Essen. Juno und Cleo sind 9 und 6 Jahre alt. Hier erzählt ihr Vater, wie die Familie mit Nachrichten umgeht.

Als die Nachrichtenlage einmal ganz nah kam, hatte unsere Tochter Cleo (6) die erste Ballett-Aufführung ihres Lebens. Während sie mit pochendem Herz und im Kostüm auf ihren Auftritt wartete, verschanzte sich nur ein paar Hundert Meter weiter ein bewaffneter Mann in einem Dresdner Einkaufszentrum mit zwei Geiseln, darunter ein neunjähriges Kind - so alt wie Cleos Schwester Juno, die neben uns saß.

Ich war nervös. Ein Auge auf dem Handy, das andere auf der Tanzfläche. Auftritt hier, Polizeieinsatz dort. Meine Frau ermahnte mich, das Thema für den Moment doch bitte zu ignorieren und die Kinder damit in dieser Situation nicht zu belasten. Sie hatte Recht, aber es fiel mir nicht leicht, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Nachrichten erfahren wir immer häufiger in Echtzeit, und vielleicht ist das schon ein Grund, warum es schwieriger wird, Kinder davor zu schützen. Aber müssen wir das überhaupt tun? Sie vor der Realität schützen?

Für Kinder sind wir Eltern die wichtigste Nachrichtenquelle

Meine Frau und ich sind ausgebildete Journalisten, was uns einerseits zu Profis im Umgang mit Informationen, andererseits aber auch zu Nachrichtenjunkies macht, die wahrscheinlich ein bisschen zu häufig aufs Handy gucken. Wenn etwas passiert ist, dann wollen wir am liebsten sofort darüber reden und machen es doch immer seltener, je besser unsere Kinder verstehen, was wir sagen. Wir Eltern schreiben uns dann Nachrichten per Handy, wägen erst einmal ab, lassen uns Zeit, filtern und reden später mit den Kindern darüber, wenn wir eine Idee davon haben, wie wir das machen könnten. Ihre wichtigste Nachrichtenquelle, das sind wir.

Und das Radio. Das läuft fast immer, wenn die Toniebox mal aus ist. Wir hören gerne Sender, in denen viel gesprochen wird. Nachrichtenjunkies eben. Wir denken, dass die Kinder meist nicht aktiv zuhören und wenn, dann nur wenig verstehen. Aber Stichworte und Themen, die bekommen sie schon mit. Krieg? Pandemie? Klimakleber? AfD? “Mama, was ist ein Nazi?” Wenn die Kinder Fragen haben zu dem, was sie hören, beantworten wir sie. Immer. Mal mehr, mal weniger detailliert, hoffentlich immer kindgerecht, eingeordnet und vor allem: immer ehrlich.

„Warum will Putin denn noch ein Land?“

Der Ukraine-Krieg hat uns in der Familie sehr beschäftigt (und beschäftigt uns noch). Dass er (Putin) das (den Angriffskrieg) wirklich macht, war für uns ein Schock und für die Kinder noch unverständlicher als für uns. Juno fragte: “Warum will Putin denn noch ein Land haben, wenn er doch schon ein Land hat?” Eine Frage, auf die auch wir als Eltern keine Antwort haben. Aber ist das eigentlich schlimm, nicht auf alles eine Antwort zu haben?

Wir haben den Eindruck: Je mehr unsere Kinder das Gefühl bekommen, selbst Einfluss auf eine schlimme Lage zu haben, desto besser können sie damit umgehen. Corona ist so eine Krise, der wir zunächst wie ohnmächtig gegenüber standen und dann mehr und mehr erklären konnten, wie sich jeder vor dem Virus schützen kann. Kindgerechte Medien haben dabei geholfen, zu verstehen, was eigentlich los ist. Wir konnten und wollten die Kinder nie zwingen, eine Maske zu tragen oder von anderen Kindern Abstand zu halten. Wir konnten sie aber mit dem nötigen Wissen versorgen, sodass sie selbst die Notwendigkeit begreifen und sich bewusst dafür entscheiden, sich und andere zu schützen. Und heute haben die Kinder Corona vielleicht besser verstanden als so manche Erwachsene.

Das Leben spielt nicht immer in Bullerbü

Die Klimakrise ist noch komplexer. Zur beunruhigenden Wahrheit gehört: Unsere Kinder wird sie noch härter treffen als uns selbst. “Kann das auch bei uns passieren?”, fragte Juno, als wir im Juli 2021 Bilder von der Flut im Ahrtal sahen. Und natürlich geht es Kindern da nicht anders als uns Erwachsenen: Je mehr eine Nachricht mit unserem eigenen Leben zu tun hat, je näher sie uns ist, desto mehr berührt sie uns und umso mehr Angst kann sie uns machen.

Die Kinder von der Wahrheit zu “verschonen” kommt für uns nicht in Frage. Das Leben ist nun einmal nicht immer wie in Bullerbü. Meine Frau sagt: Nur, wer genug über die Krisen der Welt weiß, kann sich (später) auch entsprechend verhalten und, wenn nötig, die richtigen Entscheidungen treffen. Ihren eigenen Kopf haben die Kinder sowieso.

Manchmal werden die Nachrichten einfach zu viel

Und trotzdem: Manchmal ist es zu viel. Bei bestimmten Nachrichten drehen wir das Radio im Auto einfach runter. Vergewaltiger und Mörder müssen ja nicht zwingend auf der Rückbank mitfahren. Wir wollen, so lange es geht, die Nachrichten für unsere Kinder filtern, dosieren und die Momente bestimmen. Wir nehmen uns die Zeit, ihnen die Welt zu erklären und brauchen dazu manchmal auch etwas Vorlauf, um uns Antworten auf mögliche Fragen unserer Kinder zurechtzulegen.

Den Tag ihres ersten Ballett-Auftritts hat Cleo in bester Erinnerung, über den schrecklichen Vorfall haben wir erst einmal nicht gesprochen. Es gab keine akute Gefahr für uns. Warum hätten wir den Kindern unnötig Angst machen sollen? In Junos Schule wurde das Thema am nächsten Tag besprochen und kam dann auch noch einmal zu Hause beim Abendessen auf den Tisch. Kurz. Ohne Angst. Weil: War ja vorbei. Aber morgen kommt sicher die nächste Nachricht, das nächste Thema und immer wieder aufs Neue die Abwägung der Eltern: Besprechen oder nicht? Jetzt oder später? Und welche Details lassen wir lieber weg?

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