Berlin. Wie wird man als Großstädter Bauer – und warum? Lukas Kettler erzählt von seinem steinigen Weg in die Landwirtschaft.
Morgens auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn, eine Geruchsmischung aus Schweiß und Ausdünstungen der zurückliegenden Nacht zwängt sich in die Nase, unfreiwillig quetschen sich Körper im vollen Waggon aneinander, alle Versammelten haben griesgrämige Gesichter aufgesetzt. Gedankliche Flucht in ein ländliches Leben: Wie es wohl wäre, frühmorgens durch den Ruf eines Hahns aufzuwachen, dann erst mal die Kühe zu begrüßen, die frische Luft einzuatmen?
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Was für viele Städter ein sehnsüchtiger Fluchtgedanke für zwischendurch bleibt, ist für Lukas Kettler Wirklichkeit geworden: Der 25-Jährige aus Frankfurt am Main hat dem Stadtleben den Rücken zugekehrt – als angehender Bauer träumte er vom eigenen Hof. Doch bis er in der Landwirtschaft Fuß fassen konnte, war es ein langer Weg.
Bauer in Deutschland: Wie Lukas in der Landwirtschaft gelandet ist
„Ich check‘ manchmal nicht so ganz, woher das Interesse am Arbeiten in der Natur kam – eigentlich hatte ich ja damit gar nichts am Hut“, erklärt Kettler. Der gebürtige Frankfurter ist zwischen Wohnhausreihen und Wolkenkratzern aufgewachsen. Er kommt aus einem Akademiker-Haushalt: Seine Mutter ist Lehrerin, sein Vater ist Sozialpädagoge. Doch nach ein wenig Herumreisen und Jobben nach dem Abitur wollte er etwas Handwerkliches machen. Zudem inspirierten ihn die Erzählungen seiner Schwester, die zu der Zeit auf Farmen in Australien arbeitete.
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„Mit dem Gedanken hat es angefangen: Ich kann entweder arbeiten gehen, um mir Essen zu kaufen – oder ich kann einfach auf meinem Feld arbeiten und mein Essen selber anbauen, jedenfalls größtenteils“, so Kettler. Von dieser selbstversorgerischen Vorstellung sei er so fasziniert gewesen, dass er direkt nach Ausbildungen gesucht und den erstbesten Demeter-Hof in der Nähe von Heidelberg angeschrieben habe. Mit 20 Jahren begann er seine Ausbildung zum Landwirt.
Der Alltag eines Landwirts: Bis zu elf Arbeitsstunden am Tag
Ab dann hieß es für Kettler: 6.30 Uhr aufstehen, Milchkühe melken, Schweinen das Futter hinwerfen, den Stall ausmisten. „Vom ersten Tag an war ich dauergestresst, aber es war auch schön, weil ich gebraucht wurde“, erklärt er. Etwas Sinnvolles machen, da zu sein für die Tiere, die hohe Selbstwirksamkeit: Das hat Kettler total erfüllt.
Netto verdiente er in den zwei Jahren Ausbildung – durch sein Abitur durfte er um ein Jahr verkürzen – 800 Euro. Davon wurde ihm eine Pauschale für die Unterkunft und Verpflegung auf dem Hof abgezogen, also blieben ihm 400 bis 500 Euro im Monat über. „Landwirt wird man nicht, um reich zu werden“, sagt Lukas und lacht. Doch viel Zeit zum Geldausgeben habe er bei bis zu elf Arbeitsstunden am Tag ohnehin nicht gehabt.
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„Die Berufsschule habe ich zusammen mit vielen 16-Jährigen besucht, die den Großbetrieb ihrer Eltern übernehmen werden. Als Bio-Bauer mit langen Haaren war ich dort schon der Außenseiter“, so Kettler. Er habe viel über die Methoden der konventionellen Landwirtschaft gelernt – was er zwar als interessant empfunden habe, doch nicht relevant für seine Praxis als Bio-Bauer.
