Berlin. Judenfeindliche Proteste haben die Innenministerin alarmiert. Ihre Sorge vor einer gesellschaftlichen Spaltung wächst. Aus gutem Grund.
Feiern für den Terror der Hamas gegen Israel, Demonstrationen für ein Kalifat auf deutschen Straßen, antisemitische Hetze im Netz: Die Reaktionen auf den Krieg im Nahen Osten unter Muslimen in Deutschland haben Sicherheitsbehörden und die Bundesregierung alarmiert. Die Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf Judenhass unter Einwanderern und haben eine Integrationsdebatte ausgelöst. Auf der anderen Seite sorgt sich die Bundesregierung um eine Spaltung der Gesellschaft.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nimmt deswegen die Islamverbände hierzulande in die Pflicht, sich „laut und deutlich gegen Judenhass und Israelfeindlichkeit“ auszusprechen: in den Freitagsgebeten, in den Gemeinden oder auf den eigenen Social-Media-Kanälen. „Die großen islamischen Verbände müssen mit dafür sorgen, dass sich antisemitische Ressentiments nicht weiter verbreiten“, fordert Faeser im Gespräch mit dieser Redaktion und wünscht sich von einigen Verbänden „mehr Deutlichkeit und mehr Klarheit, nach innen wie nach außen“.
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Faeser hat am Dienstag und Mittwoch die Deutsche Islamkonferenz zu einer Fachtagung eingeladen, um die Folgen des Krieges zwischen der Hamas und Israel auf die Gesellschaft zu analysieren. Neben Vertreten der Islamverbände werden auch Akteure aus dem jüdischen Leben erwartet. „Den Bedrohungen gegenüber Jüdinnen und Juden und der Hetze gegen Israel müssen sich alle entgegenstellen, deren Stimmen wichtig sind“, beschreibt die Innenministerin das Ziel der Konferenz.
Muslimfeindlichkeit in Deutschland weit verbreitet
Etwa 5,5 Millionen Menschen muslimischen Glaubens leben in Deutschland, sie machen knapp sieben Prozent der Bevölkerung aus. Die Hälfte von ihnen besitzt einen deutschen Pass. Der Vorwurf der Integrationsunwilligkeit wird gegen Einwanderer gerade aus muslimischen Ländern immer wieder erhoben, zuletzt nach den Ausschreitungen in der vergangenen Silvesternacht. Auch jetzt kam das Thema auf, nachdem die Gräueltaten der Hamas auf den Straßen deutscher Großstädte gefeiert worden waren. „Diese Menschen sind nicht integriert in unsere Gesellschaft“, sagte etwa der CDU-Politiker Thorsten Frei.
Auf der anderen Seite wird in Untersuchungen darauf hingewiesen, wie schwer es die Mehrheitsgesellschaft es den Muslimen macht: In einem Bericht des Expertenkreises Muslimfeindlichkeit aus dem Sommer heißt es, dass „Muslimfeindlichkeit kein gesellschaftliches Randphänomen darstellt, sondern in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung verbreitet ist und sich seit vielen Jahren auf einem beständig hohen Niveau hält“. Demnach erleben viele Muslime nicht nur Vorurteile und Ablehnung, auch Hass und Gewalt gehören zu ihren Erfahrungen. Einer aktuellen Veröffentlichung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zufolge fühlt sich knapp die Hälfte der Menschen mit Wurzeln in muslimisch geprägten Ländern bei der Wohnungssuche diskriminiert.
Nun kommen die Spannungen im Nahen Osten hinzu. Die Bundesregierung begreift die aktuelle Entwicklung als Sprengstoff für die Gesellschaft. Sie sendet daher eine doppelte Botschaft: Einerseits will sie den Antisemitismus unter hierzulande lebenden Menschen klar benennen, verurteilen und wo möglich verfolgen. Andererseits befürchtet sie eine Spaltung, wenn sich Muslime und ganz besonders Menschen palästinensischer Herkunft in Deutschland pauschal als Judenfeinde und Hamas-Sympathisanten angefeindet und unter Druck gesetzt fühlen.
