Paris. Nahe des Eiffelturms tötet ein Islamist einen deutschen Touristen. Die Sorge wächst, dass Frankreich vor einer neuen Gewaltwelle steht.
Unweit des Eiffelturms schleicht sich Armand R.-S. am Samstagabend, mit einem Messer in der rechten und einen Hammer in der linken Hand, von hinten an ein Touristenpaar heran und tötet einen jungen, auf den Philippinen geborenen Deutschen mit mehreren Stichen in den Rücken. Dessen unter Schock stehende Begleiterin dürfte ihr Leben allein einem Taxifahrer verdanken, der die Szene sieht, bremst und aus seinem Wagen steigt. Daraufhin ergreift der Täter sofort die Flucht und rennt über die nahegelegene Seinebrücke Bir Hakeim.
Auf der anderen Flussseite verletzt der Flüchtige einen ihm entgegenkommenden Franzosen sowie einen britischen Touristen mit Hammerschlägen, bevor er von mehreren Polizisten gestellt werden kann. Ergeben will sich Armand R.-S. nicht. Er hofft offenbar auf einen „Märtyrertod“. Den Ordnungshütern ruft er zu, dass er einen Sprengstoffgürtel trage. Diese setzen ihn schließlich mit zwei Taser-Schüssen außer Gefecht und nahmen ihn fest. Mehrfach ruft Armand R.-S. während seiner Tat „Allahu Akbar“.
Lesen Sie auch: Sorge um Juden in Frankreich – Höchste Terrorstufe
Einen Sprengstoffgürtel trug er zwar nicht, doch für Geheimdienste und Justiz ist er alles andere als ein Unbekannter. Der im Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine lebende 26-jährige Franzose mit iranischen Wurzeln konvertierte als Jugendlicher zum Islam, radikalisierte sich im Kontakt mit bekannten Salafisten und landete bereits als 18-Jähriger auf einer Liste potentieller Gefährder. Wenig später, im Jahr 2016, wurde der als physisch labil geltende Biologiestudent verhaftet, weil er einen Anschlag im Pariser Geschäftsviertel La Defense plante – und zu fünf Jahren Haft verurteilt, davon eines auf Bewährung.
Terror in Paris: Täter gibt an, getötete Muslime rächen zu wollen
Im Jahr 2020 kam Armand R.-S. frei – allerdings unter der Auflage, dass er eine im Gefängnis begonnene psychiatrische Behandlung fortzuführen habe. Bislang ist unklar, ob er sich daran gehalten hat. Wie es aus Ermittlerkreisen heißt, soll der 26-Jährige kurz vor den Angriffen ein Bekennervideo aufgenommen haben. Er erkläre darin seine Zugehörigkeit zum Islamischen Staat und dass er die von Israel getöteten Muslime rächen wolle. Ihm sei das Sterben der Muslime in Afghanistan und Palästina „unerträglich“ geworden. Frankreich bezichtigte er, sich durch seine Solidarität mit Israel am Sterben der Rechtsgläubigen mitschuldig zu machen.
Die für sämtliche Terror-Angelegenheiten zuständige Abteilung der Pariser Staatanwaltschaft hat die umgehend wegen Mordes und versuchten Mordes eingeleiteten Ermittlungen bereits an sich gezogen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach den Angehörigen des deutschen Todesopfers und das Verletzen im Onlinedienst X sein Beileid aus. Ebenfalls auf X erklärte Regierungschefin Elisabeth Borne, dass „wir dem Terrorismus nicht klein beigeben“ werden und lobte den Mut sowie das rasche Eingreifen der Sicherheits- und Rettungskräfte.
Faeser zu Attacke in Paris: „Krieg in Gaza verschärft Bedrohung“
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach den Angehörigen des Opfers ihre Anteilnahme aus. Deutschland kämpfe Seite an Seite mit Frankreich gegen den islamistischen Terror, sagte sie dieser Redaktion. „Der Krieg in Gaza nach dem Terror der Hamas verschärft die Bedrohungslage.“ Im dschihadistischen Spektrum seien verstärkt Aufrufe zu Attentaten zu sehen. „Die Gefahr weiterer Emotionalisierung und Radikalisierung von islamistischen Gewalttätern ist hoch“, so Faeser weiter. Jetzt gelte es, islamistische Gefährder genau im Blick zu behalten und weitere Radikalisierungsprozesse zu verhindern.
Schon wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel war in Frankreich die höchste Terroralarmstufe in Kraft getreten, weil ein junger Islamist einen Lehrer in der nordfranzösischen Arras ermordet hatte und die Zahl antisemitischer Übergriffe regelrecht explodiert war. Seither stehen nicht nur jüdische Einrichtungen und Persönlichkeiten unter Polizeischutz, landesweit sichern auch 7000 schwer bewaffnete Soldaten Flughäfen wie Bahnhöfe, stark frequentierte öffentliche Plätze sowie Tourismusattraktionen wie das Louvre-Museum, den Eiffelturm, das Schloss von Versailles oder die Basilika Sacre Coeur.
Krieg in Gaza: Frankreich fürchtet Stellvertreterkonflikt im Land
Dass die Bilder von dem Kriegsgeschehen in Nahost radikalisierte Einzeltäter zu Angriffen aufstachen könnte, ist die derzeit größte Sorge der Sicherheitsbehörden. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin beklagte jüngst eine „Atmosphäre des Dschihadismus“, die in den Vorstädten herrsche. Er brachte damit die Befürchtungen der Regierung vor dem Ausbruch von Stellvertreterkonflikten in Frankreich auf den Punkt, wo sowohl die größte jüdische als auch die größte muslimische Gemeinde Europas leben.
Aus der Luft gegriffen sind solche Befürchtungen angesichts der in den letzten zwei Jahrzehnten gemachten Erfahrungen keineswegs. Seit der zweiten Intifada ist es immer wieder dann zu teils gewalttätigen Spannungen zwischen den beiden Religionsgemeinschaften gekommen, wenn der Konflikt zwischen Israel und Palästina eine Verschärfung erfuhr. Sie gipfelten in den Terroranschlägen auf eine jüdische Schule in Toulouse im Jahr 2012 und auf einen koscheren Supermarkt in Paris 2015.
Doch die islamistischen Angriffe sind schon lange nicht mehr allein antisemitischer Natur. Sie richten sich zunehmend auch gegen Repräsentanten des französischen Staates wie Polizisten und Lehrer – oder einfach alles, was wie etwa Café- und Rockkonzertbesuche die säkuläre westliche Lebensart symbolisiert. In den Augen der Fanatiker, offenbar auch in denen von Armand R.-S., fallen in die Kategorie der abzustrafenden Falschgläubigen aber auch einfach Touristen.
- Masalaerklärt den Taurus-Plan: „Pilot in größerer Gefahr“
- Ausbildungstatt Hörsaal: „Ich wusste: Ich packe das nicht“
- Interview: Wissing warnt vor „Zwangsuntersungen“ für Senioren
- Geothermie:Wann lohnt sich das Heizen mit der Energie der Erde?
- Kinderpornos im Klassenchat:Was Eltern jetzt wissen müssen