Berlin. Sascha Weiss räumte die Michelin-Sterne nur so ab – dann kam die Tragödie. Nach einem Herzinfarkt muss der Sternekoch alles neu lernen.

Ein ganz normaler Morgen: Manuela Weiss bindet ihrem Mann die Schürze um. Die Arbeit kann beginnen. Sascha Weiss soll Brötchen halbieren, früher hat er in dem Gourmet-Tempel „Wolfshöhle“ in Freiburg Sechs-Gänge-Menüs kreiert. Früher, da war seine kulinarische Welt die von Lachsforellen und Rehkitzen, Krustentieren und Himbeermuffins. Fünfmal hintereinander erhielt der 47-Jährige den hart umkämpften Michelin-Stern. Und dann brach für den Promi-Koch alles zusammen. Sascha Weiss, damals 43 Jahre alt, verlor nach einem Herzinfarkt sein Gedächtnis. Sein Leben nahm eine dramatische Wende – der gefeierte Star der Gastroszene musste alles neu lernen.

Alles neu lernen. So etwas ist schnell gesagt. Doch auch, wenn Weiss wieder die Kochschürze trägt und sich inmitten von Töpfen und Pfannen flink bewegt – seine Ehefrau Manuela Weiss (47) sagt gegenüber dieser Redaktion: „Er weiß nicht, wer er ist, was er gemacht hat. Mein Mann hat alles vergessen.“ Nach dem großen Drama „konnte er nichts mehr und schon gar nicht mehr kochen“.

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Wie schwer es ist, wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, spürt man in im Gespräch mit ihr. Oft ringt Manuela Weiss um das richtige Wort. Sie will ihren Ehemann nicht kleinreden, kommt aber nicht umhin zu sagen, dass er alles nur unter Anleitung ausführen kann. „Er lernt jeden Tag dazu, aber es fällt ihm vieles schwer.“ Zum Beispiel konzentriert Rezepte lesen und umsetzen. Die Hälfte von 1600 Gramm? Solche Dinge seien noch nicht abrufbar. Der Mann, der einst sein Gourmet-Publikum mit feinster Fasanenbrust und edlen Desserts in den siebten Himmel versetzte, ist nun gefangen in seiner Amnesie. „Er hatte seine Erinnerung komplett verloren, auch an seine Himbeermuffins. Sie waren sein Markenzeichen“, so Manuela Weiss.

Manuela Weiss muss das Restaurant managen und ihren Mann anleiten

Seine Frau ist jetzt „die Lehrerin, er der Schüler“. Die Welt steht kopf. Denn der Chef war früher natürlich er. Die „Wolfshöhle“, in der Weiss für seine raffinierte Küche verehrt wurde, ist zwar längst Geschichte. Aber gekocht wird immer noch. Heute bewirtschaftet das Paar das Bistro „Rädle“, ebenfalls in Freiburg. Alles eine deutliche Nummer kleiner. Frau Weiss sagt, sie habe sich da einfach mal herangetastet. Gnocchi mit Spargelragout, Spargelsuppe – solche Dinge stehen jetzt auf der Speisekarte. „Früher habe ich im Service gearbeitet, er in der Küche. Das war einmal.“

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Die Gerichte im „Rädle“ kommen bestens an, wie in der dreiteiligen Dokumentation über Sascha Weiss „Der Riss“ (SWR) zu sehen ist. Einige der Gäste kennen den einstigen Star noch, freuen sich, ihn wiederzusehen, viele aber sind neu und angetan, was Manuela Weiss auf die Beine gestellt hat. Der Film zeigt den Kampf des Sternekochs zurück ins Leben, der allerdings auch der Kampf seiner Frau ist: Sie schmeißt den Laden und lenkt ihren Mann so, dass er nicht aneckt und nicht die Motivation für die kleinen Dinge verliert. Der ehemalige Chef de Cuisine versucht sich an einem Teig, und seine Frau weist ihn sanft an: rühren, rühren, rühren.

Der Riss
Sternekoch Sascha Weiss kochte einst im Gourmet-Tempel „Wolfshöhle“ in Freiburg. Nach einem Herzinfarkt hat er sein Gedächtnis verloren. Im Film „Der Riss“ (SWR) wird seine Geschichte in eindringlichen Bildern erzählt. © SWR/Heiko und Ingo Behring | SWR/Heiko und Ingo Behring

Sascha Weiss sieht man in den Fernsehbildern oft mit einer Art Holzfällerlachen. Er ist einer, der anpacken will, einer, der auch aus der Not noch ein Bonmot macht. „Ich bin jetzt vier Jahre alt“, sagt er zum Beispiel mit diesem Lachen eines Unterhalters, der weiß, dass der Witz sitzt. Dabei ist das, worauf er sich bezieht, seine persönliche Tragödie, die vor vier Jahren passierte. Für ihn begann eine neue Zeitrechnung.

