Brüssel/Berlin. Das EU-Parlament beschließt die brisante Gebäuderichtlinie. Das Aus für Heizen mit Öl und Gas rückt näher, neue Solaranlagenpflicht.
Auf diese Entscheidung haben Millionen Hausbesitzer gewartet: Die Europäische Union hat festgelegt, wie weit eine Sanierungspflicht auch für private Wohnimmobilien in Europa reichen soll. Das EU-Parlament stimmte am Dienstag einem Gesetzestext zu, der zuvor mit dem Rat der Mitgliedsstaaten ausgehandelt worden war. Ziel: Für den Klimaschutz soll Energie in neuen und renovierten Gebäuden effizienter eingesetzt werden – vor allem beim Heizen soll weniger CO2 entstehen.
Die gute Nachricht für Hausbesitzer und ihre Mieter: Die befürchtete Zwangssanierung von älteren Wohngebäuden innerhalb weniger Jahre ist vom Tisch. Im Gesetz gibt es gar keine individuelle Sanierungs-Verpflichtung für Besitzer bestehender geben. Stattdessen bekommen die Mitgliedstaaten großen Spielraum, das Erreichen festgelegter Energieziele in eigener Regie zu organisieren. Kern der Gebäuderichtlinie: Der gesamte Immobiliensektor muss künftig bestimmte Energievorgaben erreichen. Bis 2030 sollen alle Neubauten emissionsfrei sein, schon zwei Jahre früher gilt das für neue öffentliche Gebäude.
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Bei bestehenden Immobilien gibt es mehr Zeit. Aber: Bis 2050 muss der gesamte Immobilienbestand in emissionsfreie Gebäude umgewandelt sein. Der durchschnittliche Energieverbrauch des Wohngebäudebestandes muss demnach bis 2030 um 16 Prozent und bis 2035 um 20 bis 22 Prozent gesenkt werden. 55 Prozent dieser Energieeinsparung muss durch die Renovierung der Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz erreicht werden. Ausnahmen gelten unter anderem für historische Bauwerke, Kirchen, Ferienhäuser, Industrieanlagen und Verteidigungs-Einrichtungen.
Bis 2040 Aus für Heizkessel mit fossilem Brennstoff
Vereinbart ist auch der Ausstieg aus Heizungen mit fossilen Brennstoffen: In die nationalen Gebäuderenovierungspläne soll ein Fahrplan für den Ausstieg aus Heizkesseln mit fossilen Brennstoffen bis 2040 aufgenommen werden. Für Neubauten, für öffentliche Gebäude und für Nichtwohn-Gebäude, die genehmigungspflichtigen Renovierungen unterzogen werden, wird schrittweise die Verpflichtung zur Installation geeigneter Solarenergieanlagen, „sofern es technisch, wirtschaftlich und funktionell realisierbar ist.“
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Beginnen soll diese Pflicht 2027 für alle neuen öffentlichen Gebäude und große Nichtwohngebäude, die größer als 250 Quadratmeter sind. Ab 2030 müssen auf alle neuen Wohngebäude und alle neuen überdachten Parkplätze neben Gebäuden Solaranlagen installiert werden, ein Jahr später auch auf allen bestehenden öffentlichen Gebäuden ab 250 Quadratmetern. Was der Kompromiss für Hausbesitzer auch in Deutschland jenseits des Verzichts auf Zwangssanierung im Detail bedeutet, wird sich erst noch zeigen: Die Entscheidung liegt – zu einem späteren Zeitpunkt – im Wesentlichen bei der Bundesregierung, nicht mehr bei der EU.
Der CDU-Wirtschaftsexperte im EU-Parlament, Markus Pieper, mahnte, jetzt in Berlin gut aufzupassen, was die Bundesregierung tun werde: „Die Richtlinie könnte in Deutschland immer noch zum Vorwand für Zwangssanierungen genommen werden, die man ideologisch schon immer wollte.“ Das Brüsseler Gesetz rechtfertige aber keine Zwangssanierungen mehr. „Den Zahn haben wir ihr gezogen“, sagte Pieper mit Blick auf den Widerstand gegen ursprüngliche Kommissions-Pläne.
Der ursprüngliche Plan hatte Hausbesitzer alarmiert
Der Vorschlag der EU-Kommission und eine verschärfte Fassung des EU-Parlaments hatten Hauseigentümer in ganz Europa alarmiert. Der Plan: Jedes Mitgliedsland müsste seinen Gebäudebestand in Klassen unterteilen und dann für die untersten zwei Klassen eine sehr zügige Sanierungspflicht bis 2033 durchzusetzen. Die betroffenen Gebäude sollten im Eiltempo Mindesteffizienz-Standards erreichen, etwa durch Dämmung oder Fensterisolierungen.
Nach Schätzungen des Spitzenverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) hätten damit in Europa 45 Prozent aller Gebäude saniert werden müssen – innerhalb von nur neun Jahren. In Deutschland hätte es laut Verband den Zwang zur energetischen Sanierung von sechs bis acht Millionen älteren Wohngebäuden teils bis 2030, teils bis 2033 bedeutet – in der großen Mehrzahl Einfamilienhäuser. Und das mit Sanierungskosten ab 10.000 Euro aufwärts, mitunter auch bis zu 100.000 Euro. Das könnte Hausbesitzer schnell überfordern, in manchen Fällen lohnt sich eine aufwendige Sanierung kleiner Wohngebäude gar nicht mehr.
Für die Entschärfung der Gebäude-Richtline hatte sich unter anderem die Bundesregierung eingesetzt. Nach dem Riesen-Streit um das Heizungsgesetz in Deutschland war die Ampel-Koalition aufs Höchste alarmiert, zumal die Kosten der befürchteten Zwangssanierung die des diskutierten Wärmepumpen-Zwangs noch deutlich übertroffen hätten. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) warnte, ein Sanierungszwang sei nicht einmal mit dem Grundgesetz vereinbar, ein solcher Eingriff in die Eigentumsrechte von Hausbesitzern sei zu hart. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) machte Druck, nannte die ursprünglichen Pläne „enorm gefährlich“.
Klar ist aber auch: Mittelfristig führt an einer energetischen Sanierung auch von privaten Wohnhäusern in den meisten Fällen kein Weg vorbei, wenn das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 (Deutschland) oder 2050 (EU) erreicht werden soll. Der Gebäudesektor ist in Europa für 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Eine Sanierungsoffensive gilt deshalb als entscheidender Faktor, um die Klimaziele der EU zu erreichen, wie EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra jetzt eindringlich erklärt. Die Aufgabe ist riesig: „Knapp 75 Prozent der bestehenden Gebäude sind nicht energieeffizient und müssen im großen Maßstab energetisch renoviert werden“, erläutert der Rat der Mitgliedstaaten.
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Kritik an dem Kompromiss hatten in Deutschland Umweltverbände geübt. Der Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), Florian Schöne, nannte das von Parlament und Rat ausgehandelte Ergebnis „besorgniserregend.“ Die Ambitionen seien auch dank der Bundesregierung auf dem Niveau des „business as usual“ angelangt.
Da es nicht für alle Gebäude Sanierungsvorgaben geben wird, sind die Mitgliedsländer aufgefordert, ihre öffentlichen Gebäude dafür zu priorisieren. Ministerin Geywitz hat bereits den besonderen Bedarf an Schulsanierungen hervorgehoben – und bekommt nun Unterstützung von einem Bündnis aus Sozialverbänden, Gesundheits- und Umweltorganisationen. Die äußern sich besorgt, dass der schlechte Zustand vieler Schulgebäude schädlich für das Wohl von Kindern sei.
Schlechte Isolierung, wenig Energieeffizienz, Feuchtigkeit und Schimmel in Innenräumen: In Deutschland würden jährlich 200.000 Fehltage von Schülern aufgrund von mangelhaften Gebäudestandards verzeichnet. Die Deutsche Umwelthilfe erklärt: „Marode Schulen und schlecht gedämmte Wohnungen gefährden gleichermaßen die Gesundheit und Bildungschancen vieler Kinder in Deutschland.“
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