Berlin. SPD-Chef Lars Klingbeil über die Chancen einer neuen Asylpolitik – und was er von Vorschriften zum Fleischessen und Autofahren hält.
Die SPD hat bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen historische Niederlagen eingefahren – 8,4 und 15,1 Prozent. Im Interview sagt Parteichef Lars Klingbeil, wie die Sozialdemokraten wieder stärker werden wollen als die AfD. Und was er CDU-Chef Friedrich Merz übel nimmt.
Wie tief kann die Kanzlerpartei noch fallen?
Lars Klingbeil: Das war ein bitterer Sonntag für uns, aber wir werden uns da auch wieder rauskämpfen. Das ist mein Anspruch als Parteivorsitzender.
Bei jungen Wählerinnen und Wählern hat die SPD besonders schlecht abgeschnitten. Wie erklären Sie sich das?
Klingbeil: Das öffentliche Bild aller drei Ampelparteien war von zu viel Streit in den letzten Monaten geprägt. Wir haben Vertrauen verloren in allen Generationen. Die Ampel muss jetzt wieder liefern. Was die SPD angeht, glaube ich daran, dass wir wieder stark sein werden bei den Wahlen im nächsten Jahr, auch bei der Bundestagswahl 2025, wenn wir jeden Tag hart daran arbeiten, das Leben der Menschen in diesem Land zu verbessern.
Die Jusos machen Vorschläge für den Wiederaufstieg der SPD – und fordern 15 Euro Mindestlohn. Teilen Sie das?
Klingbeil: Es war ein großer Erfolg der SPD, dass wir den Mindestlohn auf 12 Euro angehoben haben. Was aber die Arbeitgeber in der Mindestlohnkommission zuletzt durchgeboxt haben, war vom Stil her falsch und vom Ergebnis her zu wenig. Das Leben ist teurer geworden. Da muss mehr kommen als 12,41 Euro.
Und wenn die Mindestlohnkommission nicht liefert, greift die Politik wieder ein?
Klingbeil: Ich erwarte, dass die Mindestlohnkommission wieder einstimmig entscheidet. Und nicht, dass die Arbeitgeberseite mehrheitlich ihre Interessen gegen diejenigen durchdrückt, die jeden Tag aufstehen und hart arbeiten.
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Glauben Sie immer noch, ein sprunghaft steigender Mindestlohn kostet keine Arbeitsplätze?
Die Horrorszenarien über Arbeitsplatzvernichtung durch den Mindestlohn haben sich nie erfüllt. Als der Mindestlohn eingeführt wurde, sind unanständige Geschäftsmodelle kaputtgegangen, bei denen die Leute drei Euro Stundenlohn bekommen und die Steuerzahler den Rest des Lohns übernommen haben. Wer arbeiten geht, der soll davon eigenständig leben können. Das ist ein Grundsatz der Sozialdemokratie.
Drei von vier Deutschen sind mit der Ampelkoalition unzufrieden. Wie wollen Sie wieder in die Offensive kommen?
Es gibt kaum eine Bundesregierung, die so viel vorangetrieben hat wie diese Ampel. Wir haben das Land durch eine schwere Krise manövriert mit drei Entlastungspaketen, der Gas- und Strompreisbremse …
Halten Sie die Wähler für undankbar?
Nein. Die Menschen sind verunsichert und erschöpft nach Pandemie, Krieg und Krise. Wir haben in der Regierung viel vorangebracht, aber der wochenlange Streit über die Kindergrundsicherung und das Heizungsgesetz hat die guten Sachen überlagert. Es geht darum, die Alltagsprobleme der Menschen zu lösen: faire Mieten, ausreichend Kitaplätze, bezahlbare Energiepreise, weniger Bürokratie. Es kommt nicht darauf an, wer sich in der Ampel in welcher Frage durchsetzt. Das Einzige, was zählt, ist die Messlatte der Bürger: Regieren die uns gut?
Was folgt daraus?
