Berlin. Eine kilometerlange Bohrung in die Erdkruste dringt bis in den Erdmantel vor. Die Forscher stoßen auf eine Welt aus „grünem Marmor“.

Nicht nur im All warten unbekannte Welten. Auch unter unseren Füßen gibt es noch genug Rätsel, die Wissenschaftler versuchen zu erforschen. Bis zu zwölf Kilometer tief konnten Menschen sich bisher in die Erde bohren, dann versagt wegen der hohen Temperatur die Technik. In einer spannenden Expedition stellten Geologen nun einen anderen Rekord auf. Sie drangen tiefer als jemals zuvor in den Erdmantel vor.

Durch eine dünne Bohrung extrahierten die Forscher letztes Jahr einen ununterbrochenen 1268 Meter langen Steinzylinder aus dem Erdmantel – Rekord! Der Inhalt besteht aus durch Salzwasser chemisch-verändertes Magma-Gestein, das grünem Marmor ähnelt. Die Ergebnisse der Analyse wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Science“ veröffentlicht.

Abenteuerliche Unternehmung: Geologen bohren im Atlantik in den Erdmantel

Der aus festem Vulkangestein bestehende Erdmantel liegt zwischen der oberen Erdkruste und dem Erdkern. Um an ihn heranzukommen, müssen die Geologen an der Erdkruste vorbei, die an ihrer dünnsten Stelle immer noch sechs Kilometer dick ist. Doch im Gegensatz zur kontinentalen Erdkruste ist die Außenhaut der Erde unter den Ozeanen sehr viel dünner. Und an bestimmten Stellen wird durch tektonische Aktivität Mantelmaterial in die Erdkruste aufgewirbelt, von wo die Forscher es entnehmen können.

Deshalb bohrten die Geologen im Atlantik. Die ozeanische Kruste besteht aus Basalt, einem dichten vulkanischen Gestein. An einem 4267 Meter hohen Massiv im Westen des Mittelatlantischen Rückens drückten die Plattenverschiebungen den Erdmantel ganz nahe an die Oberfläche. Hier drang Magma aus dem Erdmantel, der aus durchscheinend-grünen, Magnesium-reichen Mineralien besteht.

Die nahezu kontinuierliche Bohrpobe biete die Möglichkeit, die mineralische Zusammensetzung des oberen Erdmantels umfangreich aufzuschlüsseln, heiß es in der Studie. Bisherige Bohrungen kamen nur 200 Meter weit, bevor der Vulkanismus ein Weiterkommen unmöglich machte. Auch die Wissenschaftler vom Forschungsschiff „JOIDES Resolution“ rechneten mit einer solchen maximalen Tiefe ihrer Bohrung.

Deepest-ever samples of rock from Earth’s mantle unveiled
Kilometre-long rock cores leave scientists wanting to know more — just when an international exploration effort is coming to an end.
Die Forscher stoßen auf eine Welt aus „grünem Marmor“.  © IODP JRSO (CC BY 4.0) | Erick Bravo

Erdmantel: Wissenschaftler werden von Bohrtiefe überrascht

„Aber zu unserer Überraschung ging das Loch immer tiefer“, sagte Kuan-Yu Lin, Geologe an der Universität Delaware, in einem Statement aus dem letzten Jahr. „Verblüfft von dem, was wir sahen, stimmte das Forschungsteam zu, den Plan zu ändern und das Loch weiter zu vertiefen“, so Lin.

Als sie das Gestein im Detail untersuchten, beobachteten sie „schräge Strukturen“, ein verräterisches Zeichen der vorherrschenden Theorie, wie sich Magma vom Mantel löst und Teil der Kruste wird, sagte der Autor der Studie, Johan Lissenberg, gegenüber „nature“.

Das Mantelgestein war in den Bohrkernen auch mit anderen Gesteinsarten durchsetzt, was darauf hindeutet, dass die Grenze zwischen Mantel und Kruste nicht so scharf ist, wie seismografische Daten normalerweise vermuten lassen, sagt Jessica Warren, Geochemikerin an der Universität Delaware in Newark. Zusammengenommen sind diese Ergebnisse „der Schlüssel dazu, wie wir die Bildung tektonischer Platten in den Ozeanen verstehen“, sagte sie bei „nature“.

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Erdbeben helfen, das Innere der Erde zu entschlüsseln

Der Erdmantel macht schätzungsweise 80 Prozent der Erdmasse aus. Seine Zusammensetzung ist jedoch noch immer nicht völlig gelöst. Wissenschaftler müssen sich auf seismische Wellen verlassen, die als Stoßwellen die Erde und ihre Oberfläche durchdringen.

Sie werden durch Erdbeben und Explosionen verursacht und können – bis zu einem Grad – die Struktur des Inneren des Planeten aufdecken. Jedes Jahr ereignen sich Tausende Erdbeben, und jedes einzelne gewährt einen flüchtigen Einblick in das Erdinnere, heißt es auf der Webseite des amerikanischen Museums für Naturwissenschaften.

Die Erfolge der Expedition seien ein „fantastischer Meilenstein“, sagte Rosalind Coggon, Meeresgeologin an der Universität Southampton, gegenüber „nature“. „Meeresbohrungen bieten den einzigen Zugang zu Proben aus dem tiefen Erdinneren, die für das Verständnis der Entstehung und Entwicklung unseres Planeten von entscheidender Bedeutung sind.“

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