Berlin. Ein Machtwechsel in Polen gilt als ausgemacht. Doch es bleiben Fragen – auch nach der künftigen Rolle von Hoffnungsträger Donald Tusk.
In Polen wird auch am Tag danach noch gezählt – der Grund ist die hohe Wahlbeteiligung von 72,9 Prozent, die höchste bei einem Urnengang seit der politischen Wende 1989. Doch alle bisherigen Prognosen zeigen in eine klare Richtung: Die PiS wurde zwar mit 36.6 Prozent der Stimmen klarer Wahlsieger. Doch nicht sie, sondern eine wahrscheinliche Koalition aus der Bürgerkoalition, dem Wahlbündnis Dritter Weg sowie der Neuen Linken hätte mit 248 Sitzen eine stabile Mehrheit.
Wie geht es nun weiter in Polen?
Polens Staatspräsident Andrzej Duda hat sich erst am Montagmittag zu der Wahl geäußert, während eines Besuchs im Vatikan. Duda lobte und dankte für die hohe Wahlbeteiligung, gratulierte „vom ganzen Herzen dem Wahlsieger“ – erklärte aber auch, dass er zunächst das offizielle Wahlergebnis am Dienstag abwarten werde.
In diesen Worten offenbaren sich bereits die innenpolitischen Herausforderungen, vor der die neue Regierung steht. Bereits zuvor hatte die Präsidialkanzlei erklärt, dass der Präsident für gewöhnlich den Kandidaten der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftrage – im aktuellen Fall also den Kandidaten der PiS. Bringt er keine Mehrheit zustande, erhält das Parlament den Auftrag zur Regierungsbildung. Scheitert auch diese Initiative, kann Duda noch einmal einen Kandidaten seiner Wahl ins Spiel bringen und bei Misserfolg Neuwahlen ausrufen. Dass es zum letzten Szenario kommt, ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Allem Anschein nach will Duda die Bildung einer Regierungskoalition aus Oppositionsparteien zumindest verzögern. Für die potenziellen Koalitionspartner ist das nicht die einzige Hürde – denn weil das Staatsoberhaupt ein Vetorecht hat, kann er auch ihre Gesetzesinitiativen aufhalten. Das Regieren für eine Dreier-Koalition könnte schwer werden, nicht nur wegen Duda. Weitere Bremsklötze sind das Verfassungsgericht, das Oberste Gericht und staatliche Institutionen, die nach acht Jahren PiS-Regierung von Nationalkonservativen dominiert werden. Innenpolitisch dürfte es in Polen also weiterhin unruhig bleiben.
Wie sieht eine mögliche neue Regierung aus?
Dass die Bürgerkoalition, der Dritte Weg und die Neue Linke eine Koalition bilden werden, gilt als relativ sicher. Wie die Regierung aber aussehen wird, ist ungewiss. Fraglich ist sogar, ob tatsächlich der frühere EU-Ratspräsident Donald Tusk an ihrer Spitze stehen wird. Noch am Wahlabend wurde über den Warschauer Stadtpräsidenten Rafal Trzaskowski als möglichen Regierungschef spekuliert. Der 51-jährige Präsidentschaftskandidat von 2020 erfreut sich vor allem bei den jüngeren Polinnen und Polen einer größeren Beliebtheit als sein Parteifreund Tusk.
Fraglich ist auch, wie stabil eine Regierungskoalition sein kann. Was sie vereint, ist ihre Anti-PiS-Haltung, bestimmte weltanschauliche Themen wie das Abtreibungsrecht könnten jedoch für Konfliktpotential sorgen. Neben den möglichen Machtkämpfen mit Duda ist die größte Herausforderung für die neue Regierung, die gesellschaftliche Spaltung zurückzudrehen. Das Ergebnis der PiS zeigt, dass sie ihre Stammwähler noch immer mobilisieren kann – vor allem in Ostpolen. Diesen großen Teil der Bevölkerung zu ignorieren, wäre ein Fehler. Eine Herausforderung sind auch die Erwartungen der eigenen Wähler. Sollte die neue Regierung nicht schnell liefern, könnte die Enttäuschung schnell zu einer sinkenden Unterstützung führen.
Hat die Wahl Folgen für die Unterstützung der Ukraine?
Während des Wahlkampfes machten führende PiS-Politiker Äußerungen, die Zweifel an Polens weiterer Unterstützung für die Ukraine aufkommen ließen. Töne, die von der neuen Koalition nicht zu erwarten sind – denn die militärische und humanitäre Unterstützung für das Nachbarland ist in Polen Konsens. Ein Streitpunkt dürfte aber das Getreideabkommen bleiben. Die Landwirtschaft spielt in Polen eine enorme Rolle. Zudem ist die Bauernpartei PSL Teil des Wahlbündnisses Dritter Weg.
Was bedeutet die Wahl für Europa?
Mit der neuen Regierung werden allzu EU-kritische Töne aus Warschau verstummen. Die Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit, die zum Streit zwischen Warschau und Brüssel geführt haben, dürften sich aber nicht so schnell beheben lassen. Spannend bleibt die Frage, ob die EU-Kommission und die neue Regierung einen Kompromiss finden und Polen beispielsweise zurückgehaltene Gelder aus dem Wiederaufbaufonds ausgezahlt werden. Die Bürgerkoalition hatte diese Gelder bereits vollmundig versprochen. Sollte dies nicht geschehen, würde die neue Regierung ein weiteres Problem bekommen. Auch die Migrationspolitik bleibt ein Streitthema.
Was bedeutet die Wahl für das deutsch-polnische Verhältnis?
Auf ihre antideutschen Töne wird die PiS auch in der Opposition nicht verzichten. Von der neuen Regierung sind sie aber nicht zu erwarten, was sicherlich zu einer Verbesserung der deutsch-polnischen Partnerschaft führen wird – sowohl politisch als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Andere Meinungsverschiedenheiten werden jedoch bleiben. Wer in Deutschland zum Beispiel hofft, dass mit der neuen Regierung die polnischen Atompläne und somit der geplante Bau von zwei Atomkraftwerken in der Schublade verschwinden, der irrt. Auch für die mögliche neue Regierung ist die Kernenergie der schnellste Weg zur Energiewende.
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