Berlin. Radikale Proteste, kaum Vertrauen in die Regierung. Viele Deutsche sorgen sich um die Demokratie. Haben sie sie schon aufgegeben?
Eine Unruhe hat das Land erfasst. Einerseits gibt es wütende Proteste von Bauern an einem Fähranleger. Die Bilder aus Schlüttsiel wirken, als ob die Landwirte dem Grünen-Politiker und Wirtschaftsminister Robert Habeck stellvertretend für die gesamte Bundesregierung an den Kragen wollen. Andererseits wächst angesichts solcher Aktionen die Sorge um den Zusammenhalt der Gesellschaft, um eine Radikalisierung bestimmter Milieus – und auch um die Standfestigkeit der Demokratie.
Bestärkt wird diese Beunruhigung von Umfragen, nach denen die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September stärkste Kraft werden könnte. Bei den Landtagswahlen im vergangenen Oktober in Bayern und Hessen hatte die AfD bereits stark hinzugewonnen und Ergebnisse erzielt, die über das lange für rechte Parteien in Deutschland für erreichbar gehaltene Potenzial hinausgehen.
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Umfrage: Sieben von zehn Bürgern sehen die Demokratie in Gefahr
Sieben von zehn Bundesbürgern sorgen sich um die Demokratie in Deutschland. Das ergab eine repräsentative Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey von rund 5000 Bundesbürgern ab 18 Jahren für diese Redaktion. Demnach bejahten 72 Prozent der Teilnehmer die Frage: „Ist die Demokratie in Deutschland Ihrer Meinung nach gefährdet?“
Ein Fünftel (21 Prozent) antwortete mit Nein, sieben Prozent sind unentschieden. Die Sorge um die Demokratie ist im Osten (74 Prozent) wie im Westen (72 Prozent) nahezu gleich groß. 20 Prozent der Befragten erwarten, dass Deutschland in diesem Jahrhundert noch eine andere Regierungsform als die Demokratie erleben wird.
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Donald Trump: Wie gefährlich wäre eine Wiederwahl als US-Präsident?
Der Aufstieg autoritärer, rechter und rechtsextremer Kräfte ist international zu beobachten. Bei der Europawahl im Juni wird mit einem möglichen Rechtsruck gerechnet. In den Niederlanden feierte der Rechtspopulist Geert Wilders Ende vergangenen Jahres einen Wahlsieg. Beobachter warnen, dass ein erneuter Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen im November das Modell der westlichen Demokratie ernsthaft schwächen könnte.
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Hierzulande machte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichtes,Andreas Voßkuhle, kürzlich mit einer eindringlichen Warnung Schlagzeilen: „Es kann durchaus sein, dass sich unsere westliche Demokratie nur als eine kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erweist“, sagte er dem „Tagesspiegel“. Wie auf frühe Demokratien könne wieder eine „dunkle Zeit des Totalitarismus“ folgen.
Die Unterstützung für die Demokratie ist groß
Der exklusiven Civey-Umfrage für diese Redaktion zufolge ist die Unterstützung in der deutschen Bevölkerung für die Demokratie groß. Auf die Frage „Wünschen Sie sich, dass Deutschland auch in Zukunft eine Demokratie bleibt?“ antworteten 91 Prozent der Teilnehmer mit Ja (Nein: vier Prozent, Unentschieden: fünf Prozent). 83 Prozent halten die Demokratie zudem für die beste Staatsform (Nein: 8 Prozent, Unentschieden: 9 Prozent).
Hier zeigt sich allerdings ein regionaler Unterschied: Während in den westdeutschen Bundesländern 87 Prozent die Demokratie für die beste Staatsform halten, sind in den ostdeutschen Bundesländern nur 70 Prozent dieser Meinung. Unterschiede gibt es auch unter den Wählern der verschiedenen Parteien: Während Anhänger von SPD und Grünen (jeweils 96 Prozent) sowie von CDU/CSU (88 Prozent) und FDP (87 Prozent) die Demokratie mit großer Mehrheit für die beste Staatsform halten, ist die Zustimmung unter Anhängern von der Linken (72 Prozent) und AfD (65 Prozent) geringer.
Steinmeier ruft zum Engagement für die Demokratie auf
Die Sorge um die Demokratie beschäftigt die politischen Kreise in der Hauptstadt seit Monaten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief in seiner Weihnachtsansprache zum Engagement auf. „Wir brauchen Menschen, die sich einbringen und die daran arbeiten, dass morgen das besser wird, was heute noch nicht gut ist“, hatte das Staatsoberhaupt gesagt. „Weiter kommen wir immer nur gemeinsam, und nicht, wenn jeder sich in seine Lebenswelt zurückzieht.“
Fast die Hälfte der Deutschen hat der Umfrage zufolge vor, sich in Zukunft stärker als bisher für die Demokratie zu engagieren: 46 Prozent der Teilnehmer bejahten eine entsprechende Frage, 29 Prozent haben das nicht vor, ein Viertel ist unentschieden. Vor allem Anhänger von Grünen, der SPD und der Linken haben sich dies vorgenommen.
Klimaaktivisten zweifeln: Kann die Demokratie auf aktuelle Krisen reagieren?
Die Demokratie wird aus unterschiedlichen politischen Richtungen angezweifelt. So halten etwa manche Klimaaktivisten die Demokratie für zu schwerfällig, um die aus ihrer Sicht erforderlichen Schritte im Kampf gegen den Klimawandel zu beschließen und durchzusetzen. Der Großteil der Bevölkerung (79 Prozent) ist jedoch der Meinung, dass die Demokratie die beste Staatsform ist, um die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken rief zu demokratischen Auseinandersetzungen auf. „Jede und jeder hat das Recht, für die eigene Meinung, für die eigenen Interessen einzutreten. Erst der demokratische Diskurs, der Austausch unterschiedlicher Meinungen und Interessen macht es möglich, dass gute, tragfähige Kompromisse entstehen“, sagte die SPD-Chefin dieser Redaktion. Das gehe aber nur mit gegenseitigem Respekt. „Wenn wir Unterschiede begrüßen und Widerspruch ertragen. Wenn Hass und Ausgrenzung keinen Platz in unserer Gesellschaft bekommen.“ Deswegen sei auch klar: „Ihren Feinden gegenüber muss sich Demokratie unmissverständlich und mit den Mitteln des Rechtsstaats wehrhaft zeigen.“
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