Essen. Mobiles Arbeiten gilt als „neues Normal“ in vielen Berufsgruppen. Der DGB fordert verbindliche Standards, denn noch gibt’s keine klaren Regeln.
Corona? Die Pandemie ist längst vergessen, spätestens seit im Frühjahr die Maskenpflicht in Bus und Bahn aufgehoben worden ist. Doch etwas aus drei Jahren Corona-Zeit hat überlebt: Arbeiten im Homeoffice - jedenfalls da, wo es das Berufsbild ermöglicht. Der DGB fordert jetzt verbindliche Standards. Mobiles Arbeiten muss „rechtlich besser eingegrenzt werden.“
„In den geltenden Arbeitsschutzregeln gibt es detaillierte Vorgaben etwa zur Gestaltung von Büro-Arbeitsplätzen“, sagt Rolf Schmucker, Leiter des Instituts „DGB-Index Gute Arbeit“. Doch das Homeoffice sei in den Arbeitsschutzregeln bis dato nicht erfasst, sagt der promovierte Sozialwissenschaftler. Er ist sicher: „Arbeiten im Homeoffice wird bleiben, es ist nur eine Frage der Ausgestaltung.“ Die sei bis dato aber Sache individueller Absprachen in den Unternehmen, etwa über Betriebsvereinbarungen.
Homeoffice: ThyssenKrupp und Evonik definieren „Spielregeln“
„Im Thyssenkrupp Quartier in Essen wurde die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsmodus zwischen Präsenz- und Homeoffice-Tagen in die Verantwortung der jeweiligen Teams übertragen und es wurden auf die jeweiligen Bedürfnisse der Teams zugeschnittene „Spielregeln“ z.B. hinsichtlich Erreichbarkeit, gemeinsamer Präsenz-Tage, Austausch-Routinen etc. festgelegt“, sagt eine Konzernsprecherin. Der Konzern ermögliche seinen Beschäftigten „zwischen mobiler und bürobasierter Tätigkeit zu wechseln, soweit die betrieblichen Anforderungen für die jeweilige Tätigkeit es zulassen.“ Dazu seien „lokale Betriebsvereinbarungen“ geschlossen worden.
Lesen Sie auch:Homeoffice: In diesem Ministerium sind Büros meist verwaist
Beim Essener Chemie-Konzern Evonik, der alleine in NRW etwa 13.000 Beschäftigte zählt, macht man den Mitarbeitenden „alle Formen von mobilem Arbeiten, die alternativ zur Arbeit im Betrieb zeitweise oder regelmäßig auch außerhalb der Betriebsstätten erbracht werden können“ möglich, sagt ein Sprecher; dazu gebe es Vereinbarungen mit den Arbeitnehmervertretungen. Das Konzept hat der Konzern #Smartwork getauft.
Mobiles Arbeiten: „Grenzen zwischen Privatleben und Arbeit können verschwimmen“
Die Hans Böckler Stiftung des DGB hat bereits ein halbes Jahr nach den ersten massiven Corona-Fällen in Deutschland - Stichwort: Karneval in Gangelt im Kreis Heinsberg - im August 2020 Handreichungen für solche Betriebsvereinbarungen erstellt, basierend auf knapp drei Dutzend Vereinbarungen aus verschiedenen Branchen zur „Telearbeit“ und zum „mobilen Arbeiten“. „Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsleben können verschwimmen“, mahnte Autorin Sandra Mierich bereits damals: „Örtliche und zeitliche Flexibilität der Arbeit ist Anforderung und Erwartung zugleich.“
Lesen Sie auch:Recht auf Homeoffice stößt nicht überall auf Zustimmung
„Nach Jahren des Wildwuchses müssen jetzt Standards für das Homeoffice entwickelt werden“, fordert Rolf Schmucker vom DGB. Weil „diese Form von zeit- und ortsflexiblem Arbeiten auch Risiken birgt, etwa für die Gesundheit.“
Verlust an persönlichen Kontakten
Wer sich bis dato beim täglichen Weg ins Büro wenigstens etwas Bewegung verschaffte, sieht sich beim Homeoffice plötzlich „höchstens mal vom Schreibtisch zum Kühlschrank gehen“, wie es ein Sprecher der Krankenkasse DAK selbstironisch beschreibt. Und Rolf Schmucker erinnert sich, nach den ersten Pandemie-Monaten im Homeoffice mit Laptop am Küchentisch habe er am eigenen Körper erfahren, „was ich vorher nur theoretisch kannte: Rückenschmerzen“; Die sind übrigens, merkt Schmucker an, einer der Hauptgründe für Arbeitsfehlzeiten.
