Berlin. Polens neue Koalition steht bereit. Doch der Staatspräsident beauftragt zuerst die PiS mit der Regierungsbildung – aus klarem Kalkül.
Noch bevor am Montag das neugewählte polnische Parlament seine erste Sitzung abhält, schufen die Bürgerkoalition von Donald Tusk, der Dritte Weg und die Neue Linke Fakten: Am Freitag unterzeichneten die drei Parteien ihren Koalitionsvertrag - ein Novum, denn es ist das erste Mal, dass ein Koalitionsvertrag überhaupt veröffentlicht wird. „Wir wollen allen zeigen, dass eine sichere Veränderung naht“, erklärte Szymon Holownia vom Wahlbündnis Dritter Weg.
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Gemeint ist damit nicht nur eine Wende in der Außenpolitik, mit der die Position Polens in der EU und der Nato gestärkt werden soll, sondern auch die Reparatur des Rechtsstaats. Geeint sind die Koalitionsparteien aber vor allem in ihrem Pragmatismus. „Der Vertrag ist das Ergebnis eines weitgehenden Kompromisses“, gab Wlodzimierz Czarzasty, Co-Vorsitzender der Neuen Linken, bei der Unterzeichnung offen zu. „Und bei einem Kompromiss ist es so, dass niemand vollkommen zufrieden ist, aber auch nicht vollkommen unzufrieden.“
Staatspräsident Duda handelt gegen politische Logik
Trotzdem ist fraglich, wie die neue Regierung, an dessen Spitze der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk stehen wird, einige schwierige Punkte aus ihrem Koalitionsvertrag realisieren will – darunter zum Beispiel die angekündigte Rücknahme des De-facto-Abtreibungsverbots im Land. Es aufzuheben, dürfte allein deshalb schwierig werden, weil es sich um ein Verfassungsgerichtsurteil vom Oktober 2020 handelt. Zudem halten von der PiS eingesetzte Richter im höchsten Gericht die Mehrheit.
Eine noch größere Frage ist, wann die Koalitionäre überhaupt ihre Arbeit aufnehmen können. Beobachter rechnen frühestens Mitte Dezember damit. Verantwortlich dafür ist Staatspräsident Andrzej Duda, der am Montag in einer Fernsehansprache verkündete, zuerst den noch amtierenden Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki mit der Bildung einer Regierung beauftragen zu wollen. Das verstößt zwar nicht gegen die Verfassung, widerspricht jedoch jeglicher politischen Logik – denn schon vor dem Wahltag hatten alle Parteien erklärt, dass sie mit der nationalkonservativen PiS nicht koalieren wollen.
PiS hat Zeit, um Gefolgsleute in neue Ämter zu bringen
Laut einer am Samstag veröffentlichten Umfrage sind 54 Prozent der Polinnen und Polen der Meinung, dass der Präsident somit zum „Wohle der PiS“ gehandelt hat. Und dieses Wohl besteht vor allem aus zusätzlich gewonnener Zeit, um wichtige Posten mit Gefolgsleuten besetzen zu können. Ein Beispiel ist die bisherige Vize-Justizministerin Katarzyna Frydrych: Am vergangenen Freitag wurde bekannt, dass sie Vorsitzende des Berufungsgerichts in Katowice werden soll. Medienberichten zufolge will Justizminister Zbigniew Ziobro in den kommenden Wochen noch weitere solcher Entscheidungen treffen.
Im Mittelpunkt steht jedoch die polnische Finanzaufsichtsbehörde KNF, deren Vorsitzender vom amtierenden Regierungschef berufen wird. Sollte Morawiecki von seinem Recht Gebrauch machen und einen Nachfolger für den scheidenden Jacek Jastrzebski bestimmen, könnte ein PiS-Gefolgsmann der neuen Regierung schon sehr bald das Leben schwer machen. Die KNF beaufsichtigt nicht nur Banken und Kapitalmärkte, sondern auch Versicherungen und Pensionssysteme. Ihr Vorsitzender wird für fünf Jahre berufen.