Washington. Der reichste Mann der Welt stattete bisher die Ukraine mit Technologie aus. Doch Experten fürchten, er könnte bald Putin unterstützen.
Der Tech-Unternehmer Elon Musk ist mit einem vom Magazin Forbes geschätzten Vermögen von über 250 Milliarden Dollar der reichste Mensch der Welt. Er hat die ukrainischen Streitkräfte in Russlands Angriffskrieg schon zu Beginn mit hochwertiger Technologie ausgestattet, um dem Land im Kampf gegen das russische Militär und Wladimir Putins Söldner eine bessere Ausgangsposition zu verschaffen. Musk ist damit zu einem wichtigen Akteur in dem seit mehr als eineinhalb Jahren andauernden Krieg geworden.
Sorgen bereiten die wankelmütigen Anwandlungen des Tech-Unternehmers, der seine Rolle in der Ukraine offenbar ständig neu definieren will, aber nicht nur Präsident Wolodymyr Selenskyj. Auch in Washington wächst der Unmut darüber, dass der Ausgang des Kriegs der Willkür eines exzentrischen Privatunternehmers ausgeliefert sein könnte.
Nachdem die russischen Streitkräfte Anfang 2022 im Vorfeld der Invasion mit Luftangriffen die gesamte ukrainische Kommunikationstechnologie zerstört hatten, griff Musk prompt ins Geschehen ein. Er stellte dem Land die Dienste des Internetanbieters Starlink zur Verfügung, das von seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX betrieben wird. Bei Starlink handelt es sich um ein Netzwerk von mehr als 3500 Satelliten, die eine niedrige Umlaufbahn haben und imstande sind, rund um den Globus Internetdienste anzubieten.
Ukrainische Streitkräfte abhängig von Musks Technologie
Während des Krieges entwickelte sich das System zu einer unverzichtbaren Stütze für das ukrainische Militär und wurde auch eingesetzt, um Angriffe gegen russische Stellungen durchzuführen. Genau damit scheint Musk Probleme zu haben. Ein knappes Dreivierteljahr nach Kriegsbeginn entschied er sich nämlich, dass er den Starlink-Diensten in der Ukraine, die er bis dahin aus eigener Tasche finanziert hatte, den Geldhahn zudrehen würde.
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Zwar machte Musk später einen Rückzieher und kündigte an, dass Selenskyjs Streitkräfte weiter kostenlosen Internetzugang haben würden, in Kiew und auch Washington löste das unberechenbare Verhalten des Unternehmers aber große Irritationen aus. Umso mehr, als ihm später vorgeworfen wurde, indirekt einen ukrainischen Angriff auf eine russische Flotte in der Hafenstadt Sewastopol auf der Krim vereitelt zu haben. Der Unternehmer soll angeordnet haben, dass in der Region nahe der Krim Starlink-Dienste ausgeschaltet werden. Jene U-Boot-Drohnen, die russische Schiffe im Visier hatten, verloren die Verbindung zum Internet, verfehlten ihre Ziele und wurden unverrichteter Dinge wieder ans Ufer gespült.
Musk bestreitet die Vorwürfe und behauptet, dass Starlink niemals Regionen nahe der Krim mit Netzzugang versorgt habe. So oder so ist das Pentagon der Überzeugung, dass der Unternehmer dem ukrainischen Militär mehrmals in den Rücken gefallen sei und Soldaten im Süden des Landes zum Rückzug gezwungen worden seien, weil ihre Waffensysteme plötzlich vom weltweiten Netz abgeschnitten wurden.
Könnte Musk sich zukünftig auf die Seite von Putin schlagen?
Wie aus einer neuen Biografie des Milliardärs hervorgeht, hat Musk seine Rolle unterschätzt und lebt mit der ständigen Sorge, dass seine Technologie den Weg für einen Atomkrieg bereiten könnte. „Wie kann es sein, dass ich in diesem Krieg bin?“, soll er dem Autor Walter Isaacson zufolge gesagt haben. So oder so hat Musks ständiges Hin und Her auch in Washington die Alarmglocken schrillen lassen.
„Die Zusammenarbeit des Militärs mit privaten Firmen, die wichtige Infrastruktur anbieten, hat in Kriegszeiten nur dann Sinn, wenn man sich auf diese Dienste auch verlassen kann. Das ist bei Starlink leider nicht der Fall“, so ein leitender Pentagon-Mitarbeiter, der nicht namentlich zitiert werden wollte.
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Politiker und Experten in Washington haben zudem die Befürchtung geäußert, dass Musk, der zu Kriegsbeginn die Ukraine unterstützen wollte, nun das Lager wechseln und sich auf die Seite des russischen Aggressors schlagen könnte. Sie verweisen unter anderem auf einen von dem Unternehmer vorgeschlagenen Friedensplan, den kein geringerer als Wladimir Putin gelobt hat. Der Plan hätte vorgesehen, dass Russland die vor neun Jahren eroberte Krim behalten darf und Wahlen über das Schicksal weiterer Provinzen in der Ukraine entscheiden.
Deutlich schärfer als viele US-Politiker, die sich bedeckt halten, urteilt Maksym Skrypchenko, Osteuropa-Experte und Präsident des Transatlantic Dialogue Center. Mit dem vorsätzlichen und unberechenbaren Abschalten von Starlink „hat Musk den Russen klare Vorteile verschafft“. Indem der Angriff auf die Flotte im Schwarzen Meer scheiterte und ukrainische Soldaten auch an anderen Stellen zum Rückzug blasen mussten, habe er es Putins Truppen „ermöglicht, weitere Angriffe durchzuführen und unschuldige Menschen zu töten“, so der Experte.
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