„Studien haben gezeigt, dass Homeoffice weitere Probleme birgt. Etwa den Verlust an persönlichen Kontakten im Betrieb“, sagt Rolf Schmucker: „Das Teeküchengespräch und ähnliche Dinge sind eben mehr als nur ‚Small Talk‘. Unternehmen reagierten auch darauf, sagt er, „mit verstärkten Team-Events, etwa einem wöchentlichen Jour Fixe, wo sich alle treffen, oder bestimmten Praxisveranstaltungen.“
Homeoffice-Anteil ist auf 24 Prozent gesunken
„Effizienz und Arbeitsmoral leidet aus unserer Erfahrung im Homeoffice nicht“, aber fehlender Austausch untereinander, erklärt Sebastian Schulz, „Brand Buddy und Gründer“ der Essener Kommunikations-Agentur Meta Maniacs. „Vor allem junge Menschen legen Wert darauf, dass Ihre Arbeit einen Sinn erfüllt – dieses Gefühl wird aus unserer Sicht verstärkt, wenn innerhalb des Teams ein persönlicher Austausch stattfindet“, sagt Schulz. „Sowohl digitale Events, aber auch Live Events wie Weihnachtsfeiern & Co. können die Teamkultur fördern“, meint er. „Vor allem in wachsenden Start-ups, in denen die Teamarbeit und das ‘Ziehen an einem Strang’ von großer Bedeutung ist, hilft das Miteinander vor Ort, eine bessere Bindung zum Unternehmen und den KollegInnen aufzubauen.“
Lesen Sie auch:Krank im Homeoffice: Ist das Arbeiten überhaupt erlaubt?
Der „Homeoffice“-Anteil bei Bürojobs war 2021, zur Hochzeit der Corona-Pandemie, in Deutschland zeitweise auf 41 Prozent gestiegen. Nun liegt er bei etwa 24 Prozent der Beschäftigten, berichtet Rolf Schmucker. Und er sieht gegenläufige Tendenzen: „Manche Unternehmen versuchen, das mobile Arbeit wieder einzuschränken.“
Signal Iduna ruft Beschäftigte ins Büro - noch folgen zu wenige
Zum Beispiel die in Dortmund ansässige Versicherung Signal Iduna. Anfang 2023 lag die Homeoffice-Quote dort bei 65 Prozent, nun sei sie auf 60 Prozent gesunken, weil das Unternehmen im Frühjahr seine Beschäftigten aufrief, verstärkt wieder ins Büro zu kommen. Noch arbeiten jedoch zu viele lieber zuhause: „Nach wie vor streben wir eine 60-prozentige Anwesenheitsquote in den Büroräumen an“, sagt Ulrich Leitermann, Vorstandsvorsitzender der Signal Iduna Gruppe. Das heißt: Die Homeoffice-Quote soll auf 40 Prozent sinken.
Lesen Sie auch:Zukunft des Homeoffice spaltet Beschäftigte und Arbeitgeber
Man beobachte einen „starken DiMiDo-Effekt“, sagt Leitermann: „Montags und freitags sind deutlich weniger Mitarbeitende im Büro als an den übrigen Wochentagen.“ Die während Corona geschlossene Betriebsvereinbarung sichere „mindestens zwei Homeoffice-Tage in der Woche zu“, beschreibt Leitermann. Und er versichert: „Es sind keine Änderungen geplant.“ Aber das Unternehmen sorgt sich um seine Beschäftigten. So bietet Signal Iduna Mitarbeitern kostenfrei ein „Lebenslagencoaching“. Während der Pandemie habe sich die Nachfrage nach psychologischer Unterstützung verfünffacht, sagt Leitermann. Dieses Angebot bleibe bestehen, denn „zu viel Homeoffice kann auch Schattenseiten haben“, sagt er.
