Berlin. Die Drohnenangriffe auf Russland haben einen „wichtigen militärischen Effekt“, sagt Experte Masala. Doch das Ziel ist ein anderes.

Er zählt zu den bekanntesten Militärexperten in Deutschland: Carlo Masala. Der 55-Jährige lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Ukraine-Krieg.

Herr Professor Masala, es gab eine neue Welle von ukrainischen Drohnenangriffen auf Ziele in Russland. Sie sollen noch ausgeweitet werden, heißt es in Kiew. Was steckt dahinter?

Carlo Masala: Zum einen will die Ukraine den Krieg nach Russland tragen. Zum anderen greift sie militärische Ziele an. Bei der jüngsten Attacke auf den Flughafen der nordwestrussischen Stadt Pskow sollen zwei bis vier Bomber zerstört worden sein. Das sind Flieger, die in Russland aufsteigen und vom russischen Luftraum Raketen auf die Ukraine abschießen. Insofern haben die Drohnenattacken einen wichtigen militärischen Effekt.

Liegt darin eine Eskalationsgefahr?

Masala: Worin sollte die Eskalationsgefahr denn liegen? Härter, als die Russen in der Ukraine vorgehen, kann man nicht vorgehen. Auch wenn die Drohnenangriffe jetzt intensiviert werden: Sie taugen nicht dazu, dass die russische Regierung eine Gefährdung des Regimes geltend machen könnte, was den potenziellen Einsatz von Nuklearwaffen rechtfertigen würde.

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Benutzen die Ukrainer Drohnen aus eigener oder aus westlicher Produktion?

Masala: Soweit wir das wissen, handelt es sich um Drohnen aus ukrainischer Herstellung. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat gerade noch einmal betont, dass die Ukraine nicht mit westlichen Waffen Ziele in Russland angreifen wird. Er weiß, dass dies die militärische Unterstützung des Westens beenden würde. Ich vermute, dass alle Drohnen von ukrainischem Territorium abgeschossen werden und eine große Reichweite haben. Alles andere wäre ein Schlag ins Gesicht des russischen Geheimdienstes.

Der Selenskyj-Berater Mykhailo Podolyak sagt, dass die Ukraine verstärkt russische Ziele auf der Krim attackieren wolle. Kommt die Krim verstärkt unter Druck?

Masala: Die Ukrainer greifen seit Wochen Ziele auf der Krim an. Damit soll verhindert werden, dass die Krim Nachschub für die russischen Truppen an der südlichen Front in der Ukraine liefern kann. Es geht vor allem um die Zerstörung logistischer Infrastruktur. Die strategische Absicht ist, die Krim abzuschneiden.

Rauchschwaden über der nordwestrussischen Stadt Pskow. Sie sollen vom ukrainischen Drohnenangriff auf einen Flugplatz stammen.
Rauchschwaden über der nordwestrussischen Stadt Pskow. Sie sollen vom ukrainischen Drohnenangriff auf einen Flugplatz stammen. © dpa | Ostorozhno Novosti

Kiew betont, dass die westlichen Verbündeten – anders als noch vor einem Jahr – die Attacken auf der Krim akzeptieren würden. Stimmt das?

Masala: Zumindest gibt es im Westen keine öffentlichen Mahnungen oder Warnungen. Wenn ich die Diskussion in den USA richtig verfolge, wird dort die Annahme geteilt, dass es nur eine Chance gibt, Moskau zu einem Umdenken mit Blick auf mögliche Verhandlungen zu bringen: Der Druck auf die Krim muss erhöht werden.

Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew droht vor diesem Hintergrund mit Angriffen auf Nato-Staaten. Ist das Säbelrasseln oder eine ernsthafte Drohung?

Masala: Medwedew scheint im System Putin die Funktion eines Kettenhundes einzunehmen. Er droht ständig mit Angriffen auf Nato-Staaten und der nuklearen Vernichtung des Westens. Ich glaube, das ist eher auf die Innenpolitik ausgerichtet. Damit soll die Flanke der Ultranationalisten bedient werden, die ein härteres Vorgehen Russlands fordern.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Die ukrainische Armee erklärt, mit der Eroberung des Orts Robotyne sei eine erste starke russische Verteidigungslinie durchbrochen worden. Könnte das der Auftakt für einen Vorstoß bis zum Asowschen Meer sein?

Masala: „Das ist das Ziel. Zunächst stellt sich die Frage, ob es den ukrainischen Truppen gelingt, bis zur Stadt Tokmak und dann weiter nach Melitopol vorzustoßen. Das Problem: Zwischen Robotyne und Tokmak sollen drei russische Verteidigungsstellungen liegen. Die sind zwar angeblich nicht so stark gesichert wie die erste Verteidigungslinie – aber auch die gilt es mit all den Minenfeldern zu überwinden. Es hat mehr als zehn Wochen gedauert, um die erste Verteidigungsstellung in Robotyne auszuschalten. Die Einnahme von Tokmak und vielleicht darüber hinaus wäre ein großer Erfolg für die ukrainische Gegenoffensive.“

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