Wir dürfen uns nicht in Kulturkämpfe hereinreden. Immer wieder höre ich, dass Menschen sich beschweren, die Politik würde ihnen vorgeben, wie sie zu leben hätten. Also am besten kein Fleisch mehr essen oder kein Auto mehr fahren. Da kann ich für die SPD nur sagen: So eine Politik gibt es mit uns nicht. Die SPD wird den Menschen nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben. Wir begegnen allen mit Respekt.
Von diesen Kulturkämpfen profitiert die AfD, die auch im Westen immer stärker wird. Bekommt Deutschland eine rechtsextremistische Volkspartei?
Nein, das werden wir verhindern. Viele sagen, sie haben die AfD gewählt, weil sie unzufrieden sind und Erwartungen an die Politik haben, die sie nicht als erfüllt sehen. Wenn wir besser werden, wird die AfD wieder schlechter. Wir nehmen den Kampf gegen die AfD inhaltlich an. Und allen, die Kritik an unserer Politik haben, sage ich, redet mit uns, aber macht euer Kreuz nicht bei einer rechtsextremen Partei.
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Besser werden - gehört dazu eine härtere Asylpolitik?
Es geht nicht um harte oder weiche Asylpolitik, sondern um einen funktionierenden Staat. Und dafür braucht es Klarheit: Wer bei uns zu Recht Zuflucht sucht und hier eine Perspektive hat, der muss schneller integriert werden. Gleichzeitig müssen diejenigen, die nicht bleiben können, konsequent das Land auch wieder verlassen.
Aus den Ländern kommen Vorschläge, Flüchtlinge zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen. Unterstützen Sie das?
Ich bin dafür, dass wir Menschen, die zu uns kommen und bleiben dürfen, schneller auf den Arbeitsmarkt bringen, damit sie sich ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen können. Das vereinfachen wir jetzt. Die Kommunen haben bereits heute Möglichkeiten, Geflüchtete auch in kommunale Tätigkeiten einzubinden, und auch der Umstieg auf Sachleistungen ist möglich. Mir sind die Debatten hier zum Teil sehr aufgeheizt. Zu viele suchen nach billigem Applaus, indem sie Politik auf dem Rücken von Geflüchteten machen. Da ist für mich eine rote Linie.
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Spielen Sie auf Friedrich Merz an? Der CDU-Chef mutmaßt, Asylbewerber könnten Deutschen den Termin beim Zahnarzt wegnehmen.
Was Herr Merz über Flüchtlinge beim Zahnarzt gesagt hat, finde ich unanständig. Solche Unwahrheiten spalten die Gesellschaft.
Wie soll es Ampel und Union da gelingen, den angestrebten Deutschlandpakt zu schließen?
Ich nehme in der Union auch ganz andere Töne wahr – etwa von Daniel Günther oder Boris Rhein, die den Kurs von Merz nicht mittragen. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir auch mit den unionsgeführten Ländern Lösungen finden. Wir strecken die Hand aus. Da dürfen jetzt keine Spiele gespielt werden. Wir tragen gemeinsam Verantwortung für dieses Land.
Sollte die Union weniger Merz wagen?
Ich gebe der Union keine Ratschläge.
Die Union will die Leistungen für Flüchtlinge kürzen, damit weniger nach Deutschland kommen. Können Sie sich darauf einigen?
Niemand, der aus dem Krieg oder anderen aussichtslosen Lagen über lebensgefährliche Routen zu uns flüchtet, hat sich vorher angeguckt, was man in Deutschland an Sozialleistungen bekommt. Hier werden Scheindebatten geführt. Vernünftig ist, dass wir schneller werden bei der Entscheidung, ob jemand in Deutschland bleiben kann oder nicht. Darauf kommt es an. Und wer bleiben kann, sollte sehr schnell auch für sich selbst sorgen können. Arbeit ist hier der Schlüssel zur Integration, zum Erlernen der deutschen Sprache und auch dafür, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung da ist.
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