Faeser: Wir gehen gegen Islamisten vor, nicht gegen den Islam
Faeser betonte: „Wir gehen hart gegen Islamisten vor, nicht gegen den Islam.“ Diese Differenzierung sei von größter Bedeutung. „Auf keinen Fall dürfen Muslime in Deutschland für islamistischen Terror in Haftung genommen werden. Denn die meisten Musliminnen und Muslime sind seit langem tief verwurzelt in unserer demokratischen Gesellschaft“, fügte die SPD-Politikerin hinzu. „Sie sind von der barbarischen Gewalt der Hamas genauso entsetzt wie wir alle. Deshalb ist jede Verallgemeinerung falsch – und führt nur zu Spaltung und Ausgrenzung.“
Davor warnt auch der Verfassungsschutz: „Die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen mit palästinensischen Wurzeln führt ein unbescholtenes Leben in Deutschland“, sagte Präsident Thomas Haldenwang kürzlich dem „Spiegel“. Er warnt: „Alle unter Generalverdacht zu stellen, kann Radikalisierungsprozesse befeuern.“
Haldenwangs Behörde sieht gleichwohl Einwanderung als bedeutende Quelle für Antisemitismus. Im aktuellen Lagebild Antisemitismus des Bundesamts für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2022 heißt es, die Zahl der israelfeindlich eingestellten Personen sei mit den seit 2015 angekommenen Flüchtlingen gewachsen. „Solche Personen vergrößern das antisemitische Personenpotenzial in Deutschland. Es handelt sich hier folglich um einen importierten Antisemitismus.“
Antisemitismus unter Flüchtlingen: Verfassungsschutz warnt
Deutsche Sicherheitsbehörden beobachten aktuell, dass die Ereignisse im Nahen Osten Teile der muslimischen Bevölkerung in Deutschland stark emotionalisieren und in manchen Fällen auch radikalisieren. Die sozialen Medien sind voll von Informationen und Bildern über den Konflikt und seine Folgen – etwa durch die israelischen Militäraktionen im Gazastreifen. Dabei nehmen die Behörden wahr, dass von Akteuren aus der islamistischen Szene gezielt antiisraelische Fake News und Verschwörungstheorien gestreut werden. All das hat einen Mobilisierungseffekt und verschafft israelkritischen Demonstrationen Zulauf.
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Wiederkehrende Kritik richtet sich in den einschlägigen Kanälen im Netz auch gegen die proisraelische Haltung der Regierung. Politik, Medien und Polizei werden Hetze und Rassismus vorgeworfen. Personen mit Migrationsgeschichte, die in sozialen Medien bisher viele Anhänger mit nicht politischen Inhalten gewonnen haben, äußerten sich laut Behörden nun mit großer Resonanz zum Krieg im Nahen Osten. Den Ermittlern fällt es zunehmend schwer, die sich derzeit rasant vergrößernde Szene im Blick zu behalten. Das ist eine Gefahr, sollten sich Einzelpersonen über die Teilnahme an Kundgebungen hinaus zu Taten berufen fühlen.
Nicht nur die Sicherheitsbehörden, auch die Politik verfolgt die Entwicklungen mit Sorge. „Die islamistische Szene in Deutschland ist so aktiv wie seit Jahren nicht mehr“, sagt der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour dieser Redaktion. „Islamisten verbreiten ihre Propaganda und stacheln junge Leute zur Gewalt an, säen Hass in unserer Gesellschaft.“ Nouripour fordert: „Diese Entwicklungen brauchen jetzt unsere vollste Aufmerksamkeit – dazu zählt auch eine spürbare Steigerung der Fähigkeitenb unserer Sicherheitsbehörden.“ Investitionen in Personal und Ausrüstung seien dafür dringend notwendig.