Münster. Im Interview spricht Armin Laschet über den „Westfälischen Frieden“ vor 375 Jahren und was wir für heutige Kriege daraus lernen können.
Dass Kriege irgendwann einmal enden, wünschen sich alle Menschen, die darunter leiden. Doch wie kann man verfeindete und oft verblendete Parteien an einen Tisch bekommen? In Münster wurde in diesem Jahr an den „Westfälischen Frieden“ erinnert, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete. Politiker, Unternehmer und Experten diskutierten über Wege zu dauerhaften Frieden in heutigen Zeiten. Konferenzleiter war Armin Laschet, der frühere NRW-Ministerpräsident. NRZ-Chefredakteur Manfred Lachniet sprach mit ihm über Krieg und Frieden.
Was war Ihre Motivation für die Konferenz?
Die Idee dazu kam ja von den Unternehmern der Region, der „Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe e.V.“ Für mich ist das ein wirklich beeindruckendes bürgerschaftliches Engagement. 375 Jahre nach dem Westfälischen Frieden wurde im Sommer dieses Jahres an dieses historische Ereignis erinnert, zugleich sollte es als Mahnung an die heutige Zeit verstanden werden. Das bundesweite und internationale Echo auf die Veranstaltung im Münsteraner Rathaus war enorm. Dass ich den Vorsitz dieser Konferenz übernehmen durfte, macht mich als Europäer stolz. Natürlich hat der Krieg in der Ukraine die Konferenz überlagert, mir ist aber wichtig zu sagen, dass das Nachdenken über Friedensprozesse weltweit nötig ist. Deshalb hat sich auch das von mir gegründete Abraham Accords Institute beteiligt, das sich der Versöhnung Israels mit der Arabischen Welt widmet. Die Botschaft aus Münster soll sein, dass unsere Welt eine regel-basierte Ordnung benötigt. Heute wohl mehr als je zuvor.
Was war 1648 das „Geheimnis“, warum kamen sich die gegnerischen Mächte damals näher?
Nach dreißig Jahren Krieg und Verwüstung war es am Ende wohl hauptsächlich die Ermüdung und Erschöpfung der Mächte, die sie an den Konferenztisch brachte. Man muss sich vorstellen, dass große Teile des heutigen Deutschlands und Europas völlig verwüstet waren, es gab Millionen Tote, unvorstellbares Leid. Erst da kam man auf die Idee, sich an getrennten Orten, nämlich in Münster und in Osnabrück, zu Verhandlungen zu treffen. Beachtlich war, dass man nicht nur über das Ende des Krieges sprach, sondern auch über die Ordnung danach. Wie man fortan miteinander umgehen wollte. Der Westfälische Friede war somit die Grundlage für das moderne Völkerrecht.
Mit Blick auf die Ukraine klingt es nicht gerade ermutigend, dass erst die völlige Erschöpfung der Kriegsparteien zu Verhandlungen geführt hat.
Ich fürchte, dass wir dies im schlimmsten Fall auch bei Russland und der Ukraine erleben. Die Völkerrechts-Lage ist dabei völlig klar: Aggressor ist Russland. Es hat ein Land überfallen, obwohl in der Charta von Paris 1990 vereinbart wurde, dass in Europa nie wieder Grenzen mit Gewalt verschoben werden dürfen. Nichtsdestotrotz sehen wir inzwischen eine festgefahrene Situation, einen Stellungskrieg wie im Ersten Weltkrieg. Der Westen muss weiter darauf achten, dass Russland nicht gewinnt. Es geht aber auch darum, dass irgendwann ein Ende des Krieges erreicht wird. Für die internationale Diplomatie wird es ein Kunststück sein, in dieser festgefahrenen Lage eine Lösung zu finden.
Die kann sich aktuell aber niemand vorstellen …
Ja, das konnte man während des Dreißigjährigen Krieges auch nicht. Aber nehmen wir unsere neuere Geschichte: Dass Frankreich und Deutschland nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder miteinander sprachen und sogar enge Freunde wurden, das war eine enorme diplomatische, menschliche und außenpolitische Leistung. Mit dem Schuman-Plan wurde zunächst die Montan-Union aus Kohle und Stahl gegründet, aus der später die Europäische Union wurde. Diese wunderbare Entwicklung sollte uns leiten, wenn wir heute über die Ukraine sprechen. Dies gilt auch für den Nahen Osten. Israel muss zu einem Frieden mit den arabischen Ländern finden. Und die Arabische Welt muss zu Israel diplomatische Beziehungen aufnehmen und dessen Existenzrecht anerkennen. Die Botschaft von 1648 ist ja, dass trotz furchtbarster Auseinandersetzungen Gespräche möglich sein müssen.
