Kevelaer. Dirk Wroblewski und Erika McGraffin sind an Krebs erkrankt. Sie erklären, warum sie sich den Tod wünschen.
Von seinem Bett aus kann Dirk Wroblewski den Garten sehen. Die kleine Rasenfläche, die hölzerne Bank, den novemberfeucht glänzenden Springbrunnen. Die Hecke um die akkurat gepflasterte Terrasse vor seinem Zimmer ist noch nicht hochgewachsen, das Haus ist erst vor wenigen Monaten eingeweiht worden. Der 45-Jährige ist hier seit zwei Wochen Gast. Wenn er schläft, und er schläft oft, weil er müde und schwach ist, träumt er von seiner Insel. Auf der scheint immer die Sonne und es sind immer angenehme 24 Grad. Da wird er sein, ist er sich sicher, wenn es endlich vorbei ist, das elendige Sterben, durch das er sich seit acht Jahren quält. Dirk Wroblewski hat das Sterben satt. Er wünscht sich den Tod.
"Man muss doch abschließen dürfen"
Als es losging mit dem Krebs, da hat er den Ärzten noch geglaubt, die ihm immer wieder versprachen, dass es schon wieder werde. Mit jeder Operation, mit jedem Organ, das sie aus seinem von Metastasen durchsetzten Körper entfernten, schwand die Hoffnung. "Kurze Zeit ging es. Dann wurde es immer beschissener." Die Krankheit hat seinen Körper ausgelaugt. Seine blauen Augen leuchten matt und übergroß in dem eingefallenen Gesicht, das so viel älter aussieht als 45. Die Armbanduhr schlackert, als er mit einer matten Bewegung ethische Bedenken gegen einen Selbstmord wegwischt: "Die, die dagegen sind, sollten erst mal so was wie ich durchmachen. Dieses Dahinvegetieren."
Ja klar, er fühlt sich hier im Hospiz in Wetten bei Kevelaer besser aufgehoben als im Krankenhaus, die Schmerzen haben sie ganz gut in den Griff gekriegt, sagt er, wenn er auch die ganzen Jahre über nie komplett schmerzfrei war; aber trotzdem. "Das ist kein Leben mehr. Man muss doch mal irgendwann abschließen dürfen."
Eigentlich haben sie hier die Hoffnung, dass ihre Gäste zwar vor der Zeit aber nicht mit der Hilfe anderer aus dem Leben scheiden wollen, die Schwestern und Ärzte, die die todkranken Menschen in der Phase begleiten, die im kalten Medizinerjargon "Terminalphase" heißt. Deswegen nehmen sie sich viel Zeit für Gespräche, versuchen Schmerzen zu lindern und ihren Gästen möglichst alle Wünsche zu erfüllen.
Ein lebendiges Haus soll das Hospiz sein, sagt Dr. Reinhard Mann. Er erinnert sich an rauschende Geburtstagsfeiern, an eine Hochzeit, zu der Pfarrer und Standesbeamter ins Hospiz kamen, damit die todkranke Mutter der Braut dabei sein konnte, als ihre Tochter den Bund fürs Leben schloss. Fotos an den cremefarbenen Wänden in den hellen, lichten Fluren zeugen von dem Bemühen, das Leben in diese vier Wände zu holen. Karnevalsfeiern sind da zu sehen, Kranke, die ihre Haustiere streicheln, lachende Kinder. Der Tod ist hier im Leben angekommen.
Dr. Mann weiß, dass viele Kollegen in den Krankenhäusern es nicht fertig bringen, ihren Patienten die Wahrheit zu sagen, und sei es, weil "der Tod für viele noch der GAU des Arztes ist". Nicht hier. Hier haben sie keine Reanimationsmöglichkeiten, hier werden die Gäste bewusst sterben gelassen. Mann hat Verständnis für die Menschen, die "das System des Ausbrennens nicht akzeptieren wollen, und zum Sterben in die Schweiz fahren". Ganz klar ist für ihn aber auch, "dass wir Gesetze haben, an die wir uns hier halten". Beihilfe zur Selbsttötung, wie sie Dirk Wroblewski wünscht, können sie hier nicht leisten.
Wollen sie auch nicht, sagt Birgitt Brünken, Krankenschwester und die Vorsitzende des Hospizvereins. "Die Zeit des Abschiednehmens sollten sich unsere Gäste nehmen können. Viele, die zunächst den Wunsch hatten, möglichst schnell zu sterben, waren später dankbar, dass sie diese Zeit hatten." Deswegen versuchen sie, ihren Gästen so viel Lebensqualität wie nur irgend möglich zu geben.
"Der Mensch entscheidet doch auch, wie er lebt"
Manchmal reicht das nicht. Wie bei Dirk Wroblewski; oder wie bei Erika McGraffin, die ein Zimmer weiter liegt. Sie ist 47, hat Lungenkrebs. Auch ihr schmales, blasses Gesicht ist von der Krankheit gezeichnet, die Schmerzen haben sich in die Mimik gefräst; sie kann kein Morphium bekommen, weil sie es nicht verträgt. Mit schwacher Stimme erzählt sie von ihrem Leben, dem Unfalltod ihres ältesten Sohnes vor zwei Jahren, davon, dass ihr Jüngster, der neun Jahre alt ist, jetzt im Heim ist, weil sie ihn nicht mehr betreuen kann, und dass sie endlich rübergehen will, weil sie es nicht mehr erträgt, dieses an-die-Wand-starren und das Verlassensein.
Und sie erzählt von ihrer Schwägerin in Holland, wo Ärzte Menschen auf deren Verlangen hin töten dürfen. Mit ihr will Erika McGraffin reden, ob sie nicht "irgendwas organisieren kann". Sie sagt, es sei für sie schon immer klar gewesen, dass sie nicht mehr leben will, wenn sie nicht mehr alleine kann; schon vor der Krankheit, als sie als Verkäuferin und alleinerziehende Mutter ein ausgefülltes Leben hatte.
"Der Mensch entscheidet doch auch, wie er lebt", sagt sie, "warum darf er dann nicht entscheiden, wie er stirbt?"