Kiew. Die EU-Kommission empfiehlt Beitrittsgespräche für die Ukraine. Wie gut hat das Land die Reformvorgaben aus Brüssel umgesetzt?
Der Zug der Ukraine Richtung EU-Beitritt ist auf dem Gleis. Mitte 2022 bekam das Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Als Hausaufgaben wurden der Regierung in Kiew sieben Reformschritte verordnet. Die EU-Kommission stellte der am Mittwoch ein ordentliches Zeugnis aus: Immerhin vier Kriterien habe sie bereits voll erfüllt, bei den anderen gebe es zumindest Verbesserungen. Die Kommission empfahl daher die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen. Die Staats- und Regierungschefs der Gemeinschaft wollen Mitte Dezember definitiv darüber entscheiden. Wie nahe ist die Ukraine bereits heute der EU? Wie wurden die Reformen umgesetzt? Ein Qualitäts-Check.
Die Auswahl der Richter des Verfassungsgerichts
Noch Anfang des Jahres galt dieses Kriterium als ernsthaftes Problem. Ursprünglich sollten der Präsident und das Parlament die Möglichkeit haben, gemäß einer Quote Richter zu nominieren. Im August unterschrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj eine neue Fassung des Gesetzes: Demnach können die nominierten Kandidaten von einem Expertengremium, das aus ukrainischen und ausländischen Richtern besteht, auch abgelehnt werden. Diese Regularien entsprechen EU-Vorgaben. Das Reformkriterium gilt jetzt als erfüllt.
Die Reform der Gerichte
Der Prozess verlief äußerst langsam. Die Kandidaten für die Berufung in den Hohen Justizrat, der über die Zulassung von Richtern und Anwälten entscheidet, müssen auf ihre Integrität geprüft werden. Hierzu wurde ein Ethikrat eingesetzt. Auch die Kandidatenauswahl für die Qualifikationskommission der ukrainischen Richter hat wegen des Krieges Zeit gebraucht. Am Ende wurde auch dieses Reformkriterium voll erfüllt.
Bekämpfung der Korruption
Grünes Licht für die Spitzen im Kampf gegen die Korruption: Die Chefs des Nationalen Antikorruptionsbüros sowie der Fachstaatsanwaltschaft für Korruptionsangelegenheiten wurden in ihren Ämtern bestätigt. Auch die zunächst wegen des Krieges ausgesetzte elektronische Offenlegung der Einkünfte der Beamten und Politiker ist zurück. Die entsprechenden Daten sind für alle im Netz zugänglich. Sie helfen unter anderem Investigativ-Journalisten bei ihren Recherchen. Manko: Es fehlen weiterhin viele Urteile bei öffentlich relevanten Fällen, obwohl die Verfahren oft vor längerer Zeit eingeleitet wurden.
Zwei konkrete Vorgaben der EU-Kommission muss die Ukraine noch erfüllen. Zum einen sollte die Mitarbeiterzahl des Nationalen Antikorruptionsbüros erhöht werden. Zum anderen sollten die Befugnisse der Nationalen Agentur für Korruptionsprävention erweitert werden. Die Agentur überprüft die Offenlegung der Einkünfte und weist auf mögliche Korruptionsfälle hin.
Kampf gegen Geldwäsche
Hier gab es zum Teil Rückschläge. So hatte das ukrainische Parlament im November 2022 ein Gesetz verabschiedet, das die Kontrolle der Finanzen von öffentlich bekannten Personen behindert. Das wurde inzwischen korrigiert. Auch wenn die Reform des Strafvollzugs in Zeiten des Krieges bei diesem Thema noch Lücken aufweist, schätzt die EU-Kommission dieses Reformkriterium als erfüllt ein.
Beschneidung des Einflusses der Oligarchen
Die Oligarchen sind nach wie vor ein Problem für die Ukraine. Gleichwohl findet durch die Zerstörung der schweren Industrie im Südosten des Landes eine Art natürliche Ent-Oligarchisierung statt. Die größten Unternehmer haben durch den russischen Angriffskrieg viel Geld verloren. Ein Urteil der Venedig-Kommission, die die Staaten des Europarats verfassungsrechtlich berät, kam mit extrem großer Verzögerung. Die eher negative Bewertung des Gesetzes kam erst im Laufe des Jahres 2023. Für die EU war das Gesetz nicht ausreichend. Sie forderte vielmehr ein Gesetz, das Lobby-Tätigkeiten transparent macht. Das Anti-Oligarchen-Gesetz war Brüssel zu populistisch.
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Reform der Medien
Das Ende 2022 verabschiedete ukrainische Mediengesetz gilt als vorbildlich. Es war zunächst fast ausschließlich von Medienhäusern kritisiert worden, die ohnehin jegliche staatliche Regulierung ablehnten. Dieses Reformkriterium ist laut EU-Kommission erfüllt.
Gesetzgebung für nationale Minderheiten
Das Ende vergangenen Jahres beschlossene Gesetz über nationale Minderheiten der Ukraine entspricht laut Experten grundsätzlich der Konvention des Europarates zum Schutz der nationalen Minderheiten. Die Venedig-Kommission des Europarates führte jedoch einige Kritikpunkte an. Zum Beispiel mit Blick auf die Sprachen von Minderheiten im Bildungsbereich. Auch die fehlende Veröffentlichung von entsprechenden Büchern wurde gerügt. Vor allem die ungarische Minderheit in Transkarpatien zeigte sich mit einigen Regelungen unzufrieden. Dies führte zu Spannungen zwischen Budapest und Kiew.
Fazit
Die Ukraine verzeichnet Fortschritte beim Reformprozess. Gleichwohl erscheint die Bewertung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, wonach 90 Prozent der Reformen erfüllt seien, etwas überzogen. Es ist zu erwarten, dass Kiew zumindest einige der noch bestehenden Probleme bis zur nächsten Überprüfung im März 2024 angehen wird. Allerdings muss der Reformprozess in der Ukraine auch auf lange Sicht beobachtet werden. Der Krieg sorgte dafür, dass die Regierung in Kiew einige der eher unbeliebten Reformen viel leichter beschließen konnte als zu Friedenszeiten. Gerade in der Nachkriegszeit muss aufmerksam beobachtet werden, dass die Reformen nicht zurückgefahren werden.