Berlin. In der Ukraine werde auf absehbare Zeit kein Frieden einkehren, sagt der Militärexperte. Russland könne weitere Kräfte mobilisieren.
Nach Ansicht des Militärexperten Carlo Masala brauchen die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer jetzt einen langen Atem. Die Bundesregierung erhält vom renommierten Politikwissenschaftler der Bundeswehr-Universität München ein Lob.
Die Ampelkoalition hat ihren Haushaltsstreit beigelegt und ist bereit, 2024 noch einmal die Schuldenbremse auszusetzen, falls das zur Unterstützung der Ukraine notwendig werden sollte. Wie wichtig ist dieser Beschluss aus außenpolitischer Sicht?
Carlo Masala: Das ist ein sehr wichtiges Signal – an die überfallene Ukraine, an den russischen Aggressor und auch an die westlichen Partner. Die USA könnten schon bald als wichtigster Unterstützer der Ukraine ausfallen, weil die oppositionellen Republikaner im Senat weitere Hilfen blockieren. Deutschland macht jetzt deutlich, dass es bereit wäre, mehr zu tun, als es ohnehin schon tut.
Der ukrainische Präsident Selenskyj war gerade bei Joe Biden in Washington. Biden hat seine Rhetorik verändert: Er verspricht jetzt Unterstützung „so lange wir können“ und nicht mehr so lange wie nötig. Wie ist das zu bewerten?
Biden gesteht im Grunde ein, dass er nicht mehr die Kontrolle darüber hat, ob ein Kompromiss mit den Republikanern zustande kommt. Deswegen kann er Selenskyj keine Versprechungen machen. Die Ukraine muss jetzt davon ausgehen, dass mindestens bis zum Jahreswechsel kein weiteres Signal der Unterstützung aus dem US-Kongress mehr kommt. Zur Erinnerung: Die bisher freigegebenen Mittel werden Ende Dezember aufgebracht sein.
US-Geheimdienste gehen davon aus, dass Russland seit Beginn der Invasion in der Ukraine mehr als 300.000 Soldaten und 2.200 von ehemals 3.500 Panzern verloren hat. Was sagt das aus über die Handlungsfähigkeit der russischen Armee?
Die russische Armee bleibt trotz der immensen Verluste handlungsfähig. Die Rüstungsproduktion in Russland läuft auf Hochtouren. Und die Regierung kann immer noch weitere Soldaten rekrutieren. Zwar muss sie dabei die innenpolitische Stimmung im Blick behalten. Aber viele Beobachter gehen davon aus, dass Präsident Putin nach der Präsidentschaftswahl im kommenden März eine zweite Mobilisierungswelle starten wird – und zwar im Umfang von 300.000 bis 400.000 Mann. Damit hätte Russland wieder eine komplette Streitmacht, die es in die Ukraine schicken kann.
Das Geschehen auf dem Schlachtfeld in der Ukraine ist seit geraumer Zeit festgefahren. Es geht kaum voran, weder in die eine noch in die andere Richtung. Wie sieht Ihr Szenario für die kommenden Monate aus?
Ich gehe davon aus, dass das gesamte Jahr 2024 durch Verteidigungskämpfe gekennzeichnet sein wird. Die Ukrainer werden sich in Stellungen eingraben und versuchen, die russische Initiative etwa im Osten des Landes zu brechen. Die Ukraine bereitet das bereits vor, indem sie mit westlichen Staaten Kooperationsverträge zur Produktion von Rüstungsgütern schließt.
Also ist kein Ende des Krieges in Sicht?
Der Krieg wird weitergehen, auch über 2024 hinaus. Darauf stellen sich die Ukrainer und Russen ein. Und die westlichen Unterstützer, inklusive der deutschen Bundesregierung, tun es auch.
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