Lukas wird Bauer, seine Freunde studieren Wirtschaftswissenschaften
Während seine Freunde in Frankfurt Wirtschaftswissenschaften studierten und in der Stadt geblieben sind, hatte Kettler plötzlich ein ganz anderes Leben. „Die waren schon sehr verwundert – und haben es anfangs auch nicht so ganz verstanden“, so Kettler über die Reaktion seiner Freunde und Familie. Gleichzeitig war das Interesse hoch, viele folgten seinem neuen Alltag auf Instagram oder Whatsapp: „Die haben es gefeiert, dass ich dafür so eine Leidenschaft entwickelt habe.“ Auch er selbst habe als Städter zuvor gar keine Ahnung von der Arbeit in der Landwirtschaft gehabt. „Ich hab in der Ausbildung das erste Mal eine Kuh angefasst“, lacht er.
Während seiner Ausbildung habe er viele junge Menschen kennengelernt, die das gleiche Ziel wie er verfolgten: Irgendwann eine Hofgemeinschaft gründen, mit eigenen Tieren, einer Käserei und Bäckerei, einem Hofladen. Mit sieben Freunden zusammen machte sich Lukas nach seinem Abschluss im Herbst 2020 auf entsprechenden Portalen auf die Suche nach einem Hof. Dies sei gar nicht so leicht gewesen.
Gärtnerin Hollander über Berufseinsteig: „Ich starte eigentlich schon hochverschuldet“
Das weiß auch Antje Hollander, Vertreterin der Jungen Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft, derzeit tätig als angestellte Gemüsegärtnerin: „Wenn ich als Existenzgründerin in die Landwirtschaft einsteigen will, aber keinen Hof erbe, starte ich eigentlich schon hoch verschuldet. Mit den Erträgen kann ich das in meiner Lebenszeit nicht mehr erwirtschaften.“ Die Preise für Land variieren zwar regional in Deutschland erheblich – doch der Durchschnittspreis pro Hektar liege derzeit bei über 30.000 Euro. „Über die letzten zehn Jahre lässt sich eine Verdopplung bis Verdreifachung der Kaufpreise beobachten, und die Pachtpreise haben sich noch extremer entwickelt“, so Hollander.
Ein weiteres Problem sei, dass immer mehr nicht-landwirtschaftliche Investoren Land kaufen – vorwiegend als Geldanlage. Konkrete Vorschläge für eine Verbesserung der Situation liegen zwar vor: Zum Beispiel die Tierwohlabgabe, Förderungen für junge Bauern und eine Umverteilung von EU-Subventionen – damit nicht nur große, sondern auch kleine, vielfältige Betriebe davon profitieren.
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„Doch der politische Wille, das Geld für diese Maßnahmen in die Hand zu nehmen, ist nicht vorhanden“, so Hollander. Der Beruf des Landwirts ist zwar für viele Menschen weiterhin attraktiv; in Deutschland werden jährlich 30.000 Menschen in der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei ausgebildet. Doch die hohen Risiken durch mangelnde Förderung, Fachkräftemangel, hohe Eigenkapital-Notwendigkeit und unvorhersehbare Ernteausfälle durch die Klimakrise zwingen einige dazu, auf einen anderen Beruf auszuweichen.
Bauer in Deutschland: Für Kettler erfüllt sich der Traum vom eigenen Hof
Kettler jedoch hatte Glück: Wahrscheinlich übernimmt er mit seiner Freundin und sechs anderen im Sommer einen Demeter-Hof in Hunsrück, eine Stunde südlich von Mainz. Nach dreieinhalb Jahren Suche haben sie endlich einen Hof gefunden, der zu ihren Vorstellungen passt. Die Familie, die bisher den Hof betreibt, möchte neue Lebenswege einschlagen – und ist deswegen auf Nachfolger angewiesen.
Ob er jemals wieder in die Stadt zurückziehen will? Ausschließen will Kettler das nicht. „Aber diese Ruhe auf dem Land, die ist eigentlich das Schönste“, schwärmt er. Und wenn er es schaffe, mit seinem Hof auch einen Kulturort zu erschaffen, mit kleinen Festivals und anderen Möglichkeiten der Begegnung – wie er es vorhat – dann gebe es für ihn eigentlich keinen Grund mehr, das Landleben zu verlassen.