Großer Unterschied zwischen Telearbeit und mobilem Arbeiten
Eine aktuelle Studie der Technischen Universität Darmstadt hat indes gezeigt, dass Homeoffice in manchen Berufsgruppen gar die Gesundheit fördern soll: Befragte gaben an, sie fühlten sich zufriedener und hätten das Gefühl, erfolgreicher zu arbeiten. Die eigenen vier Wände gäben zum Beispiel „Freiraum in Stress-Situationen“, und das Burnout-Risiko sei geringer. Beim DGB spricht man der Studie laut einem Bericht aber nur begrenzten Wert zu, „weil nur ein spezieller Ausschnitt der Arbeitswelt gezeigt wird.“
Die Bundesregierung will das Homeoffice rechtlich fest verankern, so steht es bereits im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen-“Ampel“. Es gehe um „klare Bedingungen“: „Arbeitsschutz, gute Arbeitsbedingungen und das Vorhandensein eines betrieblichen Arbeitsplatzes sind dabei als wichtige Voraussetzungen bei mobiler Arbeit fixiert“, sagt ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums.
Hier zeigt sich auch der Unterschied zwischen dem, was umgangssprachlich Homeoffice genannt wird: Rechtlich wird darunter ein fester Tele-Arbeitsplatz verstanden; „mobiles Arbeiten“ aber ist zeitlich und örtlich flexibel, kann also von jedem Ort aus erfolgen. Eine Sprecherin der Industrie- und Handelskammer Essen stellt denn auch klar: "Wir bieten unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit an, mobil zu arbeiten. Die Arbeit im Home Office ist hingegen nicht vorgesehen."
Bundesregierung will „gesunde Gestaltung des Homeoffices“ regeln
Die betreffende „Politikwerkstatt Mobile Arbeit“ arbeite seit September 2022 an dem Ziel, „sachgerechte und flexible Lösungen zur gesunden Gestaltung des Homeoffices“ zu erarbeiten, sagt der Sprecher von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). „Der Prozess wird dieses Jahr abgeschlossen“, kündigt er an. Ziel sei, das Homeoffice als eine Möglichkeit der Mobilen Arbeit rechtlich klar zu regeln, über das hinaus, was bis dato zur „Telearbeit“ geregelt sei, denn: Mobiles Arbeiten (Remote Work oder Mobile Office) ist gesetzlich bis dato nicht definiert, wie etwa die Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein beschreibt.
Noch ist offen, wann die Bundesregierung auch zum Homeoffice verbindliche Reglungen vorlegt. Beim DGB Institut „DGB Index Gute Arbeit“ warnt Rolf Schmucker: „Home Office ist nicht die Lösung für alle Probleme.“ Zeitlich und örtliche flexibel zu arbeiten bringe den Beschäftigten und wohl auch Arbeitgebern Vorteile. Doch etwa bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, reichten die bisherigen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetztes, das laut Bundesarbeitsministerium auch fürs Homeoffice gelte, wohl nicht aus, meint Schmucker: „Sich nachmittags um die Kinder kümmern und die Arbeit dann in den Abend oder die Nacht zu verlegen, läuft auf Dauer den Erkenntnissen zum Gesundheitsschutz zuwider.“
>> Vor- und Nachteile von Homeoffice im Überblick
Bei der IHK für Essen, Mülheim und Oberhausen zählt man diese Vorteile von mobilem Arbeiten auf:
- Flexibilität, etwa bei der Gestaltung des Arbeitstages
- Erhöhte Produktivität, "weil Arbeitnehmer in ihrer gewohnten Umgebung arbeiten können, was zu hörerer Konzentration und Motivation führt."
- Kostenersparnis: Beruf und Privatleben lassen sich "besser ausbalancieren".
- Größerer Talentpool, weil Arbeitgeber Mitarbeiter "unabhängig von ihrem Wohnort einstellen können."
- Ein Beitrag zum Klimaschutz, durch reduziertes Pendeln.
Als Nachteile vom Arbeiten im - umgangssprachlich - Homeoffice nennt die IHK:
- Soziale Isolation: Mobiles Arbeiten kann dazu führen, dass sich Arbeitnehmer isolieren oder isoliert fühlen.
- Technik-Probleme: Internet- oder Softwareprobleme können zu Arbeitsunterbrechungen und Frust führen.
- Schwierigkeiten, Arbeit und Privatleben klar zu trennen.
- Verlust von Teamgeist und Zusammenarbeit
- Schwierigkeiten bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter