Berlin. Der Schlag gegen Russlands Schwarzmeerflotte ist nur der Anfang, glaubt Carlo Masala. Der Experte erklärt den größeren Plan dahinter.

Er zählt zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Ukraine-Krieg.

Herr Professor Masala, die USA liefern nun doch die ATACMS-Boden-Boden-Raketen. Welche Fortschritte lassen sich damit erzielen?

Carlo Masala: Die Ukrainer haben damit jetzt die Möglichkeit, russische Logistik und russische Hauptquartiere zu zerstören, die weit hinter den Frontlinien sind und vorher außerhalb der Reichweite lagen.

Wächst jetzt der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz, nun auch Taurus zu liefern?

Masala: Im Augenblick sehe ich nicht, dass der Druck aus den europäischen Staaten und den USA auf den Bundeskanzler wächst. Aber Olaf Scholz muss sich die Frage stellen, welches Bild er abgeben will – und ob Deutschland am Ende des Tages als einziger großer Staat dastehen soll, der der Ukraine weder Marschflugkörper noch Kurzstreckenraketen mittlerer Reichweite liefert.

Der Ukraine ist ein spektakulärer Schlag gegen das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol gelungen. Offenbar fand zu dem Zeitpunkt dort gerade ein Treffen von Marine-Offizieren statt. Hat das Einfluss auf den Kriegsverlauf? Was bedeutet das?

Masala: Auch wenn das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte operativ kein Hauptquartier mehr war, weil die Russen das schon vor einiger Zeit verlagert haben, war der Angriff von hoher symbolischer Bedeutung. Zweitens zeigt sich, wie gut der ukrainische Geheimdienst arbeitet. Er hatte offensichtlich Informationen über das Treffen dort, weil der Schlag genau zu diesem Zeitpunkt erfolgte. Das ist ein großer Erfolg für den ukrainischen Nachrichtendienst. Der dritte Punkt ist: Die Ukrainer hatten bereits zuvor zwei S-400-Batterien auf der Krim zerstört. Es sieht danach aus, als seien die Fähigkeiten Russlands zur Luftverteidigung mit Blick auf die Krim extrem beeinträchtigt.

Dieses von Planet Labs PBC zur Verfügung gestellte Satellitenfoto zeigt Schäden an einem Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Krim.
Dieses von Planet Labs PBC zur Verfügung gestellte Satellitenfoto zeigt Schäden an einem Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Krim. © dpa | Uncredited

Ist Putin nicht mehr in der Lage, die Krim zu halten?

Masala: Die ukrainischen Erfolge bedeuten nicht gleichzeitig, dass Russland nicht in der Lage ist, die Krim zu schützen. Das ist zu groß gefasst. Aber man muss sehen, was gerade passiert. Die Ukrainer attackieren seit Wochen wichtige Installationen der russischen Föderation auf der Krim, die der Kontrolle des Schwarzen Meeres dienen. Sie attackieren die Schwarzmeerflotte. Das ist Teil eines größeren Plans, der darauf abzielt, die Krim verteidigungsunfähig zu machen. Gleichzeitig – und da muss man in den nächsten Wochen schauen, ob das gelingt – soll es Russland immer schwerer gemacht werden, die Truppen im Süden zu versorgen. Die Krim ist die logistische Drehscheibe dafür.

In den vergangenen Tagen wird immer wieder über Fortschritte der Ukraine bei ihrer Gegenoffensive im Süden berichtet. Von einem angeblichen Durchbruch bei Webowe ist die Rede. Wie bewerten Sie das?

Masala: Es gibt keinen Durchbruch bei Webowe. Die Ukrainer haben aber durchaus taktisch relevante Vorteile erzielt. Ein Durchbruch würde bedeuten, dass sie eine Situation geschaffen haben, in der sie auch die Flanken schützen und größere Verbände durchstoßen können. Das sehen wir nicht. Ob es noch zu einem Durchbruch kommt, müssen wir abwarten. Russland verlegt gerade Truppen dorthin, um genau das zu verhindern.

Das Interview erschien zuerst am 27.9.2023.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt