Düsseldorf. Der NRW-Innenminister hält juristische Risiken eines AfD-Verbotsantrags für zu hoch. Eigentlich. Denn die Situation sei „brenzlig“.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat die Zögerlichkeit der schwarz-grünen Landesregierung bei einem möglichen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren verteidigt.
Er sei weiterhin gegen einen Verbotsantrag, auch wenn er ihn inhaltlich richtig finde, erklärte Reul am Donnerstag im Innenausschuss des Landtags. Der Minister ließ dabei erstmals Unschlüssigkeit erkennen: „Kann man auch anders einordnen. Ich kann noch nicht sagen, dass ich 100-prozentig Recht habe. Es ist nur meine Meinung“, führte er weiter aus.
NRW-Ministerpräsident Wüst nennt AfD nur noch „Nazi-Partei“
Reul sieht durch die Möglichkeit des juristischen Scheiterns eines Parteiverbotsverfahrens die Gefahr, „dass Märtyrerrollen entstehen und man die Sache nur noch verschlimmert“. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte die AfD zuletzt mehrfach eine „Nazi-Partei“ genannt, weshalb sich immer drängender die Frage stellt, warum das Land bei solch drastischer Einordnung nicht das schärfste Schwert der Verfassung zückt und nach Karlsruhe zieht.
Reul machte deutlich, dass die jüngst enthüllten Vertreibungspläne für Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland eine neue Dimension darstellten. Bei einem Geheimtreffen in Potsdam waren im November ranghohe AfD-Mitglieder mit führenden Köpfen der rechtsextremen Identitären Bewegung zusammengetroffen. „Das ist schon eine neue Qualität“, so Reul.
NRW-Verfassungsschutz beobachtet seit Dezember die AfD-Nachwuchsorganisation
Der NRW-Verfassungsschutz hat im Dezember erstmals die AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ als Verdachtsfall eingestuft. Ob auch die Mutterpartei in NRW unter Beobachtung gestellt wird, ist offenbar eine permanente Abwägungsentscheidung der zuständigen Stellen. „Der Verfassungsschutz nimmt klar unter die Lupe, ob und wie sich große Teile der Organisation der Partei AfD explizit gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Landes richten“, sagte Reul.
Der Minister lobte die Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus, die zurzeit in NRW stattfinden: „Da ist irgendwas im Land los, was man sehr ernst nimmt und was Gott sei Dank ganz viele Menschen auch beunruhigt und wo die sagen, das kann doch nicht so bleiben, das können wir nicht laufen lassen.“
Reul nahm zugleich die Politik in die Pflicht. Der Staat müsse beweisen, dass er in der Lage sei, Probleme möglichst gut zu lösen. Als früherer „politischer Streithansel“ riet der der 71-jährige Kabinetts-Senior alle Demokraten zur vorübergehenden Mäßigung in der Auseinandersetzung auf, um gemeinsam den Rechtsstaat zu verteidigen. „Es ist brenzlig im Moment.“
Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler rät Parteien wie CDU und SPD derweil, stärker ihre Unterschiede zur AfD herauszuarbeiten und nicht die Gemeinsamkeiten. „Dann wissen Wählerinnen und Wähler, wer wofür steht“, sagte der Rechtsextremismus-Forscher von der Hochschule Düsseldorf unserer Redaktion. Offen sei, ob die Aufregung über das Potsdamer Treffen die AfD schwäche.