An Rhein und Ruhr. . Viele Dienste würden qualifizierte Kräfte sofort einstellen. Der Druck ist groß. Einige Anbieter locken sogar mit 1000 Euro Wechselprämie.
Ambulante Pflegeanbieter und der Paritätische Wohlfahrtsverband in Nordrhein-Westfalen schlagen Alarm. Der Branche fällt es immer schwerer, qualifiziertes Personal zu finden, um dem wachsenden Pflegebedarf nachzukommen. „Die Lage wird zusehends dramatisch“, warnte Franz Schumacher, Fachreferent des Verbandes, gegenüber der NRZ. Immer öfter müssten Dienste Anfragen absagen.
Dirk Brieskorn, Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege Essen e. V., berichtet von „monatlich 40 bis 50 Anfragen“, die er mangels Kapazität abschlägig bescheiden müsse: „Bei den Angehörigen sorgt das für Notsituationen.“ Das sei kein Einzelfall, sagt Schumacher mit Blick auf die 170 gemeinnützigen Dienste, die NRW-weit dem Paritätischen angeschlossen sind. Der Referent betont, dass niemand gerne absage: „Jeder weiß schließlich, was daran hängt.“
Stelle im Schnitt 155 Tage ausgeschrieben
In der aktuellen „Fachkräfteengpass-Analyse“ der Arbeitsagentur NRW rangieren Pflegeberufe ganz oben. Den Angaben zufolge ist eine Stelle im Schnitt 155 Tage ausgeschrieben, ehe sie mit einer examinierten Altenpflegekraft besetzt ist. Bei der Gesundheits- und Krankenpflege sind es 140 Tage. Laut Gesundheitsministerium in Düsseldorf fehlten im Jahr 2016 in NRW - quer durch alle drei Pflegeberufe - insgesamt 2290 Fachkräfte.
Sicher ist: Der Bedarf wird stetig steigen. Im NRW-Gesundheitsministerium geht man davon aus, dass jedes Jahr 2 bis 3% mehr Menschen pflegebedürftig werden. „Daher ist es von zentraler Bedeutung, mit allen Akteuren im Pflege- und Gesundheitsbereich genügend Menschen für einen Pflegeberuf zu gewinnen und zu qualifizieren“, sagte ein Sprecher vom Minister Karl-Josef Laumann (CDU). Nötig seien dazu „insbesondere eine gute Ausbildung, attraktive Arbeitsbedingungen und faire Löhne“.
Umlageverfahren eingeführt
Fachmann Schumacher drängt darauf, dass die Anbieter dafür in eine bessere finanzielle Lage versetzt werden. Das Vergütungssystem müsse sich ändern – weg von einzelnen Leistungsmodulen, hin zu einer Bezahlung, orientiert an der Zeit für geleistete Pflege.
Durch die Einführung eines Umlageverfahrens konnten die Ausbildungszahlen in der Altenpflege in NRW fast verdoppelt werden – von etwa 10 000 Azubis im Jahr 2011 auf 18 300 im Jahr 2016. Bei der Gesundheits- und (Kinder-) Krankenpflege hingegen gab es kaum Zuwachs. Hier lag die Zahl zuletzt bei 17 271 Azubis.
30 Prozent Arbeitsverdichtung
„Ich würde sofort einstellen, wenn geeignete Leute da wären“, versichert Dirk Brieskorn, der Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege Essen (FUK). Der Verein ist eingetragen und damit nicht gewinnorientiert, betreut mit 150 Mitarbeitern knapp 800 Patienten und ist seit 1963 als Pflegeanbieter aktiv.
Brieskorn empfindet es bitter, Pflege-Anfragen abweisen zu müssen. Verweise an andere Dienste helfen in der Regel wenig: „Da ist die Lage ja nicht anders“, sagt FUK-Geschäftsführer Brieskorn. Er beschreibt die Situation so: „Für Pflegebedürftige wie Angehörige ist das der Pflegenotstand, wir als Anbieter fahren unter Volllast.“
Was auch für die Dienste und ihre Mitarbeiter Probleme mitbringt: Krankheitsausfälle seien bei der Tourenplanung kaum zu kompensieren, berichtet FUK-Pflegedienstleitung Anika Grashof. Ohnehin habe es für die Mitarbeiter in den letzten Jahren etwa 30 Prozent Arbeitsverdichtung gegeben, berichtet Fachreferent Franz Schumacher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW – „wo früher sieben Patienten auf einer Tour angefahren wurden, sind es heute vielleicht zehn oder elf“.
Berufsrückkehrer und Azubis willkommen
Noch mehr draufpacken mag FUK-Chef Brieskorn nicht – wegen der Patienten nicht, aber auch nicht wegen der Mitarbeiter nicht. Es hilft also nur: mehr Personal.
Doch der Wettbewerb ist hart. Um für Mitarbeiter attraktiv zu sein und sie fair zu entlohnen, ist der Essener Verein schon vor einiger Zeit in die Tarifbindung zurückgekehrt, die er erst verlassen hatte, nachdem der Pflegemarkt für Private geöffnet wurde und kräftig unter Druck geriet. Gut 2900 Euro brutto verdient eine qualifizierte Kraft, die Einstufungen variierien.Tatsächlich genügen Tariflohn und gute Arbeitsbedingungen aber nicht mehr, um Kräfte zu werben. Der Markt ist leer gefegt. Wie Brieskorn und aber auch Schumacher berichten, locken Anbieter teilweise sogar mit 1000 Euro Wechselprämie – 500 Euro gleich und weitere 500, wenn man nicht bei der ersten Gelegenheit wieder kündigt.
Bewusst für den Beruf entschieden
Der FUK-Chef freut sich über Berufsrückkehrerinnen wie Viola-Maria Schieder. Die 29-Jährige war in einer Klinik beschäftigt und konnte nach der Elternpause nicht mehr dorthin zurück: „Die Dienstgestaltung wäre ein Problem gewesen. Hier funktioniert das.“ Brieskorn freut sich aber auch über Auszubis wie Franziska Frenz, die sich sehr bewusst für den Beruf entschieden hat („mein Vater war sehr krank“) – und weiter von ihrer Entscheidung überzeugt ist.
Brieskorn wie Schumacher glauben, dass der Fehler im System liegt – im System der Abrechnung. Ihrer Ansicht nach sollte nicht länger nach Modulen abgerechnet werden, in denen Leistungen gebündelt sind – sondern nach tatsächlich für die Pflege benötigter Zeit. Das sei für Pflegebedürftige wie auch Dienste transparenter und unbürokratischer.
Gute Ausbildung ist auch wichtig. Das NRW-Gesundheitsministerium weist daraufhin, dass ab 2020 die Berufe in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einer generalistischen Ausbildung zusammengeführt werden. Das Ministerium werde die Umsetzung der Pflegeberufereform engagiert vorantreiben.
>>>>> BEI BEWERBERN KAUM AUSWAHL
Ganz aktuelle Zahlen der Arbeitsagentur: NRW-weit gibt es 3749 gemeldete Stellen für Gesundheitspflege/Rettungsdienst/Geburtshilfe und 3138 Bewerber. Altenpflege: 5022 Stellen, 8754 Bewerber. Angebot und Nachfrage verteilen sich lokal sehr unterschiedlich.