Berlin. Milliardenschwere Subventionen, einen Fuß im Bundestag: Woher der Einfluss der Landwirtschaft kommt und was nun auf dem Spiel steht.
- Die Bauern-Lobby gilt als extrem einflussreich und verfügt seit langem über beste Kontakte in die Politik
- In die deutsche Landwirtschaft fließen jährlich Subventionen in Milliardenhöhe – vor allem aus Europa
- Experte fordert Umdenken bei Subventionen für die Agrarwirtschaft
Während die deutschen Landwirte Autobahnauffahrten blockieren und Traktorhupen in deutschen Innenstädten ertönen, hat Bauverbandspräsident Joachim Rukwied in der bayrischen Region Chiemgau ein Heimspiel. Sein Auftritt ist ein Sinnbild für die Macht der Bauern in Deutschland: Im Kloster Seeon bei der Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten spricht er von einem „Abwicklungsszenario“, das die Bundesregierung mit den Kürzungen beim Agrardiesel auf den Weg bringe.
Lesen Sie auch:Bauern: Wut-Eskalation berechtigt? Das verdienen Landwirte wirklich
Rukwied weiß, dass er hier nicht viel Widerspruch zu erwarten hat, spricht er doch auch vor zahlreichen Landwirten, die für die CSU zum Teil auch im Agrarausschuss des Bundestags sitzen. Man ist sich deshalb einig in der Sache. Das, was die Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin mit der bäuerlichen Bevölkerung vorhat, darf nicht so kommen. „Das ist inakzeptabel. Das muss zurückgenommen werden“, sagt Rukwied. Und später: „Es geht um mehr. Es geht natürlich um die Zukunft unserer Bauernfamilien. Aber es geht am Ende auch um die Zukunft unseres Landes.“
Bauern: Subventionen als Haupteinnahmequelle und eine mächtige Lobby
Die Politik und die Bauern: Wohl kaum eine Lobbyorganisation hatte in den vergangenen Jahren einen besseren Zugang zu denen, die Gesetze auf den Weg bringen. So ist es dem Bauernverband „immer wieder gelungen, staatliche Initiativen zum Schutz von Verbrauchern und Tieren sowie der Umwelt zu verhindern beziehungsweise zu verwässern“, heißt vom Verein Lobbycontrol. Und auch des Geldes wegen kommt der Bauernverband nicht an der Politik vorbei: Die milliardenschweren Agrarsubventionen sind eine der Haupteinnahmequellen für die Branche.
Noch in der vorherigen Legislaturperiode hatten 85 Prozent der CDU/CSU-Agrarausschussmitglieder im Bundestag einen direkten Bezug zur Land- und Agrarwirtschaft, also zum Beispiel zu Düngeherstellern oder Fleischproduzenten. Gesetzgebung leicht gemacht, unkten schon mal Beobachter. Die Bauernlobby jedenfalls kann noch immer öffentlich ganz anders als andere Lobbyisten auftreten.
Brüssel überwies 2022 mehr als sechs Milliarden Euro an deutsche Bauern
Ihre Fachleute hätten vielfach die Deutungshoheit, schrieben 2020 zum Beispiel die beiden Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres in ihrem Buch „Die Klimaschmutzlobby“. Es wüssten eben heute nur noch wenige Menschen, wie Weizen, Kartoffeln oder Äpfel angebaut würden. Hinzu komme, dass die Agrarlobby Vertreter in wichtigen Gremien habe – vom Agrarministerium des Bundes bis hin zur Agrarkommission des Europäischen Parlaments. So ließen sich wichtige Entscheidungen beeinflussen.
- Politik-News: Die wichtigsten Nachrichten des Tages aus der Bundespolitik im Blog
- Neue Partei: Bundestagsabgeordnete der Grünen wechselt zur CDU
- Gerichtsurteil: Keine Waffen für AfD-Mitglieder? Jäger und Schützen unter Druck
- Klimawandel: Fluten, Hitze, Erdrutsche – So müssen Kommunen Bürger schützen
- Parteitag: AfD-Delegierter beißt Demonstranten – Video zeigt Vorfall
Europa ist der Kitt, der die Landwirte zusammenhält, jedenfalls in finanzieller Hinsicht. Aktuelle, vollständige Zahlen liegen lediglich für das Jahr 2022 vor. Damals flossen gut 6,382 Milliarden Euro an Agrarsubventionen nach Deutschland.
Der größte Anteil entfiel auf die
- Direktzahlungen (4,811 Milliarden Euro), gefolgt von Zahlungen für den Ökolandbau (circa 200 Millionen Euro),
- Zahlungen für benachteiligte Gebiete (gut 145 Millionen Euro),
- Agrarumweltmaßnahmen (etwa 300 Millionen Euro) und einer Reihe von
- Investitionsfördermaßnahmen.
Subventionen für Bauern: Landwirtschaft wurde zum hochsubventionierten Wirtschaftssektor
Hinzu kommt Geld aus dem Bundeshaushalt: 2022 waren insgesamt rund 3,7 Milliarden Euro für die Landwirtschaft eingeplant. Einen großen Teil davon machten Zuschüsse zu den landwirtschaftlichen Sozialversicherungen aus. Darüber hinaus erhielten deutsche Landwirte Agrardieselerstattungen in Höhe von gut 440 Millionen Euro.
Der Verzicht auf Steuereinnahmen etwa durch die Kfz-Steuerbefreiung entlastete den Sektor um gut 485 Millionen Euro. Agrarwissenschaftler Thomas Herzfeld vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) aus Halle an der Saale hält die Landwirtschaft für hoch reguliert. „Der Agrarsektor ist im Rahmen der Europäischen Union und auch in Deutschland der Wirtschaftssektor, der am meisten Subventionen bekommt“, sagt er.
Das hat vor allem historische Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man innerhalb der europäischen Gemeinschaft die Lebensmittelproduktion stärken und gleichzeitig Agrarimporte zurückdrängen. Aus der Unterversorgung wurde so schon bald eine Überproduktion. „Man sah Milchseen und Butterberge und um die abzubauen, entschied man sich, Direktzahlungen, so wie wir sie heute noch kennen, einzuführen“, erklärt Experte Herzfeld.
Immer noch eine Sonderrolle? Experte für Umdenken bei Subventionspolitik
Ab 2003 begann die Europäische Kommission dann, in die vollständige Entkoppelung von der Produktion einzusteigen. Die Höhe der Direktzahlungen bemisst sich seitdem vor allem an der Fläche, die ein Bauer bewirtschaftet. Ökonomisch gesehen, sei das der richtige Weg gewesen, so Experte Herzfeld, der die staatlichen Hilfen in ihrer heutigen Ausprägung allerdings hinterfragt. „Es gibt Landwirte, die mir sagen, dass sie auch ohne Subventionen auskommen könnten“. Allerdings weiß auch Herzfeld, dass Reformen an den Beharrungsfähigkeiten der Agrarlobby scheitern können. Das ist verständlich, denn die staatlichen Zuwendungen machen dem Experten zufolge bis zu 40 Prozent des Umsatzes eines landwirtschaftlichen Betriebs aus.
Debatten darüber halten Fachleute aber inzwischen für geboten. „Historisch war die Lebensmittelproduktion entscheidend wichtig für eine Volkswirtschaft. Doch jetzt wird hinterfragt, inwieweit der Sektor noch diese Sonderrolle hat, oder, ob der Agrarsektor nicht doch vergleichbar ist mit anderen Branchen wie etwa Handwerkern. Der befürchtete Kulturwandel ist auch ein Grund dafür, dass Lobbyvertreter derzeit so massiv auftreten“, ordnet Thomas Herzfeld ein.
Landwirtschaft muss sich „grundlegend verändern“
Trotz geringerer finanzieller Spielräume der öffentlichen Hand will aber auch Herzfeld kein generelles Aus von Agrarhilfen. „Wenn wir über Klimaschutz reden, ist die Landwirtschaft ein ganz wichtiger Baustein“, sagt der Wissenschaftler. Kümmere sich ein Landwirt etwa um die Wiedervernässung von Mooren, sei das eine Leistung, für die es an der Supermarktkasse keinen Preis gebe. Dafür Zahlungen zu leisten, sei auch wirtschaftspolitisch gerechtfertigt. „Mein Wunsch wäre, ein System zu entwickeln, das die Anforderungen, die sich künftig im Bereich Klimaschutz und Tierwohl stellen, langfristig absichert.“
Erste Stimmen, das Subventionssystem im Agrarbereich zu überdenken, kommen auch aus dem Bundestag. Die Landwirtschaft hänge seit Jahrzehnten in der Krise, sagt die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) dieser Redaktion. „Weil sie darüber hinaus ein wichtiger Sektor im Klima- und Umweltschutz ist, muss sich etwas grundlegend verändern“, so Künast.
Reform bei Subventionen? Union warnt vor Investoren ohne Bezug zum Dorfleben
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hingegen hält die Subventionen für die Landwirtschaft nach wie vor für zeitgemäß. Denn es handele sich um „Ausgleichszahlungen für öffentliche Güter wie Versorgungssicherung und Landschaftspflege“, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Steffen Bilger. Fördergelder machten je nach Struktur eines Haupterwerbsbetriebs zwischen 41 und 62 Prozent des landwirtschaftlichen Einkommens aus. Er warnt: „Fielen sie weg, würden kleine und mittlere Betriebe von Großbetrieben und außerlandwirtschaftlichen Investoren verdrängt, die oft keinen Bezug zum Dorfleben haben.“