1648 vereinbarten die beteiligten Mächte, dass das Unrecht aus dem Krieg vergessen und nicht mehr einzuklagen sein sollte. Geht das?
Das Völkerrecht hat sich ja weiter entwickelt. Denken Sie nur an die Nürnberger Prozesse oder die Prozesse nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag. Dass Unrecht einfach vergessen wird, werden die heutigen Zivilgesellschaften nicht hinnehmen. Nichtsdestotrotz müssen heutige Feinde in Zukunft mit ihren Nachbarn friedlich leben.
Bei der Konferenz war Kiews Bürgermeister Klitschko dabei. Fehlte nicht auch jemand aus Russland?
Dazu ist es in einem Format wie in Münster zu früh. Außerdem haben Außenminister Lawrow oder andere verantwortliche Personen ein Einreiseverbot. Und oppositionelle Persönlichkeiten dürfen aus Russland ohnehin nicht ausreisen.
In Münster haben Sie Bundeskanzler Scholz in seiner Haltung zum Krieg in der Ukraine gelobt, warum?
Es war mir wichtig, dass in Krisenzeiten Regierung und Opposition in manchen Fragen zusammenstehen. Als Bundeskanzler hätte ich nicht anders gehandelt. Der Streit über den richtigen Weg wird parteiübergreifend diskutiert. Manche in CDU und SPD fordern die Lieferung von Marschflugkörpern, andere mahnen zur Zurückhaltung. Bemerkenswert ist die teils bellizistische Sprache von prominenten Grünen wie Anton Hofreiter. Auch bei der FDP gibt es solche Stimmen. Ein Bundeskanzler trägt indes auch die Verantwortung, dass Deutschland nicht in den Krieg hineingezogen wird. Er denkt und spricht da so wie Präsident Biden. Und mit seiner Rede zur Zeitenwende hat Scholz das Richtige gesagt. Ich hätte das ähnlich formuliert.
Was denken Sie aktuell über Europa, wenn Sie etwa an Polen, Ungarn oder die Niederlande denken?
Das Beispiel Polen zeigt, dass man mit einer pro-europäischen Haltung Wahlen gewinnen kann. Das ist ein sehr gutes Signal. Leider ist das nicht überall so, wie zuletzt die Wahlen in den Niederlanden gezeigt haben. Und auch in Frankreich haben die extremen Rechten viele Sympathisanten. Für mich heißt das, dass wir noch mehr für die Idee von Europa werben müssen: Indem wir zum Beispiel deutlich machen, dass die AfD aus der Europäischen Union austreten will. Viele sehen nicht, dass dies auch eine Katastrophe für unseren Wohlstand und die Wirtschaft wäre. Eine Europawahl darf nie zur Protestwahl werden, sonst haben die Rechtspopulisten gewonnen und das europäische Einigungswerk ist zerstört.
Leider ist die Europäische Union ja selbst nicht immer einig …
Auch hier ist mehr kluge Diplomatie nötig. Wenn man mit einem Staatschef wie Viktor Orbán nur wenige Stunden vor einer Entscheidung spricht, dann muss man sich über sein schroffes Verhalten nicht wundern. Wichtige Dinge muss man lange und gut vorbereiten. Ungarn ist Mitglied der EU und er weiß den Großteil seiner Bevölkerung hinter sich. Da ist es schwer, sich mit Mehrheit gegen ihn durchzusetzen. Ich will Orbán jetzt nicht verteidigen, aber wenn er etwa die Frage stellt, wie ein Europa ohne Reformen, mit Einstimmungsprinzip, mit einem großen neuen Mitglied Ukraine, mit Moldawien, Georgien und dem ganzen Balkan funktionieren soll, zum Beispiel bei der Finanzierung der Agrarpolitik, dann ist das eine berechtigte Frage, die man beantworten muss. Nicht nur Orbán sollte sie stellen. Dass er natürlich die Rechtsstaatlichkeit in seinem Land wieder herstellen muss, ist da ein ganz anderes Thema. Doch leider spricht Brüssel gerade nicht mit einer Stimme, es gibt keine gemeinsame Außenpolitik. Frau von der Leyen reist nach Israel und bekundet Solidarität, während der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gleichzeitig die Palästinenser lobt. Das geht genauso nicht wie man einerseits den Green Deal mit Regulierung durchsetzen will, aber auf der anderen Seite die Zukunft der Industriearbeitsplätze, besonders in Deutschland, gefährdet. Hier brauchen wir eine bessere Abwägung.
Wie optimistisch blicken Sie in das kommende Jahr?
Wie Geschichte verläuft, entscheiden die, die in der Gegenwart handeln. Ich bin optimistisch, dass sich Maß und Mitte und eine europäische Sichtweise durchsetzt. Nur dann besteht Anlass zu Optimismus.