graduell“, sagt sie. Der Anstieg der Temperatur sei ein Maß dafür, wie stark Menschen es durch Emissionen verändern. Je weniger Veränderung, umso besser. Dass die Grenze politisch definiert ist, „heißt aber nicht, dass man sie nicht ernst nehmen muss“, sagt sie. „Politik und Gesellschaft sind nicht daraus entlassen, weiterhin darauf hinzuarbeiten, dass wir das einhalten.“ Noch seien 1,5 Grad einhaltbar, sagt Andreas Fink. Doch es werde immer unwahrscheinlicher.
Denn um die Vereinbarung des Pariser Abkommens einzuhalten, müsste der Ausstoß von Treibhausgasen bis spätestens 2030 seinen Höhepunkt erreichen und dann rapide fallen. Bisher war – mit Ausnahme eines Einbruchs durch die Corona-Pandemie 2020 – stets das Gegenteil der Fall. Neben einem Temperaturrekord stellte 2023 eine weitere Höchstmarke auf: Mehr Emissionen waren in einem Jahr noch nie ausgestoßen worden.
- Interaktive Karte: So wird der Klimawandel das Leben in Ihrer Region verändern
- Antarktis: Gigantischer Eisschild könnte kurz vor dem Abschmelzen sein
- Google Earth: Diese Funktion zeigt die Klimakrise im Zeitraffer
- Ernährung: Wie durch Fleischverzicht die Klimaziele erreicht werden könnten
- Klimawandel im Meer: Katastrophale Zustände in der Tiefe sorgen für Massensterben