Der Tag des Dramas: Als Sascha Weiss einfach umkippte

Es war in der Nacht des 17. Juli 2020, um 4.35 Uhr, als Weiss, damals 43 Jahre alt, sportlich, fröhlich und laut seiner Ehefrau durchaus Stress-resilient, ohne Vorzeichen einfach umkippte. Er habe zwar oft über Rückenschmerzen geklagt, aber mehr auch nicht. Er erlitt einen schweren Herzinfarkt mit Herzstillstand. Dadurch wurde seine linke Gehirnhälfte nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Er wurde vom Notarzt reanimiert. Dann setzte man ihm Stents ein. Die Reha-Maßnahmen führten dazu, dass er wieder fit wurde und man ihm heute körperlich kaum noch etwas ansieht. Aber sein Gedächtnis wurde sozusagen gelöscht. „Es ist mein Mann, aber er ist es auch wiederum nicht“, sagt Manuela Weiss.

Das, was Sascha Weiss an körperlicher Gesundheit erreicht hat, ist für seine Physiotherapeuten und Ärzte phänomenal. Doch erinnern kann er sich nur schwach. Er arbeitet sich durchs Zwiebelschneiden, und sagt zwischendrin immer dieses „Wieso-weshalb-warum“?

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Sascha Weiss, der den Kontakt zu seinem früheren Ich zum großen Teil verloren hat, weiß aber, dass er in früheren Zeiten einmal Koch war; natürlich auch, weil es ihm alle Welt erzählt. Wenn er auf dem Gemüsebrett schnibbelt, scheint er in seinem Element. Er wirkt ausgelassen, singt „Hey, Manu-Mäuschen“ und meint seine Frau. Doch die Stimmung kann schnell kippen, weil es in ihm brodelt. „Sie versteht ja jetzt alles, ich weiß noch nicht alles“, weil diese „schlechte Krankheit da war damals“. Oft wirkt er geradezu verzweifelt. Immer wieder das Warum. Und warum man ihm nicht einfach ein neues Gehirn einpflanzen kann. Er sagt „schade“, wenn er vom 17. Juli 2020 spricht. „Schade, ich habe leider alles vergessen.“

Zwischen dem Jetzt und der Vergangenheit ist eine Wand. In der Ergotherapie versuchen Experten gemeinsam mit ihm, diese Wand zu durchdringen, Verbindungen zu schaffen, so zeigt es der Film. Sascha Weiss soll jetzt handwerken und dafür die richtigen Instrumente benennen. Er sagt: „rühren“. Der Therapeut weist ihn darauf hin, dass „rühren“ ein Wort aus der Küche ist. Sascha Weiss überlegt, dann fällt es ihm ein: „schrauben!“ „Er ist hoch motiviert, in seinem Suchen ausdauernd, aber ich denke, er wird starke Frustrationen haben. Das wird zu Hause auch noch mehr zum Tragen kommen als hier“, so der Therapeut.

Der Riss
Sascha Weiss, einstiger Starkoch, musste nach seiner schweren Krankheiten alles neu lernen. Das Bedienen gelingt und macht ihm großen Spaß. © SWR/Heiko und Ingo Behring | SWR/Heiko und Ingo Behring

Das weiß Manuela Weiss sehr genau, diese Frau, die im Sternerestaurant, aber auch in der Reha immer an seiner Seite war und die nur glücklich ist, wenn ihr Mann Freude hat. Und das sei ja auch häufig der Fall. „Wenn ich bei ihm bin, läuft es meistens. Ich habe einen Draht zu ihm und kann ihn meistens auch wieder beruhigen. Nur, was ist, wenn ich mal nicht da bin, aus welchem Grund auch immer, darüber will ich erst gar nicht nachdenken. Ich bin ja da.“ Sie lasse ihn vieles selbst machen und übernehme dann ein bisschen die Kontrolle im Hintergrund.

Der einstige Sternekoch: Hochmotiviert, aber manchmal kommt der Frust durch

Aber es gebe auch diese anderen Tage. Tage, wo sie die Zähne zusammenbeißen müsse. „Sascha weiß mittlerweile ja alles und auch alles besser“, sagt sie in der Doku. Sie will es so, er will es anders. Dann schimmere seine alte Rolle durch, der Chefkoch, das Alphatier, der Star des Hauses. Sie arbeitete damals im Service, er war der ungekrönte König. Ein Gefüge, das für sie ihr Leben war, das sie geliebt hat.

„Fehler passieren, gerade auch in der Gastronomie. Aber wenn jetzt etwas schiefläuft, dann bin ich schuld“, sagt Manuela Weiss. Früher habe er sich bei einem Gast entschuldigen können, das sei jetzt schwierig. „In seinem Kopf ist er immer noch der beste Koch.“ Wenn jetzt an ihm herumgekrittelt wird, so nach dem Motto: Das geht anders, pass auf, du musst auch aufräumen, „dann wird er auch schon mal sehr böse“.

Sascha Weiss hat viel verloren. Doch auch sie habe etwas verloren, sagt Manuela Weiss: „Mir fehlt einfach der Austausch. Das, was wir früher hatten, daraus habe ich viel Kraft gezogen.“ Jetzt zieht sie Kraft aus den Momenten, in denen er so richtig froh ist. Wenn er singt, wenn er sie in den Arm nimmt und mit ihr durchs Restaurant tanzt. „Er sagt, er liebt mich“, so Manuela Weiss, die sehr nachdenklich wirkt und hinzufügt. „Es ist Liebe da, aber anders.“